Giftmüllexporte: Wie die USA ihren Abfall bei Nachbarn abladen
Zuletzt eskalierte die Lage im kanadischen Quebec. Dort ketteten sich Mitte April Aktivistinnen und Aktivisten an ein Tor, um Bauarbeiten zur Erweiterung einer Abfalldeponie zu verhindern.
Alle Bemühungen, 67 Hektaren Moor und Wald vor den Baggern zu schützen, waren zuvor gescheitert. Aus Natur- und Nistgebieten beim Ort Blainville, einem Vorort von Montreal, wird in Zukunft eine Deponie für gefährliche Abfälle. Diese stammen zu guten Teilen aus dem Nachbarland USA.
Umweltschützer fürchten um wertvolles Naturgebiet
Nach Zahlen, die die Organisation Eau Secours zusammengetragen hat, gelangten zwischen 2018 und 2022 rund 1,5 Millionen Tonnen giftige Abfälle aus den USA nach Kanada, davon 835’000 Tonnen in die Provinz Quebec. 386’000 Tonnen hat das Unternehmen Stablex in Blainville deponiert. Die giftigen Abfälle kämen teilweise sogar aus Texas, schrieb das «Journal de Quebec».
Werde nicht umgehend mit dem Erweiterungsbau begonnen, könne die Deponie schon 2027 keine Abfälle mehr annehmen, kündigte der Importeur und Deponiebetreiber Stablex im vergangenen Jahr an. Unabhängige Einschätzungen gehen von 2030 aus.
Umstrittene Erweiterung trotz alternativer Vorschläge
Die Gemeinde Blainville schlug vor, Stablex könne stattdessen eine ökologisch weniger wertvolle Brache in der Nähe nutzen. Diese sei ursprünglich auch für die Erweiterung vorgesehen gewesen. Blainville weigerte sich mehr als ein Jahr lang, das ökologisch wertvollere Moorgelände zu verkaufen.
Mitte März wurde bekannt, dass Stablex durch die Überbauung des Moors 100 Millionen Dollar spart, das heisst: durch die Enteignung Blainvilles. Das Unternehmen erwartet zwischen 2023 und 2032 ungefähr ein Drittel der Deponiemenge aus den USA, 12 Prozent aus anderen kanadischen Provinzen und 59 Prozent von Unternehmen in Quebec.
Stablex, ein Tochterunternehmen des US-Konzerns Republic Services, setzte sich durch. Dabei halfen die Sorgen der kanadischen Industrie, ihre Abfälle bald nicht mehr loszuwerden. Am 27. März stimmte die Regierung von Quebec der umstrittenen Stablex-Erweiterung zu.
«Wie können wir es akzeptieren, der Mülleimer für die Vereinigten Staaten zu sein?»
Martine Ouellet, ehemalige Ministerin für natürliche Ressourcen und Vorsitzende der Partei Climat Québec
Der Widerstand in der Bevölkerung wie auch bei den Oppositionsparteien ist dennoch erheblich. «Wie können wir es akzeptieren, der Mülleimer für die Vereinigten Staaten zu sein?», fragte beispielsweise Martine Ouellet, ehemalige Ministerin für natürliche Ressourcen und Vorsitzende der Partei Climat Quebec, gegenüber dem «Guardian».

Es begann ein Wettlauf mit der Zeit – ab dem 15. April verbieten kanadische Naturschutzgesetze das Fällen von Bäumen, damit Nistplätze nicht gefährdet werden. Am 2. April scheiterte Blainville vor einem höheren Gericht mit der Klage gegen die bevorstehende Enteignung.
Die Auseinandersetzung eskalierte. Auch vor dem Hintergrund der US-Zollforderungen und Donald Trumps Ankündigungen, Kanada am liebsten in die USA integrieren zu wollen. Die Provinz Quebec kapituliere mitten in einem Zollkrieg, sagen Gegner der Erweiterung. Kanada und insbesondere Quebec sei nicht der Abfallkübel der USA.
Am 6. April gab es grosse Demonstrationen gegen die Stablex-Erweiterung, am 10. April wurde das Büro der Ministerin für natürliche Ressourcen, Blanchette Vézina, verwüstet. Die Vandalen hinterliessen ein Graffiti und einen Brief, der mit «ein enttäuschter und wütender Steuerzahler» unterzeichnet war.

Am 12. April ketteten sich Aktivist:innen am Zugang zum Neubaugelände an, um die Bauarbeiten zu blockieren. Am 16. April wies auch das Berufungsgericht den Antrag Blainvilles zurück.
Stablex hatte bereits Anfang April angefangen, die ersten Bäume zu roden. Ein für Tiere einst gastliches Habitat habe sich in eine Baustellenwüste verwandelt, beschreibt das Medium «The Rover».

