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Bundesrätin Doris Leuthard an der PK zur Initiative «Pro Service Public» © cc

Service public: Unlautere Argumente des Bundesrats

Urs P. Gasche /  Bundesrätin Doris Leuthard bekämpft die Volksinitiative «Pro Service Public» mit groben Irreführungen.

Die Volksinitiative «Pro Service Public» ist kein Gesetz, sondern ein Grundsatzartikel für die Bundesverfassung. Er schreibt nur zwei Dinge zwingend vor:

  1. Einnahmenüberschüsse aus der Grundversorgung von Post, Bahn und Swisscom dürfen nicht als Dividenden ausgeschüttet, sondern müssen in die Grundversorgung investiert werden.
  2. Löhne und Honorare der Mitarbeitenden und Mitarbeiter dieser Unternehmen dürfen nicht höher sein als diejenigen in der Bundesverwaltung.

Wer mit diesen beiden Punkten nicht einverstanden ist, muss die Initiative ablehnen.

Über folgende neuen Verfassungsgrundsätze zur Grundversorgung muss das Parlament in einem Gesetz die Einzelheiten festlegen («Das Gesetz regelt die Einzelheiten»):

  • «Verzicht auf Quersubventionierungen anderer Verwaltungsbereiche»: Sind Post, Bahn und Swisscom je ein Verwaltungsbereich, innerhalb denen eine Quersubventionierung möglich ist? Wie ist die Grundversorgung von anderen Geschäftsbereichen zu trennen?
  • «Transparenz über die Kosten der Grundversorgung und die Verwendung der entsprechenden Einnahmen»: Wie weit geht die Transparenz?

Unlautere Argumente des Bundesrats

In der Öffentlichkeit müssen Mitglieder des Bundesrats die Mehrheitsmeinung des Gesamtbundesrats vertreten. Das heisst aber nicht, dass Bundesrätin Doris Leuthard zu unlauteren Argumenten greifen muss, wie sie es an der Pressekonferenz vom 5. April sowie am 1. Mai in ihrer «Abstimmungs-Ansprache» vor der Tagesschau gemacht hat:

Leuthard: «Der Initiativtext ist unklar und widersprüchlich»: Die Bundesverfasssung soll gerade nicht klare Gesetzesartikel enthalten, sondern allgemeine Grundsätze festlegen. Die Bundesrätin müsste auch folgende bestehende Verfassungsartikel als unklar bezeichnen und ablehnen: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen», «Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden», «Die Freiheit der Kunst ist gewährleistet», «Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass jede Person an der sozialen Sicherheit teilhat», etc.
Wo die «Pro Service Public»-Initiative Widersprüche enthält, sagte Leuthard nicht.

Leuthard: «Für Investitionen braucht es Gewinne»: Unter «Gewinn» versteht jeder Ökonom das, was von den Einnahmen übrig bleibt, wenn vorher alle Kosten einschliesslich der Investitionen bezahlt sind. Der neue Verfassungsartikel würde erlauben, dass Post, Bahn und Swisscom mehr als bisher in den Service Public investieren können. Denn statt Dividenden auszuzahlen, könnten Ertragsüberschüsse der Grundversorgung wieder in die Grundversorgung investiert werden. Es stünde also mehr Geld für Investitionen zur Verfügung als heute. Auch Migros oder Coop stärken mit ihren Ertragsüberschüssen ihre eigenen Konzerne anstatt Dividenden auszuzahlen.

Leuthard: «Es gäbe nicht mehr die gleichen (Post-)Porti in der ganzen Schweiz»: Schuld sei die in der Initiative verbotene «Quersubventionierung anderer Verwaltungsbereiche». Nun glaubt wohl Bundesrätin Leuthard selber keine Sekunde daran, dass das Parlament das Verbot von Quersubventionierungen so absurd auslegen würde, dass das Postverteilen auf dem Lande nicht mehr von den Städten – oder SBB-Regionalstrecken nicht mehr von SBB-Hauptstrecken – «quersubventioniert» werden könnten. Das Parlament wird mit hundertprozentiger Sicherheit im Gesetz dafür sorgen, dass die Grundversorgung der Post und der SBB – wie von den Initianten beabsichtigt – je eine einzige Verwaltungseinheit bildet. Oder kann Leuthard etwa ein einziges Parlamentsmitglied nennen, das ein Gesetz unterstützen würde, welches in den Städten und auf dem Land unterschiedliche Post-Porti vorsehen würde?

