Gaza

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 78 Prozent aller Gebäude im Gazastreifen zerstört oder beschädigt worden. © ARD

Zerstörungskrieg in Gaza macht Wiederaufbau schier unmöglich

Hannes Britschgi /  Riesige Mengen von Schutt, tausende Blindgänger, ein weites Tunnelsystem und verseuchtes Wasser stellen Gazas Zukunft in Frage.

Am 10. Oktober hat die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) die grössten materiellen Hürden für den Wiederaufbau Gazas in einem eindrücklichen Überblick zusammengestellt. Die «NZZ» schreibt: «Wo Wohnblöcke einst dicht an dicht standen, erstreckt sich heute eine Trümmerwüste.» Laut der deutschen Analysefirma Vertical 52, die Satellitendaten auswerte, seien seit dem 7. Oktober 2023 «78 Prozent aller Gebäude im Gazastreifen zerstört oder beschädigt worden».

Für Fachleute sei es überhaupt nicht klar, dass sich der Gazastreifen wieder bewohnbar machen lasse. Die «NZZ» zählt vier gigantische Herausforderungen auf:

Gaza Krieg
Illustration zu den Umweltschäden in Gaza

Der Schutt

Die Vereinten Nationen würden aufgrund von Satellitendaten von mehr als 53 Millionen Tonnen Trümmermaterial ausgehen. Auf den Quadratmeter des Küstenstreifens gerechnet sind das 147 Kilogramm Schutt*. Allein die Räumungsarbeiten, schätze die Uno, würden bis zu zwei Jahrzehnte dauern. Ganz abgesehen davon, dass Israel zurzeit kein schweres Gerät wie Bagger, Bulldozer und Kräne in Gaza reinlasse, aus Angst, die Hamas könnten sie militärisch nutzen. Ein weiteres Problem sei Asbest. Die Uno gehe von rund 800’000 Tonnen kontaminiertem Schutt aus. Das werfe natürlich die Frage der Entsorgung und Deponie auf.

Die Blindgänger

Tausende Blindgänger stellten für die Bevölkerung ein tödliches Risiko dar. Eine Faustregel besage, dass zehn bis zwölf Prozent aller Bomben und Granaten nicht explodieren. Laut eigenen Angaben hat die israelische Luftwaffe bereits im ersten Kriegsjahr 40’000 Angriffe geflogen. Allein daraus lasse sich ableiten, dass aus dieser Kriegsphase bereits rund 4000 Blindgänger herumliegen, im Schutt begraben sind oder irgendwo im Boden stecken. Panzer- und Artilleriegranaten und andere explosive Munition nicht mitgerechnet.

Nicholas Orr, Experte für Sprengstoffbeseitigung, sei in den zwei Kriegsjahren mehrfach im Gazastreifen gewesen und berichtete: «Ich habe überall Blindgänger gesehen: auf Hausdächern, in Innenhöfen, in Schulhäusern. Dazu kommt, dass viele Bomben tief in der Erde stecken.»

Die Tunnel

Der Boden des Küstenstreifens, schreibt die «NZZ», sei generell instabil, bestehe er doch vor allem aus Sand, Sediment und Kalksandstein. Das komplexe und weite Tunnelsystem der Hamas, Schätzungen gehen von 700 Kilometer in Länge und bis zu 70 Meter Tiefe aus, würde den Untergrund zusätzlich instabil und für künftige Bauprojekte schwierig machen. Zwar habe die israelische Armee in den Kriegsjahren Hamas-Tunnel gesprengt oder zum Teil sogar mit Beton ausgefüllt, aber das Problem des ganzen Systems bleibe.

Das Wasser

90 Prozent der Wasserversorgung im Gazastreifen stamme aus dem Grundwasser. Weil es übernutzt wurde, sei es brackig, sprich salzig, geworden. Die Situation habe sich noch drastisch verschlimmert, seien doch bereits in den Anfangsmonaten des Kriegs rund 60 Prozent aller Wasserpumpen, Entsalzungs- und Kläranlagen zerstört worden. «Der Krieg hat eine toxische Mischung freigesetzt: Chemikalien, Fäkalien, Munitionsreste, Schwermetalle und verwesende Leichen unter den Trümmern haben vielerorts den Boden und damit das Grundwasser vergiftet», schreibt die «NZZ» weiter. 70 Prozent der Bevölkerung in Gaza würden heute regelmässig salzhaltiges und dreckiges Wasser trinken – mit schweren gesundheitlichen Folgen.

Laut Schätzungen der Uno könnte der Wiederaufbau bis zu 80 Jahre dauern und bis zu 133 Milliarden Dollar kosten. Offen bleibe, wer in Gaza investieren wolle, wenn der Krieg nicht endgültig beendet und der nächste Konflikt nur eine Frage der Zeit sei.

*Leser haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Mengenangabe zum Trümmermaterial und bei der Umrechnung etwas nicht stimmen könne. Richtig! Wir haben die Zahlen korrigiert.

Zum vollständigen Artikel der «NZZ» geht es hier.


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