Ob es in Zukunft ruhig bleibt, kann niemand sagen. Zahlreiche Umweltorganisationen engagieren sich gegen den Ausbau. Stablex hat eine private Sicherheitsfirma engagiert, die Protestierende fotografiert und versucht, sie zu verscheuchen.
Die Umweltorganisation Mères au Front hat in Wasserproben aus der Umgebung der bestehenden Deponie grosse Mengen Cadmium sowie hohe Konzentrationen an Kupfer, Chrom, Arsen und Nickel nachgewiesen. Stablex versichert, die Deponie stelle kein Risiko für die Umwelt dar, auch das Umweltministerium Quebecs hat in der Vergangenheit stets beschwichtigt.
Nicht nur in Blainville gibt es Probleme
Auch im Ort Rouyn-Noranda im Westen von Quebec gibt es Proteste. Dort allerdings wegen einer Recyclingfabrik für Elektroschrott, die Glencore gehört. Sie verarbeitet Elektronikabfälle aus der ganzen Welt, vor allem aus den USA. In der Gegend gibt es überdurchschnittlich viele Krebserkrankungen. In den Fingernägeln von Kindern aus der Umgebung wurden hohe Arsenkonzentrationen gefunden. Als Gegenmassnahme will die Regierung nun Familien umsiedeln.
Kanada ist nicht der einzige Schauplatz solcher Konflikte. Die USA exportieren jedes Jahr mehr als eine Million Tonnen gefährliche Abfälle ins Ausland. Von 2018 bis 2022 haben die Giftmüllexporte um 17 Prozent zugenommen.

Betroffen seien vor allem die Nachbarländer Mexiko und Kanada, aber auch das weit entfernte Südkorea. Das zeigt eine Recherche von «Guardian» und «Quinto Elemento Lab». Auch im mexikanischen Monterrey finden sich Blei, Cadmium und Arsen in der Nähe eines Recyclingunternehmens, das giftige Stäube aus der US-Stahlindustrie verarbeitet. Anders als Kanada akzeptiert Mexiko aber nur Abfälle zur Aufbereitung, kein Deponiematerial.
An der US-Grenze hört die Unternehmensverantwortung auf
Für US-Unternehmen ist der Abfallexport bequem, weil das Gesetz es ihnen einfach macht. Nach US-amerikanischem Recht sind Unternehmen, die gefährliche Abfälle produzieren, über den gesamten Entsorgungsweg verantwortlich – von der Entstehung bis zur Entsorgung der problematischen Abfälle. Diese Verantwortlichkeit endet an der Grenze.
Der Abfallhandel funktioniere wie jeder andere auch, fasst Tim Whitehouse, ehemals Anwalt der US-Umweltschutzbehörde EPA, gegenüber dem «Guardian» zusammen: «Der Händler weiss, wohin er ihn [den Abfall] schicken muss. Er findet den günstigsten Ort. Oft dort, wo die Vorschriften am schwächsten sind.»
Gesundheitsrisiken durch giftige Bleiabfälle
Bleihaltige Batterien aus den USA, wie sie zum Beispiel in Autos verwendet werden, werden häufig im Ausland rezykliert. Neben Mexiko ist Südkorea der Hauptabnehmer für Bleibatterien aus den USA. Von 2018 bis 2022 wurden etwa eine Million Tonnen gefährliche Abfälle aus den USA dorthin verschifft.
Blei ist ein giftiges Metall, für das es keine sicheren Grenzwerte gibt. Selbst eine geringe Bleibelastung kann die kindliche Entwicklung beeinträchtigen und zu Erkrankungen von Herz und Niere führen. Blei wird vom Körper nur schlecht ausgeschieden. Dauerhafte Exposition kann zu einer chronischen Vergiftung führen (siehe auch: Infosperber – Bleiverschmutzung tötet jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen).
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält weniger als 250 Mikrogramm pro Liter Blut für unbedenklich. Einige Fachleute halten diesen Wert für zu hoch. Die USA gaben sich in der Vergangenheit grosse Mühe, die Bleiverschmutzung im eigenen Land einzudämmen.
Während das Land die zulässigen Bleiemissionen innerhalb der eigenen Grenzen drastisch reduziert hat, exportierten US-Unternehmen zwischen 2018 und 2022 fast vier Millionen Tonnen ausrangierter Bleibatterien, zeigen Daten der EPA. Der bleihaltige Abfall ging vor allem nach Mexiko und zunehmend nach Südkorea.
US-Batterieexporte nach Mexiko seit 2000 um 3600 Prozent gestiegen
Das Blei wird aufbereitet und zu neuen Batterien verarbeitet, von denen einige dann wieder in die USA importiert werden. Zwischen 2000 und 2021 hat der Export von Blei-Säure-Batterien aus den USA nach Mexiko um den Faktor 36 zugenommen.
Ein ehemaliger Arbeiter in einer mexikanischen Recyclingfabrik berichtet von unsicheren Arbeitsbedingungen. Angestellte hätten Masken bekommen und das Unternehmen habe alle drei Monate bestimmt, wie viel Blei er im Blut habe, sagte er den Recherchepartnern von «Guardian» und «Quinto Elemento Lab». Seine Blutwerte hätten zeitweise bis zu 490 Mikrogramm Blei pro Liter Blut erreicht – ein definitiv gefährlicher Wert.
Die USA halten nichts von Giftmüll-Exportverboten
Problematische Abfälle sollten, wenn möglich, im eigenen Land verarbeitet werden, darüber ist sich die internationale Gemeinschaft weitgehend einig. Den Transport und die sichere Weiterverarbeitung giftiger Abfälle regelt das Basler Übereinkommen (Basel Convention), ein Regelwerk für den grenzüberschreitenden Umgang mit giftigen Abfällen. Bisher sind ihm 192 Staaten beigetreten.
Die USA sind eines der wenigen Länder, die eine Ratifizierung bislang verweigert haben. Das Land exportiert laut Wikipedia 80 Prozent seines Elektronikschrotts und hat dazu bilaterale Abkommen mit Mexiko und Kanada abgeschlossen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
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