Kommentar
kontertext: Wort des Tages – Feindseligkeit
Ohne weitere Voraussetzungen zu kennen, muss man eigentlich über das Wort stolpern. Man denkt vielleicht an «glückselig». Oder an «Redseligkeit» und «Leutseligkeit», die man sofort richtig versteht: Jemand fühlt sich wohl beim Sprechen, einer anderen geht unter den Leuten das Herz auf. Auch wenn das Suffix «selig» etymologisch nichts mit der Seele zu tun hat, steckt etwas in diesem Wort, das einen sanft stimmt.
Was also hat es mit der Feindseligkeit auf sich? Die Seligkeit, Feinde zu haben? Wie unterscheidet sich dies von Feindschaft, Feindlichkeit, Aggression, Wut oder «Zerstörungslust»?
Kurzer Blick zurück
Anders als Feindlichkeit erscheint die Feindseligkeit im «Grimmschen Wörterbuch» der deutschen Sprache vor allem in weiblicher Gestalt. So unterscheidet der Artikel an erster Stelle nach dem Alten Testament im 5. Buch Moses in Bezug auf die Vielweiberei «dilecta et odiosa», das geliebte und das feindselige (d.h. das ungeliebte) Weib.
Die Unterscheidung dient der Erklärung, dass bei der Erbfolge das Recht des Erstgeborenen gilt – auch wenn es das Kind der «Feindseligen» sei. Das mag kurios erscheinen, setzt es Feindseligkeit doch in den Bereich des Handhabbaren. Zwar ist nicht klar, auf welcher Seite der quasi ehelichen Beziehung die Feindseligkeit hier genau angesiedelt ist, beim Mann oder beim Weib, aber sie ist integriert in ein Macht- und Beziehungsgeflecht, in welchem es geboten ist, Respekt und Regeln einzuhalten. Und sie besagt, dass man in Feindseligkeit zusammenleben kann, ohne sich zu bekriegen.
So steckt in diesem biblischen Kern der Feindseligkeit tatsächlich eine gewisse Milde. Und auch eine bestimmte Kreativität, die etwa Friedrich Nietzsche leitete, der viel über Hass, Bosheit, Ressentiment und Feindschaft als menschliche Verfasstheit nachgedacht hat – wenn er im Kapitel «Vom Biss der Natter» des «Zarathustra» schrieb: «So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: denn das würde beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angetan hat».
Allein die Möglichkeit mit Feinden paradox umzugehen, statt sie einfach anzugreifen, ist eine zivilisatorische Leistung, die es für Friedensprozesse zu berücksichtigen gäbe und die zu einem tieferen Verständnis der Feindseligkeit passt, die vielleicht einfach zum Menschsein gehört, insofern der Mensch als das «nicht festgestellte Tier» (Nietzsche) seine Vernunft beständig in Spannung sieht zu seinen Instinkten.
Insofern wäre Feindseligkeit (genau wie die französische und englische Entsprechung der hostilité und hostility) der Ausdruck einer Spannung, die entsteht, wenn man Feinde als Teil des Selbst sieht. Ich bin «hostile» oder «feindselig» impliziert nichts weiter, als dass der Feind in mir wohnt. Insofern ist die Feindseligkeit kein fait accompli wie die Feindschaft, die den Feind zur Sache macht, sondern eine Relation, die zu jenem gehört, der sie «hat» und der insofern auch selber dafür verantwortlich ist.
Euphemismen der Gegenwart
Vor dem Hintergrund dieser durchaus psychologischen Dynamik des Begriffs wird fragwürdig, wie er seit längerem im Kontext von Kriegsgeschehen verwendet wird. Nach dem Angriff der Hamas forderte Olaf Scholz etwa in einer wegweisenden Bundestagsrede im Oktober 2023, dass alle Akteure im Konflikt von weiteren «feindseligen Akten» absehen sollen. Was für ein Euphemismus für den blutigen Mord- und Totschlag hier und die Bombardements dort.
Es war die gleiche diplomatische Verbrämung der eigentlichen Verantwortung, wie sie auch in den neutralisierenden Uno-Resolutionen vorkommt, wo sich oft die Forderung «zur Einstellung von Feindseligkeiten auf allen Seiten» findet.
Lange verschleierte der Begriff gerade in Deutschland die völlige Asymmetrie der Gewaltverhältnisse und der Opferzahlen im Nahen Osten. Auch China bedient sich immer wieder des Begriffs. China fordert im Krieg Russlands gegen die Ukraine wiederholt, wenn uns das richtig übersetzt wird, ein «Ende der Feindseligkeit» – in einem Krieg, so einmal der chinesische Aussenminister, der «von unsichtbarer Hand» geführt werde.
