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Die Bernerin Regula Stämpfli (46) hat drei Söhne, ist verheiratet und lebt heute in Brüssel. © SRF

«One woman, one name – for ever»

Urs Zurlinden /  Die Politologin Regula Stämpfli liebt das ungeschminkte Wort. Ein Interview mit ihr über Frauen, Männer und «Menschensolidarität».

Frau Stämpfli, welchen Familiennamen tragen Ihre drei Söhne?
Regula Stämpfli: Beide, den Namen von mir und ihres Vaters.
Wollten Sie nie den Namen Ihres Mannes annehmen?
Ach, wissen Sie, bei meinem Männerverschleiss wäre das unökonomisch, jedesmal den Namen zu wechseln! Aber im Ernst: Ich wollte nicht einmal sein Geld annehmen!
Mit dem neuen, seit dem 1. Januar geltenden Namensrecht dürfen Frauen nun offiziell ihren alten Namen behalten. Ein Durchbruch?
Vielleicht in der Schweiz. In Italien, Frankreich und Belgien war das schon immer so.
Das neue Namensrecht wird, sagen Kritiker, zu einem heillosen Durcheinander führen. Haben Sie keine Bedenken?
Nein, überhaupt nicht. Angesichts einer Scheidungsrate von gegen 50 Prozent würde ich sagen: Im Gegenteil! One woman, one name – for ever.
Was wäre für die Frauen noch zu verbessern im Schweizer Zivilrecht?
Das Schweizer Zivilrecht ist nicht für Frauen und nicht für Männer gemacht, sondern für in der Schweiz lebende Menschen. Würde das konsequent umgesetzt, wäre schon vieles verbessert. Ich bin eine grosse Verfechterin des Rechtstaates. Aber manchmal wird die praktische Umsetzung leider der Macht angepasst anstatt dem Recht.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx prognostiziert: «Die Gesellschaft wird weiblicher.» Einverstanden?
Vor 20 Jahren war Horx noch aktuell. Jetzt verkennt er mit seinem Zukunftsbeaming, dass die Zukunft so offen ist wie noch nie. Im besten Fall wird die Zukunft menschlicher – das meinte er vor 20 Jahren mit «weiblich», doch die letzten zwei Jahrzehnte haben ihn widerlegt…Frauen sind leider keine besseren Menschen – Frauen in Machtpositionen schon gar nicht, da sie meist bessere Männer sind, siehe Angela Merkel.
Wird die Schweiz punkto Frauen erneut zum Sonderfall?
Nicht unbedingt. In der Politik sind die Frauen gut vertreten. Aber wir haben ein grundsätzliches Problem: Politisch wird die Schweiz langsam zum Abfall. Unsere Politik ist nicht mehr links oder rechts, sondern oft nur noch daneben.
Die EU-Kommission will nun eine Frauenquote für börsenkotierte Unternehmen einführen. Macht das Sinn?
Mir würde die Aktienmehrheit genügen. Dort liegt doch die Macht.
In Europa liegt der Frauenanteil in den Verwaltungsräten schon heute bei über 15 Prozent – Tendenz klar steigend. Warum also noch die Quote?
«Ein Verwaltungsrat ist einer, der rät, was er verwalten soll», schrieb schon Tucholsky. Daran ändert auch eine Verwaltungsrätin nichts. Ich finde diese Diskussion eh eine Verschleierungstaktik, um von echten politischen Problemen wie der zunehmenden Bürokratisierung der Welt abzulenken. Anstatt über mehr Frauen in den Verwaltungsräten zu diskutieren, liesse sich darüber debattieren: Wo brauchen wir überhaupt Verwaltungsräte und welche Verantwortlichkeiten sollen die haben. Mit solchen Überlegungen ecke ich jeweils bei den Linken an.
In der Schweiz liegt der Frauenanteil bei unter 12 Prozent, in Norwegen bei über 36 Prozent. Was läuft da schief?
