Iren streiten wie Schweizer um die militärische Neutralität
Die irische Regierung möchte das ändern und das geltende «Triple Lock»-Gesetz abschaffen. Es sieht vor, dass Irland nur dann mehr als zwölf Soldaten ins Ausland schicken darf – auch für Friedenseinsätze –, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
- Beschluss der irischen Regierung;
- Beschluss des Unterhauses des irischen Parlaments;
- Ein Mandat der Uno (Sicherheitsrat oder UN-Generalversammlung).
An Friedenseinsätzen der Uno hat Irland regelmässig teilgenommen: im Kongo, in Zypern, Libanon Somalia, Eritrea, Liberia, Osttimor, Tschad und Syrien.
Doch Irland ist seiner Linie der militärischen Neutralität stets treu geblieben und beteiligte sich nie an militärischen Einsätzen, die nicht von der Uno beschlossen wurden.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine möchte sich die Regierung des EU-Landes Irland am starken Engagement der EU und der Nato beteiligen und schlägt deshalb vor, die militärische Neutralität aufzugeben. Das hat in Irland zu zahlreichen Protesten der Oppositionsparteien und der Zivilgesellschaft geführt.
Ein Gegner der Abschaffung von «Triple Lock» ist Anthony Coughlan, emeritierter Professor am Trinity College Dublin und Sprecher der EU-kritischen «National Platform». Im Folgenden ein Interview, das wir von «German-Foreign-Policy» leicht gekürzt übernehmen.
German-Foreign Policy: Was bedeutet die Neutralität für die irische Bevölkerung?
Anthony Coughlan: Irland war im Zweiten Weltkrieg ein neutraler Staat, wie auch die Schweiz und Schweden. Es ist der Nato nicht beigetreten, als Amerika 1949 dieses Militärbündnis gründete. Die Ablehnung der Beteiligung an ausländischen Kriegen und internationalen Militärbündnissen ist seit der Gründung des irischen Staates im Jahr 1921 ein Kernelement des irischen Nationalgefühls. Vor diesem Datum wurde Irland von Grossbritannien regiert und war Teil des Vereinigten Königreichs und des britischen Empire.
Es besteht kaum der Wunsch, an der Seite Grossbritanniens in Kriege verwickelt zu werden. Gleichzeitig hat die kleine irische Armee eine stolze Tradition, an friedenserhaltenden Missionen der Uno im Ausland teilzunehmen. Die offiziellen Militärausgaben Irlands sind verhältnismässig die niedrigsten aller EU-Mitgliedstaaten.
Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat jedoch die irische Einstellung beeinflusst. Die Meinung der irischen Elite und der Medien ist stark europhil.
In der irischen Öffentlichkeit wächst die Sorge, dass die Militarisierung der Europäischen Union, insbesondere seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Jahr 2022, die irische Neutralität schwächen und das Land in Kriege hineinziehen könnte, die eher den Interessen mächtiger Kräfte in Deutschland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den USA als denen Irlands entsprechen.
Was ist der Triple Lock?
Die irischen Wähler lehnten 2001 in einem Referendum den EU-Vertrag von Nizza ab, weil sie befürchteten, dass die Entwicklung hin zu einer gemeinsamen Aussen- und Militärpolitik der EU die irische Neutralität untergraben würde. Damit die Iren in einem zweiten Referendum im Jahr 2002 den Vertrag von Nizza doch noch annehmen, gab die irische Regierung das Versprechen ab, dass irische Truppen an ausländischen Militäroperationen nur teilnehmen würden, wenn diese (a) von der irischen Regierung, (b) vom irischen Parlament und (c) von der Uno in einem Votum des Sicherheitsrats oder der UN-Generalversammlung gebilligt wären. Das ist die dreifache Sperre.
