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Frachthafen Shanghai: Chinas Wirtschaft will künftig weniger stark vom Export abhängig sein © global-seatrade/cc

Wie China die Einkommensfalle umgehen will

Peter G. Achten /  China kann den Sprung in die erste Liga der Industrieländer schaffen. Mit Xi am Steuer ist das Reich der Mitte auf gutem Kurs.

Harte Landung? Weiche Landung? Immobilienblase? Wie immer, wenn es in den letzten 35 Jahren um Chinas Wirtschaftsreform ging, hatten westliche Untergangspropheten ein gewichtiges Wort mitzureden. Doch Chinas rote Mandarine müssen irgend etwas richtig gemacht haben, sonst wäre Chinas Volkswirtschaft nicht dort, wo sie sich heute befindet. Den Chinesinnen und Chinesen geht es so gut, wie noch nie in ihrer jahrtausendealten Geschichte.
Lehrreich und gut ist es, sich in Kommentare westlicher Qualitätsblätter der letzten drei Jahrzehnte zu vertiefen. Die Krise, der Untergang war nach Meinung der neunmalklugen Kolumnisten immer nur eine Frage der Zeit. Natürlich gab es auch Schwierigkeiten. Die kapitale Krise ist jedoch nicht eingetreten.
Ein, zwei Schritte zurück vom kulturellen Eurozentrismus wären wohl bei der Analyse hilfreich gewesen. Die westliche Konvergenztheorie zum Beispiel funktionierte in China nicht. Trotz schnellem Wirtschaftswachstum wandelte sich das Land nicht automatisch in eine Demokratie. Anders als in den Pazifikstaaten USA oder Kanada war vielen in Europa vor einem Jahrzehnt nicht klar, dass sich das wirtschaftliche und politische Zentrum vom Atlantik in den Pazifik verschoben hat. Europa und Amerika sind zwar noch längst nicht alte Geschichte. Dennoch müssten sich Politiker und Politikerinnen im Westen, also auch in der Schweiz, langsam fragen, warum denn China im Augenblick einen offensichtlichen Vorteil hat.
Strategisch denken statt Wahlkampf
Die Antwort, wenn man sie hören will, ist relativ einfach: Chinesische Politiker können es sich leisten, langfristig und strategisch zu denken. Sie müssen sich nicht alle paar Jahre den Wählern stellen. Der seit zwei Jahren amtierende und beim Volks sehr beliebte Staats- und Parteichef Xin Jinping zum Beispiel wird bis ins Jahr 2022 regieren. Politiker und Politikerinnen im Westen kommen nicht darum herum sich zu fragen, ob denn der permanente Wahlkampf nicht kontraproduktiv sei. Auch und gerade in der Schweiz. Ähnlich wie in China derzeit ein neues ökonomisches Modell gefragt ist, wäre im Westen ein neues politisches Modell überlebenswichtig. Auf der Grundlage der grossen Vorteile, wie Rechtsstaat, Transparenz, Demokratie. Chinesische Bekannte allerdings, die in Amerika oder Europa studiert haben, erklären oft, dass westliche Demokratie im Stile der USA, Italien, Frankreich oder Spanien für China kein Modell sein könne.
Die harten Fakten in der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» sprechen jenseits aller Theorien auch am Ende des laufenden Jahres für eine solide Leistung, wenn auch bei zusehends abnehmendem Wachstum. Die chinesische Zentralbank – die unter der Ägide von Partei und Regierung stehende Volksbank – hat deshalb mit einer Zinssenkung in der zweiten Hälfte November dem Markt eine Lockerung der Geldpolitik signalisiert. Ein allzu grosser Einbruch des chinesischen Wachstums werde nicht tatenlos akzeptiert. Nach Berechnungen chinesischer Ökonomen braucht es ein Wachstums des Bruttoinlandprodukts von mindestens 6 bis 7 Prozent, um jährlich rund zehn Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Andere Ökonomen sehen sogar eine mögliche Bandbreite von 5 bis 7 Prozent. Das anvisierte aktuelle Wachstumsziel: um die 7 Prozent plus/minus.

