Beton mit Löchern gegen Stadtlärm
Lionel Pousaz ist Journalist und Berater für Wissenschaftskommunikation. Er leitete u. a. das Presseteam der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne. Sein Originalartikel erschien in «Horizonte» Nr. 145 (Juni 2025), dem Forschungsmagazin des Schweizerischen Nationalfonds und der Akademien der Wissenschaften Schweiz.
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Ein Beton mit vielen Hohlräumen, der im urbanen Raum Lärm einfängt und gleichzeitig zur Biodiversität beiträgt, indem er Lebensraum für kleine Pflanzen- und Tierarten bietet: Das ist das Projekt von Vasily Sitnikov, Postdoktorand an der ETH Zürich. Er giesst dazu Beton um Formen aus Eis. Ist das Eis geschmolzen, bleibt eine poröse Betonstruktur zurück.
Der Materialforscher hat nun das Startup Ice Formwork gegründet und will dieses Verfahren weiterentwickeln. Zurzeit lotet er das kommerzielle Potenzial mit privaten Akteuren aus den Bereichen Bauwesen, Stadtplanung und Umweltschutz aus.
Auf die Idee, Eis für die Erzeugung von Hohlräumen in Beton zu verwenden, kam er erstmals, als er noch in Schweden an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm war. Herkömmliche Verfahren eigneten sich schlecht für sein Projekt. Durch das Einblasen von Gas in noch flüssigen Beton entstehen zwar ebenfalls Hohlräume, sie sind aber zu klein, um nieder- und mittelfrequenten Schall zu absorbieren, der für städtischen Lärm typisch ist. Der 3D-Druck wiederum eignet sich nicht für eine Massenproduktion.
«Damals experimentierten einige Kollegen mit synthetischem Wachs, um Vertiefungen im Beton zu erzeugen», erzählt Sitnikov. «Ich fragte mich, ob wir etwas Umweltfreundlicheres als das petrochemische Material verwenden könnten, und kam auf Wasser. Es war ein etwas gewagtes Experiment.»
Aushärtungstemperatur senken
Die grösste Herausforderung bestand darin, einen Beton zu finden, der unterhalb des Gefrierpunkts aushärtet. Herkömmliches Material braucht mindestens fünf Grad Celsius zum Aushärten, bei dieser Temperatur schmilzt jedoch die Eisform, bevor sich der Beton verfestigen kann. Der Postdoktorand hat daher verschiedene chemische Zusätze entwickelt, durch die Beton auch bei Temperaturen zwischen minus zehn und minus fünf Grad aushärten kann.
Um die akustischen Eigenschaften des Materials zu verändern, variierte der Forscher die Grösse der Vertiefungen im fertigen Betonelement. Ziel war die Absorption nieder- bis mittelfrequenter Schallwellen zwischen 250 und 4000 Hertz. «Das ist typischerweise der Frequenzbereich, der durch den Autoverkehr erzeugt wird, beispielsweise durch das Geräusch eines Reifens auf der Strasse.» Mit Mikrofonen mass Sitnikov die Absorption und die Reflexion von Schallwellen bei den Betonelementen mit Seitenlängen von einem Meter und einer Tiefe von 20 Zentimetern.
Da Beton die für den Menschen ebenso hörbaren höherfrequenten Töne nicht filtert, wollte der Forscher das Netz aus Vertiefungen nutzen, um darin nach dem Vorbild eines vertikalen Gartens Pflanzen wachsen zu lassen. Vegetation absorbiert nämlich gerade dieses Frequenzspektrum von Lärm.
Nischen für Tiere und Pflanzen
Dabei entdeckte er eine völlig unabhängige und ergänzende Anwendung für seinen Beton: Förderung der biologischen Vielfalt. Neben Pflanzen können auch kleine Tiere im Hohlraumsystem des Materials gedeihen. Eine interessante Eigenschaft für den städtischen Raum – und auch für marine Ökosysteme. «Wir arbeiten mit Biologen an einem Konzept für künstliche Riffe», freut sich Sitnikov.
Auch wenn das Verfahren selbst nach Ansicht seines Erfinders in erster Linie eine Nische bedient, besteht ein reales industrielles Potenzial. «Es kann in grossem Massstab in Fabriken und sogar direkt auf Baustellen eingesetzt werden – vorausgesetzt, es ist genug Platz vorhanden, um einen Kühlcontainer aufzustellen », erklärt Sitnikov. Und weiter: «Es können schlicht Vorrichtungen für den gekühlten Transport eingesetzt und die Produkte dort installiert werden.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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