Das Gleiche geschah 2008, als es um den Vertrag von Lissabon ging, mit dem die EU-Verfassung umgesetzt wurde. Irland war der einzige EU-Mitgliedstaat, der ein Referendum über Lissabon abhielt, weil seine nationale Verfassung dies vorschrieb. Als die irischen Wähler den Vertrag von Lissabon ablehnten, wiederum hauptsächlich wegen der Bedenken über die möglichen Auswirkungen des Vertrags auf die irische Neutralität, wiederholte die Dubliner Regierung ihre Triple-Lock-Verpflichtung, um genügend Menschen davon zu überzeugen, ihre Meinung in einem zweiten Referendum im Jahr 2009 zu ändern.
Nachdem die irischen Wähler 2002 den Vertrag von Nizza und 2009 den Vertrag von Lissabon angesicht des Versprechens ratifiziert hatten, die Dreifachverriegelung beizubehalten, will die irische Regierung sie nun abschaffen. Der Grund dafür ist, dass sie in der Lage sein möchte, an künftigen EU-Militäroperationen teilzunehmen, die nicht die Zustimmung der Vereinten Nationen benötigen.
Respektierten die irischen Regierungen die Neutralitätspolitik?
In Irland wie auch in den anderen EU-Mitgliedsstaaten unterstützen die Regierungseliten des Landes seit Jahrzehnten die Verlagerung von immer mehr gesetzgeberischen, exekutiven und richterlichen Befugnissen der Regierung von der nationalen Ebene, wo diese unter demokratischer Kontrolle des Volkes stehen, auf die supranationale Ebene in Brüssel und Frankfurt, wo die EU im Wesentlichen von nicht gewählten Gremien regiert wird. Irlands traditionelle Neutralitätspolitik und die Triple-Lock-Verpflichtung sind grosse Hindernisse für diesen Verzicht auf dem Gebiet der Aussen- und Militärpolitik.
Die irische Neutralitätspolitik wird allmählich und schleichend ausgehöhlt. So hat Irland den US-Kriegsflugzeugen erlaubt, den Flughafen Shannon ohne Inspektion zu benutzen. Diese dürfen keine bewaffneten Soldaten oder Munition auf ihrem Weg in den Nahen Osten transportieren, aber es wird allgemein angenommen, dass sie dies tun. Irland beteiligt sich an der gemeinsamen Aussen- und Verteidigungspolitik der EU und an EU-Projekten, zu denen auch der gemeinsame Kauf von Militärwaffen gehört. Irland hat wegen des Ukraine-Kriegs für EU-Wirtschaftssanktionen gegen Russland gestimmt und hilft bei der Ausbildung ukrainischer Soldaten in angeblich „nicht-tödlichen“ Tätigkeiten wie Minenräumung, Kampfmedizin und Ausbildung in Militärtaktik. Aber das Triple Lock hindert sie daran, irische Soldaten tatsächlich in den Kampf in der Ukraine zu schicken.
Warum will die irische Regierung die Dreifachverriegelung abschaffen?
Die Dreifach-Sperre bedeutet, dass Irland ohne UN-Mandat keine irischen Soldaten zu Kampfeinsätzen ins Ausland schicken kann. Da Schweden und Finnland nach dem Beginn des Ukraine-Krieges der Nato beigetreten sind, bleiben nur Irland, Österreich und Malta als „neutrale“ EU-Staaten übrig. Aufgrund seiner geringen Grösse könnte Irland keinen nennenswerten militärischen Beitrag zu EU- oder Nato-Operationen leisten.
Aber seine Neutralität ist symbolisch wichtig. Die Beibehaltung des Triple Lock ist der deutlichste Beweis dafür, dass Irland noch einen Rest an Unabhängigkeit gegenüber der EU besitzt.Seit Anfang 2022 unterstützen Irlands Eliten zusammen mit den anderen EU-Staaten den Stellvertreterkrieg der USA und der Nato gegen Russland in der Ukraine mit aller Kraft.