Damit beschrieb er eigentlich präzise, wie camouflierend der Begriff der Feindseligkeit eingesetzt wird. Erstens suggeriert er, dass es nicht um kriegerische Akte sondern um diffuse mentale Haltungen gehe. Zweitens verbreitet er den Irrtum, dass man das, was man hat – nämlich Feindseligkeit – einstellen könne.
So hat der Plural «Feindseligkeiten» das alte Wort entwendet, um kriegerische Akte zu mildern. Ein terroristischer Angriff ist keine Feindseligkeit, ebenso wenig wie ein Vernichtungskrieg. Das Militär und die Regierung sind nicht von Feindseligkeit geleitet, sondern von Taktik, Herrsch- und Rachsucht, Zerstörungswut und Kalkül.
Einzelne Soldaten mögen oder müssen sogar feindselig sein, sie aber sind ja selten gemeint mit all den Friedensappellen. Sonst müsste man sie auffordern, alle in toto zu desertieren. Ihre Feindseligkeit könnten sie ja im Gepäck mitnehmen und mit ihr zur «Friedfertigkeit» schreiten. Auch so ein altes Wort, das einer Aktivierung harrt in den Kompetenzrastern der Gegenwart.
Zerstörungslust? Hass?
Um dem auf den Grund zu gehen, was aktuell Menschen feindselig macht, forscht derzeit sowohl die Psychologie wie die Soziologie. Allein in diesem Jahr finden sich neben einer grösseren psychologischen Untersuchung «Warum wir uns hassen: Die Anatomie der biologischen Feindseligkeit und des menschlichen Hasses» das viel beachtete Buch der Soziologen Caroline Amlinger und Oliver Nachtwey: «Zerstörungslust: Warum wollen soviele Menschen die Welt brennen sehen?»
Sie haben nicht die «Feindseligkeit» als Begriff gewählt, sondern die «Zerstörungslust». Der Begriff ist reisserisch, das ist wohl Absicht. Denn das, was die beiden untersuchen und auch finden in den vielen von ihnen geführten Interviews und den kontextuellen Analysen, sind Ressentiments, Feindseligkeit und zuweilen auch Hass. Die These der Zerstörungslust akzentuiert also eine Radikalisierung, wie sie sich am deutlichsten bei den Stürmen auf demokratische Regierungsgebäude in den USA oder Brasilien gezeigt hat.
Ob Männer (die hauptsächlich «Zerstörungslustigen») die sich in ihrem Wohlstands- und Aufstiegswunsch betrogen sehen und die deshalb AfD wählen, sich vom Buchtitel «Zerstörungslust» angesprochen fühlen? Wie lebte es sich schon angenehm mit Zerstörungslust oder mit einem Zerstörungslustigen? Insofern markiert der Begriff der beiden Soziologen eine Verschiebung auf der Ebene der Affekte: Mit Feindseligkeit könnte man leben, Zerstörungslust aber will Zerstörung in die Tat umsetzen. Sie ist also gefährlich und als «demokratischer Faschismus» weit entfernt von – Friedfertigkeit.

Friedfertigkeit
Wünschen wir uns also aufs Jahresende etwas ebenso Altes wie Unterschätztes zurück: die Friedfertigkeit. Warum nicht eine soziologische Untersuchung zur «Friedfertigkeit»? Zur Fähigkeit und Bereitschaft, Frieden zu stiften, zu suchen, zu leben? Sie gehörte zuoberst auf der Liste der Kompetenzen und Fertigkeiten im Bildungswesen, ist sie doch verbunden mit Hoffnung.
Zohran Mamdanis Antrittsrede war vielleicht ein kleiner Akut in dieser Sache. Er schaffte es, New Yorks Einwohnerschaft rundum zu danken, ohne irgendjemanden als Feind zu adressieren. Man braucht jetzt eine Zeit, um zu ermessen, was diese Bereitschaft des neuen Bürgermeisters zu Aufbruch, Licht und eben auch Friedfertigkeit in den feindseligeren Gefilden New Yorks bewirken kann.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Silvia Henke ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie unterrichtet an der Hochschule Luzern Design & Kunst u.a. Kunst und Politik und visuelle Kultur. Forschungsschwerpunkte sind Kunst und Religion, künstlerisches Denken, transkulturelle Kunstpädagogik. Sie interessiert sich grundsätzlich für die Widersprüche der Gegenwart, wie sie auch in der Medienlandschaft auftauchen, und veröffentlicht regelmässig Texte und Kolumnen in Magazinen und Anthologien.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.








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