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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Ausschreibung mit unmöglichen Vorgaben

Synes Ernst. Der Spieler /  Im Rahmen eines Projekts zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen ist ein feministisches Kartenspiel geplant. Es soll auch unterhalten.

«Multimethodische entwicklungspolitische Bildungsarbeit zu geschlechtsspezifischer Gewalt und deren Prävention weltweit» nennt sich ein aktuelles Projekt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Koordiniert wird es von Terre des Femmes Deutschland und hat zum «Ziel, in der interessierten Öffentlichkeit, unter SchülerInnen, PädagogInnen, MultiplikatorInnen, NROs sowie EntscheidungsträgerInnen aus Politik, Verwaltung und Medien ein Bewusstsein für die Hintergründe, Formen und Folgen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen sowie bewährte Präventionsmethoden vorzustellen». Geschlechtsspezifische Gewalt solle als «strukturelles, gesamtgesellschaftliches Problem weltweit erkannt werden und eigene Handlungsoptionen zur Verhinderung und Unterstützung Betroffener vorgestellt und ggf. weiterentwickelt werden».

Seine Ziele erreichen will das Projekt mit drei Massnahmen. Zu diesen zählt neben Veranstaltungen zu weiblicher Genitalverstümmelung mit einer Referentin aus Burkina Faso und einer Fotoausstellung zum Thema häusliche und sexualisierte Gewalt in Nicaragua und Deutschland auch die Entwicklung eines Kartenspiels zu «Frauenrechten, geschlechtsspezifischer Gewalt und deren Prävention weltweit».

Bekannte und bewährte Massnahmen

Im Kampf gegen eine der am weitesten verbreiteten Verletzung von Menschenrechen greifen die Projektverantwortlichen auf ein bekanntes und bewährtes Set von Massnahmen zurück, wie Begegnungen mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen nah am Thema sind, Ausstellungen oder Spielen.

Ja, auch Spielen. Denn dieses Medium eignet sich hervorragend, um Inhalte zu vermitteln, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen und so Problembewusstsein zu schaffen und zu fördern. Neues kann risikolos ausprobiert werden. Fehler bleiben folgenlos, womit der spielerischen Beschäftigung selbst mit einem schwierigen Thema immer eine gewisse Leichtigkeit anhaftet. Und je lustvoller das Ganze, desto höher der Lerneffekt.

Wie soll nun das «feministische Kartenspiel» aussehen, für das derzeit die Projektausschreibung läuft? Dazu haben BZM und Terre des Femmes genaue Vorstellungen. Es soll der Zielgruppe – Jugendliche ab 15 Jahren und Erwachsene, eine interessierte Öffentlichkeit sowie entwicklungspolitische Multiplikatorinnen und Multiplikatoren – unter anderem ermöglichen, «sich kreativ-interaktiv Wissen über Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen weltweit anzueignen bzw. es für die eigene Bildungsarbeit zu nutzen». Zudem lernt man über das Spiel, «wie geschlechtsspezifische Gewalt wirksam verhindert und langfristig abgebaut werden kann». Schliesslich soll das Spiel dazu motivieren, «bewährte Präventions- und Unterstützungsmassnahmen weiterzudenken und sie in eigenes entwicklungspolitisches Engagement zu übersetzen».

Das Projekt hat einen Haken

Die Verantwortlichen stellen an das Kartenspiel sehr hohe didaktische Ansprüche. Ob diese Erwartungen erfüllt werden, kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur hoffen. Doch das Projekt hat einen Haken: Von den Autorinnen und Autoren wird nämlich erwartet, dass sie das Spiel so gestalten, dass es nicht nur didaktische Ziele erfüllt, sondern auch «gleichzeitig einen hohen Unterhaltungswert» haben soll.

Dieser Zielkonflikt ist nach Meinung der Projektverantwortlichen lösbar, wenn bei der Entwicklung verschiedene Elemente aus bereits bekannten Kommunikations- und Gesellschaftsspielen, wie etwa «Tabu», «Activity» oder «Nobody is perfect» mit anderen Kreativtechniken kombiniert würden. Die Ausschreibung warnt in diesem Zusammenhang ganz konkret: «Eine einzige Methode, z.B. ein feministisches Tabu-Spiel, ist weniger vorstellbar, da es durch seinen ausschliesslichen Themenfokus ggf. zu stark pädagogisch-instruktiven Charakter haben und schnell monoton werden könnte.»

Der Hinweis zeigt, dass sich BMZ und Terre des Femmes sehr bewusst sind, wie schmal der Grat ist, auf dem sie sich bewegen. Aus diesem Grund sprechen sie auch von «Abwechslung und Humor, damit das Spiel trotz der teils anspruchsvollen, ernsten Themen Spass macht und die Zielgruppe motiviert ist, es wiederholt zu spielen». Denn: «Je stärker die Inhalte des Spiels im Gedächtnis bleiben und je lieber Spielende Wissen aufnehmen und weiterdenken, desto höher die Chancen, dass sich eigenes entwicklungspolitisches Engagement daraus ableitet.»

Ein unlösbarer Zielkonflikt

Trotz dieser gut gemeinten wie inhaltlich richtigen Ratschläge an die Adresse der potenziellen Interessentinnen und Interessenten der Ausschreibung halte ich das Projekt von allem Anfang an für gescheitert. Schuld ist der Zielkonflikt zwischen den didaktischen Ansprüchen auf der einen und der Forderung nach Unterhaltung auf der anderen Seite. Die Ausschreibung verlangt von den Autoren Unmögliches, der Konflikt ist schlicht unlösbar. Wie soll ich ein Werk schaffen, das Schreckliches wie Genitalverstümmelung oder Vergewaltigung thematisiert, gleichzeitig aber denen, die sich mit dem entsprechenden Spiel beschäftigen, Spass macht? Mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich mir das vorstelle.

Ich frage mich auch, ob den Initiantinnen bei BMZ und Terre des Femmes bewusst ist, dass sich nicht alles Denkbare gamifizieren lässt, dass es gewisse Grenzen gibt, die man beim Spielen, so es denn auch Unterhaltung bieten soll, nicht überschreiten darf. Gewalt gegen Frauen ist meines Erachtens ein solches Tabu-Thema, Rassismus ein anderes. Mit spielerischen Mitteln Bewusstsein wecken und fördern, ja, aber gleichzeitig noch Spass machen, nein.

Dass Spiele mit ernsthaften Themen beides – sowohl Information und Bewusstseinsförderung als auch Unterhaltung – bieten können, zeigt für mich exemplarisch etwa das aus den 1980er Jahren stammende kooperative Brettspiel «Sauerbaum» von Johannes Tranelis. Die Zerstörung der Wälder durch den sauren Regen war damals das zentrale Umweltthema und viele Menschen machten sich deswegen Sorgen. Seine Botschaft, wonach eine Veränderung nur mit vereinten Kräften möglich ist (= didaktisches Element), hat Tranelis in ein spannendes Wechselspiel von Konkurrenz und Kooperation (= Unterhaltung) umgesetzt. Und zwar genau so, wie man es machen müsste.

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Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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Eine Meinung zu

  • am 18.07.2020 um 12:49 Uhr
    Permalink

    Dochdoch, gamifizierter Rassismus kann durchaus Spass machen.
    Selten habe ich so gelacht wie beim spielen vom
    https://www.minderheiten-quartett.de
    Sowas sollte doch auch mit feministischen Themen möglich sein.

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