Vor diesem Hintergrund plant die EU-Kommission, in den nächsten zehn Jahren 800 Milliarden Euro für Rüstungsgüter in den EU-Mitgliedstaaten auszugeben (ReArm Europe 2025). Am 29. Mai wurde ein EU-Gesetz verabschiedet, um einen zentralen EU-Fonds in Höhe von 150 Milliarden Euro für militärische Anschaffungen in den kommenden fünf Jahren einzurichten. Die Wohlfahrtsstaaten (Welfare States) der EU müssen zu Kriegsführungsstaaten (Warfare States) werden. Die Generäle und Obersten der kleinen irischen Armee – etwa 7.000 Soldaten, weniger als eine Division stark – sind davon ziemlich begeistert. Karrierechancen und die Aussicht auf lukrative Posten in der EU-Militärbürokratie locken sie. Die Militarisierung der EU ist das Schlagwort der Stunde, und die irischen Eliten, beseelt von ihrer üblichen unkritischen Europhilie, sind bestrebt, sich voll daran zu beteiligen. Das Haupthindernis, das sich ihnen in den Weg stellt, ist die starke Bindung der irischen Öffentlichkeit an die traditionelle Neutralitätspolitik des Staates, für die der Triple Lock von zentraler Bedeutung ist.
Welche konkreten Folgen hätte es, wenn das irische Parlament, der Dáil, den Triple Lock abschaffen würde?
Die Abschaffung des Triple Lock würde bedeuten, dass die feierliche nationale Erklärung, die Irland beim Referendum über den Vertrag von Nizza 2002 und beim Referendum über den Vertrag von Lissabon 2009 abgegeben hat, nämlich dass Irland nur dann an ausländischen Militäreinsätzen teilnehmen würde, wenn diese ein Mandat der Vereinten Nationen hätten, nicht mehr gilt. Diese nationale Erklärung wurde von den anderen EU-Staaten in der Erklärung von Sevilla im selben Jahr positiv aufgenommen. Beide Erklärungen wurden bei der Ratifizierung des Vertrags von Nizza formell bei den Vereinten Nationen registriert. Für diese Triple-Lock-Verpflichtung gab es keine zeitliche Begrenzung. Die irischen Bürger stimmten auf der Grundlage dieses Versprechens für die Ratifizierung des Vertrags von Nizza und später des Vertrags von Lissabon sowie der EU-Verfassung. Würde die irische Regierung die Triple-Lock-Verpflichtung jetzt aufkündigen, wäre das sowohl gegenüber ihren eigenen Bürgern als auch gegenüber den anderen EU-Staaten unehrlich. Es würde Fragen hinsichtlich Irlands Vertrauenswürdigkeit gemäss den Wiener Übereinkommen über die Rechtmässigkeit der Verträge aufwerfen.
Ohne die Dreifachverriegelung hätte sich Irland 2003 am Irak-Krieg wegen Saddam Husseins angeblicher Massenvernichtungswaffen beteiligen können. Oder am Krieg zur Absetzung der Gaddafi-Regierung in Libyen im Jahr 2011, für den es kein UN-Mandat gab. Oder welche militärischen Abenteuer auch immer Deutschland, Frankreich oder der Rest der EU im kommenden Jahrzehnt gegen Russland starten wollen. Oder ein kriegerisches Grossbritannien an ihrer Seite.
Wie gross sind die Chancen, dass Irland die Neutralität aufgibt?
Die irische Regierung hat den Ausschuss für Verteidigung und nationale Sicherheit des irischen Parlaments gebeten, den Vorschlag zur Abschaffung der Dreifachverriegelung einer „prälegislativen Prüfung“ zu unterziehen. Die Regierung verfügt über eine ausreichend grosse parlamentarische Mehrheit, um die Abschaffung durchzusetzen, wenn ihre Mitglieder geschlossen bleiben. Doch die Regierung ist über eine mögliche interne Rebellion gegen diesen Schritt besorgt ist. Ich habe vor kurzem im Namen eines EU-Forschungs- und Informationszentrums, dem ich angehöre, eine Eingabe an diesen Ausschuss gemacht. Darin wurden die Argumente für die Beibehaltung des Triple Locks dargelegt.
Irlands Triple Lock wird nicht ohne einen Kampf derjenigen Iren aufgegeben werden, die gegen die Aufrüsterei der EU sind, die den Krieg in der Ukraine beenden und einen neuen Kalten Krieg mit Russland auf unserem Kontinent verhindern wollen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ihre Meinung
Lade Eingabefeld...