In der Schweiz läuft nicht alles schief, aber alles sehr langsam. Es gibt Bereiche, wo die Schweiz ziemlich weit vorne liegt. Das hat mit unserer politischen Kultur und der Kleinräumigkeit zu tun. Norwegen hat einen derart hohen Frauenanteil, weil sie seit Jahrhunderten eine starke Frauentradition haben. Wir hatten seit Jahrhunderten eine starke Wehrtradition. Das Frauenstimmrecht wurde bei uns nicht nur wegen der direkten Demokratie so spät eingeführt, sondern auch wegen unserer unterschiedlichen Tradition.
Mehrere Anläufe für eine Quotenregelung fanden bisher keine politische Mehrheit. Hat die Frauen-Lobby in Bundesbern versagt?
Ich wusste ehrlich nicht, dass es in Bern eine Frauen-Lobby gibt.
Eine Quotenfrau wird doch nie ganz ernst genommen werden?
Was immer dazu nützt, Frauen nieder zu reden…who cares? Ich hätte nichts dagegen, eine Quotenfrau zu sein. Denn ich wäre mir bewusst, dass ich vermutlich mehr leiste als wahrscheinlich alle Männer (oder Frauen) im Raum. Das geht wohl nicht nur mir so. Bei all den Quotenfrauen (und Quotenmännern) steigt eben auch das Selbstbewusstsein.
Die Frauen machen heute, fast 50 Jahre nach dem Buch «Der Weiblichkeitswahn» der amerikanischen Feministin Betty Friedan, die Hälfte der Arbeitswelt aus. Eigentlich eine Erfolgsstory?
Überhaupt nicht, solange sie noch immer ein Drittel weniger verdienen als die Männer – und solange das Bild der Frau immer noch Körper ist und das Bild des Mannes Geist.
In den Chefetagen hingegen sitzen kaum Frauen – trotz all der diversen Frauenförderungs-Programme. Die wollen einfach keine Verantwortung übernehmen?
Das gilt für manche Frauen tatsächlich. Andere wollen und tun es auch. Andere wollen und kommen nicht zum Zug. Vorsicht vor Verallgemeinerungen und Gemeinplätzen!
Die Frauen machen inzwischen die Mehrheit aller Uni-Abschlüsse. Dann werden Sie Mütter und gehen zurück an den Herd?
Mal abgesehen davon, dass niemand Kinder kriegen kann, ausser jüngere Frauen: Sie müssten erst mal meinen Truthahn probieren! Aber in den drei Stunden, die der im Backrohr liegt, kann ich zwei Artikel schreiben und Interviewfragen beantworten.
Sie gehen in Ihren Kolumnen jeweils auch mit Frauen hart ins Gericht. Wo bleibt die Frauensolidarität?
Ich kämpfe für Menschensolidarität. Begreifen Sie den Unterschied?
Die Medien schrieben, so Ihre Kritik, deutlich zu wenig über Gewalt an Frauen. Tun sie das nicht?
Sie schreiben durchaus über die offensichtliche Gewalt – wie jetzt über den Tod der indischen Studentin und über Steinigungen in Afghanistan. Aber selten über die weltweite alltägliche Gewalt – die gibt keine Schlagzeilen her.
Gewaltsame Übergriffe finden meistens innerhalb der Partnerschaft statt – ohne Zeugen?
Eben. Die Affäre von Ex-Armeechef Roland Neef hätte ja zunächst unter Verschluss bleiben sollen. Wer die Möglichkeit hat, kann solche Berichte unter dem Deckel halten.
Was halten Sie von der Punkrock-Band Pussy Riot in Russland?
Klasse – obwohl man durchaus über ihre Musik diskutieren kann…. Ich habe mich dank Pussy Riot und Femen auch an die obszöne Selbstinszenierung von Frauen gewöhnt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine. Das Interview mit Regula Stämpfli erschien zuerst in der "Südostschweiz am Sonntag".

Zum Infosperber-Dossier:

we_can

Gleiche Rechte für Frauen und Männer

Gleichstellung und Gleichberechtigung: Angleichung der Geschlechter – nicht nur in Politik und Wirtschaft.

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