Sperberauge

Nord-Stream-Anschlag: «Staatswohl hat Vorrang vor Aufklärung»

Sperber © Bénédicte Sambo

Red. /  Die Bundesregierung verweigerte Auskünfte über Positionen von Kriegsschiffen. Ihre Stellungnahme liegt jetzt im Wortlaut vor.

Red. Am 23. Oktober informierte Infosperber darüber: Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines bleibt ungeklärt. Auf konkrete Fragen der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht blieben die Ministerien von Habeck und Baerbock Antworten schuldig. In den vollen Wortlaut der Regierungsantworten hatte Infosperber damals keinen Einblick. Unterdessen können wir die Originalfragen und -antworten für die interessierten Leserinnen und Leser wiedergeben.


Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.) 

Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung allein, mit EU, anderen Regierungen und der NATO eingeleitet, um festzustellen, wer die Beschädigungen an den Nord-Stream Pipelines verantwortet, und welche Maßnahmen sind geplant, um die Pipelines zu reparieren? 

Antwort des Staatssekretärs Dr. Patrick Graichen vom 11. Oktober 2022 

Bei der Beantwortung der Frage wird davon ausgegangen, dass es sich um die Beschädigungen der Nord-Stream-Pipelines 1 und 2 ab dem 26. September 2022 handelt. Die Bundesregierung und die zuständigen Behörden stehen bezüglich einer Aufklärung dieses Vorfalls in engem Austausch mit Partnern, der Europäischen Union und internationalen Organisationen wie der Nordatlantischen Allianz (NATO). Bisher ist es nicht möglich, Untersuchungen vor Ort anzustellen, deshalb liegen der Bundesregierung auch keine belastbaren Informationen zu den möglichen Urhebern des Angriffs vor. 

Die Bundesregierung steht im Kontakt mit den Projektgesellschaften Nord-Stream AG für die Nord -Stream 1-Pipeline und der Nord-Stream 2 AG für die Nord Stream 2-Pipeline, beide mit Sitz in der Schweiz, zu den Vorfällen ab dem 26. September 2022. Da die Untersuchungen der Vorfälle vor Ort gerade erst beginnen, kann die Bundesregierung zum aktuellen Zeitpunkt keine Aussagen zu Möglichkeiten einer Reparatur geben. 


Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.) 

Welche NATO-Schiffe und Truppenteile befanden sich nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Aussetzen der Gaslieferungen durch die Nord-Stream-1 Pipeline am 30. August 2022 in den Gegenden, an denen die Beschädigungen der beiden Pipelines aufgetreten sind, und welche russischen Schiffe und Truppenteile wurden in diesem Zeitraum in diesen Gegenden geortet? 

Antwort der Staatssekretärin Susanne Baumann vom 11. Oktober 2022 

Die Beantwortung der Fragen zu Schiffspositionen würde Rückschlüsse auf die Aufklärungsfähigkeiten der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bündnispartner zulassen. Die erbetenen Informationen berühren derart besonders schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht wesentlich überwiegt. Die Frage kann entsprechend aus Gründen des Staatswohls nicht, auch nicht in eingestufter Form, beantwortet werden. Die Beantwortung der Frage würde die Preisgabe von Informationen beinhalten, die das Staatswohl in besonderem Maße berühren. Auch eine Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen als Verschlusssache beim Deutschen Bundestag würde der Bedeutung der Informationen in Hinblick auf die Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie dem Schutz deutscher Interessen im Ausland nicht ausreichend Rechnung tragen. Selbst eine Bekanntgabe gegenüber dem begrenzten Kreis von Empfängern kann dem Schutzbedürfnis nicht hinreichend Rechnung tragen, da auch nur die geringe Gefahr des Bekanntwerdens nicht hingenommen werden kann. Insofern muss ausnahmsweise das Fragerecht der Abgeordneten gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen. 


Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.) 

Welche Warnungen lagen der Bundesregierung über mögliche Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines vor, und welche Maßnahmen wurden seitens der Bundesregierung auf nationaler und internationaler Ebene ergriffen, um mit der Bedrohung umzugehen (bitte unter Angabe des Datums beantworten)? 

Antwort des Staatssekretärs Dr. Patrick Graichen vom 12. Oktober 2022 

Kritische Infrastrukturen wie die Nord-Stream-Pipelines 1 und 2 unterliegen grundsätzlich einer abstrakten Gefährdung. Die Pipelines sind durch die verantwortlichen Betreiber für im Normalfall auftretende Schäden abgesichert (Verlegung in großer Tiefe, Ummantelung etc.). Mehrere Tausend Kilometer Leitungsstränge können nicht vollumfänglich gegen jegliches Risiko abgesichert werden. 

Darüber hinaus ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können. Die erbetenen Auskünfte unterliegen den Restriktionen der «Third Party Rule», die den internationalen Austausch von Informationen der Nachrichtendienste betrifft. 

