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Kommunikation unter Kontrolle: ein Blick auf Pakistans Hauptstadt Islamabad. © cc-by-sa-4 Naveed Sharif

Pakistan überwacht Bevölkerung mit europäischer Technologie

Timur Vorkul /  Gemäss Amnesty International hat das Land eines der umfangreichsten staatlichen Überwachungssysteme ausserhalb Chinas aufgebaut.

psi. Dieser Beitrag erschien auf netzpolitik.org (Creative Commons-Lizenz BY-NC-SA 4.0). Das Non-Profit-Medium wird hauptsächlich durch Leserspenden finanziert.

Pakistan überwacht Millionen seiner Einwohnerinnen und Einwohner auch mit in Deutschland entwickelten Technologien, das geht aus einem Anfang September veröffentlichten Bericht von Amnesty International hervor. Auch andere europäische und ausländische Unternehmen versorgen die pakistanischen Behörden mit hochentwickelten Werkzeugen zur Massenüberwachung und Internetzensur.

Mit dem Telefonüberwachungssystem Lawful Intercept Management System (LIMS) erfassen die pakistanischen Sicherheitsbehörden Standort, Anrufe, Textnachrichten sowie den Browserverlauf von mindestens vier Millionen Mobiltelefonen gleichzeitig. LIMS erlaubt zu sehen, welche Webseiten Nutzerinnen und Nutzer aufrufen, selbst wenn diese oder ihre Teile verschlüsselt sind. Das System gewährt dem pakistanischen Militär und den Geheimdiensten direkten Zugriff auf die Daten von Telekommunikationskunden, da es in die Telekommunikationsnetze der privaten Anbieter direkt eingebaut ist. Zur Identifikation bedarf es lediglich der Handynummer.

Kontrolle von Handys und Internet

Zudem blockieren Geheimdienste mit einer in China entwickelten Firewall-Technologie (WMS 2.0) Virtual Private Networks (VPN), die zur Umgehung von Zensur genutzt werden können, sowie unliebsame Webseiten. Die Behörden können mit der Technologie auch den Internetverkehr drosseln.

Amnesty beschreibt diese Kombination an Technologien als Wachtürme, die ständig das Leben gewöhnlicher Menschen ausspionieren. Sie machen es laut der Menschenrechtsorganisation der Regierung möglich, Dissidentinnen und Dissidenten zu überwachen, zum Schweigen zu bringen und grundlegende Menschenrechte systematisch zu verletzen.

«Weil es in Pakistan an technischen und rechtlichen Schutzmassnahmen mangelt, ist LIMS in der Praxis ein Instrument rechtswidriger und unterschiedsloser Überwachung», heisst es in dem Bericht. Die Geheimdienste nutzen LIMS, ohne dafür einen richterlichen Beschluss eingeholt zu haben – eine gesetzlich vorgeschriebene Mindestanforderung, die von den pakistanischen Behörden jedoch in gewohnter Manier ignoriert wird.

Überwachung made in Aachen

Pakistan hat in den letzten Jahren eine tiefgreifende Überwachungsinfrastruktur aufgebaut und dabei auf eine globale Lieferkette von Überwachungstechnologien zurückgegriffen. Der Grossteil der Technologie, die LIMS in Pakistan ermöglicht, kommt von zwei Unternehmen: dem deutschen Utimaco mit Sitz in Aachen und dem emiratischen Datafusion mit Niederlassung in Deutschland. Mit LIMS von Utimaco durchsuchen die Behörden die Daten der Telekommunikationskunden, die dann über Überwachungszentren von Datafusion zugänglich gemacht werden. Mit Hilfe von Handelsdaten konnte Amnesty nachweisen, dass LIMS über das Unternehmen aus den Arabischen Emiraten an Pakistan geliefert wurde. Das System wird in Pakistan schon seit 2007 eingesetzt.

Die Internet-Firewall wurde erstmals 2018 in Betrieb genommen und stammte von einem kanadischen Unternehmen namens Sandvine (jetzt AppLogic Networks). Fünf Jahre später wurde sie durch eine fortgeschrittene Technologie vom chinesischen Unternehmen Geedge Networks ersetzt, das Verbindungen zu chinesischen Staatsunternehmen unterhält. Die US-amerikanische Firma Niagara Networks und die französische Firma Thales lieferten die unterstützende Infrastruktur.

Laut Amnesty handelt es sich bei der von Geedge Networks entwickelten Technologie um eine kommerzielle Version von Chinas «Großer Firewall», die nun auch ausserhalb des Landes zum Einsatz kommt. Die «Großer Firewall» ist ein umfangreiches staatliches Zensur- und Überwachungssystem, mit dem die chinesische Regierung unerwünschte ausländische Seiten sperrt und die gesamten Aktivitäten der Bevölkerung im Internet kontrolliert.

Verwantwortung der Unternehmen und Exportländer

Datafusion erklärte gegenüber Amnesty, dass die Überwachungszentren ausschliesslich an gesetzlich legitimierte Behörden verkauft werden und man selbst LIMS nicht herstelle. Utimaco weigerte sich seinerseits, seine Verbindungen zu Datafusion offenzulegen und berief sich auf Geschäftsgeheimnisse. Beide vermieden es, auf die Enthüllungen der Menschenrechtsorganisation einzugehen.

Unklar bleibt, welche Ausfuhrgenehmigungen für den Export von LIMS durch Utimaco beantragt oder erteilt wurden. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle äußerte sich nicht zu dem Fall. Die deutsche Regierung lehnte es ebenfalls ab, Auskunft über Ausfuhrgenehmigungen zu geben.

Amnesty hält fest, dass der Handel mit Überwachungstechnologien in Deutschland, der EU und weltweit weiterhin unzureichend kontrolliert ist.

Überwachung als politische Waffe

Pakistan gilt seit Langem als Land mit massiver Internetüberwachung und Informationskontrolle. Laut der Menschenrechtsorganisation hat sich die politische Lage im Land, in dem Meinungsfreiheit stark eingeschränkt, Oppositionelle willkürlich verhaftet und verschleppt werden, mit dem ungebremsten Export von Überwachungstechnologien weiter verschärft.

Seit dem Sturz des ehemaligen Premierministers Imran Khan im Jahr 2022 sind Oppositionelle von Massenverhaftungen betroffen. Am Obersten Gerichtshof in Islamabad wird aktuell der Fall von Khans Frau Bushra Bibi verhandelt, nachdem private Telefongespräche von ihr online geleakt worden waren.

Lokale Mobilfunk- und Internetabschaltungen sind besonders häufig in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. In lokalen Bezirken ist das Internet teilweise über Jahre gesperrt. Aktivistinnen und Aktivisten in beiden Provinzen berichten, dass diese Abschaltungen oft dazu genutzt werden, Proteste und politische Kundgebungen zu stören und Verschleppungen zu verdecken. Das Militär weist diese Vorwürfe zurück.

Die einjährige Untersuchung hat Amnesty in Zusammenarbeit mit Paper Trail Media, DER STANDARD, Follow the Money, The Globe and Mail, Justice For Myanmar, InterSecLab und dem Tor Project durchgeführt. Die Ergebnisse beruhen einerseits auf öffentlich zugänglichen Handelsdaten internationaler Unternehmen und andererseits auf einem 600 GB grossen Datenleak des chinesischen Unternehmens Geedge Networks.


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Keine. Timur Vorkul ist Volontär bei netzpolitik.org.
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