Leuthard: «Die unternehmerische Freiheit von Post, Bahn und Swisscom würde stark eingeschränkt»: Wenn die geforderte Transparenz über die Kosten der Grundversorgung oder die Plafonierung der Löhne auf das Niveau der Bundesverwaltung Einschränkungen darstellen, hat die Bundesrätin recht. Und wenn sie sich daran stört, dass die Grundversorgung von Post, Bahn und Swisscom andere Verwaltungseinheiten nicht quersubventionieren dürfen, dann ebenfalls. Falls Leuthard andere Einschränkungen im Auge hat, soll sie diese nennen.

Die Initiantinnen und Initianten der Konsumenten-Zeitschriften K-Tipp, Saldo, Bon-à-Savoir und «Spendere Meglio» haben recht, wenn sie dem Bundesrat vorwerfen, er versuche «das Volk mit Angstmacherei und Lügen irrezuführen».


——
Siehe
«Das Volk kann über den Service Public abstimmen» vom 14.4.2013


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war Mitgründer und bis 2001 Mitherausgeber und Redaktionsleiter des K-Tipp. Seither freier Publizist, Buchautor und Redaktor Infosperber.

Zum Infosperber-Dossier:

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Was alles zum Service public gehört

Wo hören Privatisierungen auf? Was muss unter Kontrolle des Staates bleiben? Wo genügt strenge Regulierung?

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4 Meinungen

  • am 3.05.2016 um 14:20 Uhr
    Permalink

    JA zur Initiative „Pro Service public“

    Die Gewinne von Bundesunternehmen mit einem gesetzlichen Grundversorgungsauftrag (Post, SBB) als auch von Unternehmen, die der Bund direkt oder indirekt kontrolliert (Swisscom, Billag), müssen in diese Unternehmen reinvestiert werden und damit den Kunden zugute kommen und nicht der allgemeinen Bundeskasse abgeliefert werden.

    Es gibt Löhne ausserhalb jeden Anstandes. Diese haben weder mit der Leistung noch mit der Verantwortung etwas zu tun, sei es, dass Leute aus der «zweiten Reihe» mindestens gleich viel leisten wie die Top-Leute, sei es, dass «goldene Fallschirme» die Top-Leute vor den Auswirkungen falscher strategischer Entscheide schützen. Die Top-Kader der Grossunternehmungen schanzen sich international ihre feudalen Entschädigungen gegenseitig zu. Diese Feudalisierung der Wirtschaft muss bekämpft werden, insbesondere in den öffentlichen oder öffentlich kontrollierten Unternehmungen.

  • am 3.05.2016 um 14:26 Uhr
    Permalink

    Diese typisch irreführende neoliberale Wortschöpfung «Quersubventionierung» ist derart gruselig das man doch glatt vergisst das dies schlicht und einfach Solidarität für den Unterhalt von Systemen des Service Public sind. Die neoliberale Ideologie hat es doch wirklich geschaft in alle möglichen Bereiche unseres Zusammenlebens einzudringen und neue Deutungshoheiten für sich zu Beanspruchen und so alle unerwünschte Solidarität auszumerzen…

  • am 4.05.2016 um 19:11 Uhr
    Permalink

    Zumal sich der BR bereits mitte der 90′ in den WTO Verträgen verpflichtete allen erdenklichen Service Public sowie alles gemeinschaftliche Eigentum wie Spitäler, Wasserversorgung, Schulen etc. zu privatisieren oder zu Tode sparen oder filetieren d.h. die profitabelsten Prozesse zuvor zu privatisieren und dann den Rest verlottern lassen und schliesslich eliminieren.

    Nicht umsonst verbringen zehntausende staatliche Mitarbeiter (auch private Mitarbeiter deren Abteilung als Auslagerungsobjekt auserwählt wurde) immer grössere Teile der Arbeitszeit mit dem minutiösen erfassen und verbuchen ihrer Tätigkeit auf fantasiereiche KST um gezielt und beliebig rücksichtslos rauszuschneiden was Profite bringt. Beim öffentlichen Verkehr bestimmte Strecken, bei den Spitälern bestimmte Krankheiten, bei der Bildung bestimmte Bildungswege…

    Mit den aktuell im geheimen beschlossenen Handelsverträgen wird noch viel mehr dieser Zerstörung zivilisatorischer Errungenschaften legalisiert. Wer interessierr ist kann sich doch mal die Fragmente zum MAI, dem Multilateralen Abkommen für Investitionen, dem Vorläufer der WTO, beschäftigen. Damals zu beginn der 90′ genau so inhuman im Geiste und der Ausführung wie heute…

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