Die Bedeutung der «Third Party Rule» für die internationale nachrichtendienstliche Zusammenarbeit hat das BVerfG in seinem Beschluss 2 BvE 2/15 vom 13. Oktober 2016 (Rz. 162–166) gewürdigt. 

Lägen solche Informationen vor, wären diese evident geheimhaltungsbedürftig, weil sie sicherheitsrelevante Erkenntnisse beinhalten, die unter der Maßgabe der vertraulichen Behandlung von ausländischen Nachrichtendiensten an die deutschen Nachrichtendienste weitergleitet wurden. Ein Bekanntwerden von Informationen, die nach den Regeln der «Third Party Rule» erlangt wurden, würde als Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage gewertet werden und hätte eine schwere Beeinträchtigung der Teilhabe der Nachrichtendienste des Bundes am internationalen Erkenntnisaustausch zur Folge. Eine mögliche Kenntnisnahme durch Unbefugte würde erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Nachrichtendienste des Bundes mit ausländischen Nachrichtendiensten haben. Würden in der Konsequenz eines Vertrauensverlustes Informationen von ausländischen Stellen entfallen oder wesentlich zurückgehen, entstünden signifikante Informationslücken mit negativen Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland. Ein Bekanntwerden der Informationen würde zudem die weitere Aufklärung geheimdienstlicher Aktivitäten in und gegen die Bundesrepublik Deutschland erheblich erschweren. Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss. 

Selbst eine Einstufung als Verschlusssache und Hinterlegung der angefragten Informationen bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages würde im vorliegenden Fall nicht ausreichen, um der besonderen Sensibilität der angeforderten Informationen für die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste des Bundes ausreichend Rechnung zu tragen. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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5 Meinungen

  • am 27.10.2022 um 11:26 Uhr
    Permalink

    Es hilft, das vollständig und im Original zu lesen. Die Geheimhaltung ist somit einigermassen begründet und nachvollziehbar gerechtfertigt. Da und dort muss man selber etwas mitdenken, wo etwas überheblich das Wort «evident» benutzt wird und die Antworten um den heissen Brei drum rum reden. Unter anderem geht es auch schlicht darum, dass man keine Anleitung für künftige Sabotagen geben will.

    So oder so zeigt das einfach einmal mehr: wir müssen weg von diesen Mega-Mono-Infrastrukturen, die gleichzeitig immer militärische «High Value Targets» und auch ganz allgemein «Single Points of Failure» sind. Weg von Nuklear, Fossil etc. hin zu dezentralen, diversifizierten, resilienten Erneuerbaren mit smarter, föderal organisierter Vernetzung.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 27.10.2022 um 14:31 Uhr
    Permalink

    «Ich heisse Hase und weiss von nichts…»

    Unüberhörbares schweigen spricht lauter als viele Worte.

  • am 27.10.2022 um 20:17 Uhr
    Permalink

    «Keine Antwort ist auch eine Antwort», heisst es üblicherweise. Oder man verpackt «keine Antwort» in ganz viel Geschwurbel. Wären auch nur ansatzweise belastbare Informationen zu einer Beteiligung Russlands vorhanden, wären die schon längst «durchgesickert», resp. «diskret geleakt» worden. Der Schluss liegt nahe, dass die «Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage» bedeutet, dass die entsprechenden Stellen in der deutschen Regierung ziemlich klar wissen, dass die Pipelines von den USA sabotiert wurden. Das ist aber innerhalb der bestehenden Propaganda ziemlich schwer vermittelbar. Historiker werden das dann irgendwann, in 50 Jahren oder so, «ans Licht bringen». Leider sind wir als Bürger von Demokratien in der Pflicht, politische Entscheide (mit) zu treffen, wo wir nur vermuten können. Argumente sind u.a. in verschiedenen Atikeln im Onlinemagazin «Telepolis» zu finden, z.B. hier:
    https://www.heise.de/tp/features/Nord-Stream-Der-Angriff-auf-die-Pipelines-7285794.html

  • am 27.10.2022 um 23:59 Uhr
    Permalink

    Danke für die Veröffentlichung.

    Unmittelbar nach Bekanntwerden der Anschläge wurden seitens Deutschlands und der EU sehr vollmundig massive Sanktionen gegen die Verursacher dieser Terrorakte angekündigt.
    Inzwischen ist es sehr still geworden um das Thema.

    Ich frage mich, wie solche Sanktionen realisiert werden sollen, ohne Täter öffentlich zu benennen.

    Besteht am Ende gar kein Interesse an einer Aufklärung? Oder sind die Terroristen der Bundesregierung ohnehin bekannt?

    Warum gibt es keine der ansonsten so beliebten Sanktionen?

  • am 28.10.2022 um 20:58 Uhr
    Permalink

    Fragt sich, mit wem genau der Nachrichtendienst des Bundes eine so „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ hat. Eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Russland? Oder doch wohl eher mit den USA und anderen NATO-Staaten?

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