Die Falle des mittleren Einkommens
Seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteicher Xi Jinping vor zwei Jahren steht Chinas Wirtschaft mitten in einem fundamentalen Umbruch. Eine auf Export, Investitionen und Schulden ausgerichtete Wirtschaft soll zu einer von Konsum, Binnennachfrage, Dienstleistungen und Innovation angefachten Ökonomie mutieren. Um es im Ökonomen-Slang zu sagen: China steht kurz davor, zu den Ländern mit mittlerem Einkommen zu zählen. Doch hier droht die Gefahr, dass das Land auf diesem Niveau stecken bleibt und nicht in die Gruppe der Länder mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen vorstösst. Oder wiederum in der Sprache der Ökonomen formuliert: dass China in die «Falle des mittleren Einkommens» tappt.
Dieser Falle kann man nach Lehrbuch und Wirklichkeit nur entkommen, wenn man ohne Rücksicht auf Verluste Strukturreformen durchzieht. Innovation wird dabei ganz gross geschrieben. Genau das hat die KP mit weitreichenden, strategischen Beschlüssen im vergangenen und im laufenden Jahr gemacht. Wer an einem alten Wirtschaftsmodell festhält, den bestraft – wie es so schön heisst – die Geschichte. Das Schwellenland Brasilien etwa ist ein negatives Beispiel.
Momentan ist jedoch das globale wirtschaftliche Umfeld für China eher schwierig. Die Nachfrage lässt nach, besonders aus Europa. Immerhin ist China auf gutem Weg zu einem neuen Wirtschaftsmodell, das weniger stark exportorientiert ist. Noch 2008 trugen die Exporte 35 Prozent zum Bruttoinlandprodukt bei. Heute sind es nur noch 24 Prozent. Das schwächelnde Europa ist immer noch Chinas grösster Exportmarkt. Insgesamt gehen 42 Prozent der Exporte nach Europa, Amerika und Japan.
Stratege Xi auf gutem Kurs
Nach den Beschlüssen, die das ZK vor einem Monat verabschiedet hat, ist das Reich der Mitte auf gutem Kurs, die ominöse «Falle des mittleren Einkommens» zu umschiffen. Parteichef Xi hat bislang erfolgreich und gegen einigen Widerstand von Vertretern tief verwurzelter Privilegien in der KP durchgegriffen. Nicht nur im Kampf gegen Korruption sondern auch gegen alte Seilschafte im Apparat von Regierung und Partei.
Parteichef Xi freilich setzt nur fort, was das Führungsduo von Parteichef Hu Jintao und dem extrem populären Premier Wen Jiabao von 2003 bis 2012 bereits in Umrissen vorgezeichnet hat. Allerdings ist Xi zur Überraschung sowohl chinesischer als auch ausländischer Beobachter über sich hinausgewachsen. Seit Revolutionär und Reform-Übervater Deng Xiaoping gab es wohl nie mehr einen solch starken, überzeugenden Mandarin wie Xi Jinping. Auch wenn Xi kein «chinesischer Gorbatschow» ist, wie westliche Qualitätsmedien prognostiziert und wohl auch erhofft hatten.
Xi ist sich der «Falle des mittleren Einkommens» wohl bewusst. Nicht Wahlkampf, sondern strategisches Denken ist gefragt. Premier Wen Jiaobao warnte schon vor zehn Jahren: «Chinas Wachstum ist instabil, unausgewogen, unkoordiniert und nicht nachhaltig.» Das neue Wachstumsmodell setzt sich jetzt, wie die Zahlen zeigen, erfolgreich durch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

Zum Infosperber-Dossier:

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Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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Eine Meinung zu

  • am 17.12.2014 um 15:19 Uhr
    Permalink

    Dass Peter Achten im Infosperber ungeniert insinuieren kann, dass sich die Demokratie dh alle 4 Jahre Wahlen hinderlich für die wirtschaftliche Entwicklung sei, wundert mich nach den letzten Texten der beiden Herren Müller nicht mehr. Da befindet er sich in bester Gesellschaft der FDP-Ideologie, welche zwar subtil, aber stets unverhohlener den Abbau der Demokratie fordert. Dass sich da auch der Infosperber einspannen lässt, weist darauf hin, dass seine Zeit abgelaufen ist.

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