Kommentar

Zustimmende Parlamentarier sollen privat haften

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Im Freihandelsabkommen Schweiz-China stehen Regelungen, die die Schweizer Steuerzahler Milliarden kosten können.

Im Vorfeld der Behandlung des Freihandelsabkommens Schweiz-China im Parlament streiten sich ein paar Juristen zur Frage, ob dieses Abkommen nach dem Volksentscheid vom 9. Februar 2014 gegen die Personenfreizügigkeit noch Rechtens ist. Das ist ein Nebenschauplatz.

Das grössere Problem – um nicht zu sagen: der wirkliche Skandal – ist, dass in diesem Freihandelsabkommen für den Fall eines Streites das ICSID, das «International Center for Settlement of Investment Disputes», als Schiedsgericht anerkannt wird, und dass damit unsere eigene Justiz und auch die europäische Justiz mit Apellationsmöglichkeit ausgeschaltet wird und dass «Strafen» oder «Bussen» in Milliardenhöhe gegen den Staat Schweiz möglich werden. Dann nämlich, wenn eine chinesische Firma in der Schweiz eine Investition tätigt, aufgrund veränderter Umstände der Profit aber nicht so gross sein wird, wie erwartet. Dann nämlich kann der chinesische Investor beim ICSID klagen und es entscheidet ein dreiköpfiges Gremium aus privatwirtschaftlichen Anwälten: je ein Vertreter der streitenden Parteien und ein «Schiedsrichter».

Die Präzedenzfälle liegen auf dem Tisch

Ein Beispiel: Der schwedische Energiekonzern Vattenfall musste aufgrund der politisch beschlossenen Energiewende in Deutschland zwei Atomkraftwerke stilllegen. Er verklagte Deutschland auf über 4 Milliarden Euro Schadenersatz! Der Fall ist vor ICSID hängig.

Ein anderes Beispiel: Uruguay hat die Werbemöglichkeiten der Tabakindustrie noch stärker eingeschränkt als andere Staaten. Nun klagt der seit einiger Zeit in Lausanne ansässige Tobacco-Konzern Philip Morris mit Unterstützung der Genfer Anwaltskanzlei Lalive gegen den Staat Uruguay mit der Begründung, die in Uruguay getätigten Investitionen hätten durch die neuen Gesetze an Wert verloren. Es geht um Milliarden. Und gestritten wird vor ICSID, weil die Schweiz als Sitz der Philip Morris mit Uruguay eine EFTA-Zusammenarbeitserklärung unterhält, die wie in den Freihandelsverträgen das Schiedsgericht ICSID anerkennt.

Die Parlamentarier sollen haften

Bis heute hat noch kein internationaler Investor den Staat Schweiz eingeklagt. Das allerdings kann jederzeit geschehen. Und da chinesische Firmen zurzeit äusserst intensiv in europäischen Staaten investieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bald einmal auch der Staat Schweiz auf der Anklagebank sitzt, weil er irgendwelche neue Gesetze, zum Beispiel ein strengeres Umweltschutz-Gesetz, erlässt, das für die fremden Investoren hinderlich ist. Dann wird beim ICSID in den USA entschieden, und im Falle einer Niederlage muss die Schweiz zahlen – sprich: wir Steuerzahler werden den entgangenen Gewinn der Chinesen berappen müssen.

Dieser Umstand ist den Parlamentariern in Bern bekannt, oder muss ihnen bekannt sein. Die Stimmbürger tun also gut daran, sich zu merken, wer für das Freihandelsabkommen mit China stimmt. Wird wenigstens die SVP geschlossen dagegen stimmen, nachdem sie sich andernorts stets gegen «fremde Richter» wehrt? Vielleicht gibt es ja Gelegenheit, die Ja-stimmenden Parlamentarier in die Verantwortung zu nehmen: nicht mit der Abwahl aus National- oder Ständerat, sondern mit einer Klage auf Schadenersatz. Zu einer Klage aktivlegitimiert dürfte jeder Schweizer Steuerzahler sein, da dann jeder Schweizer Steuerzahler finanziell betroffen ist.

Merke: In der neoliberalen Wirtschaftswelt gilt das Prinzip «Der Profit in die eigene Tasche, das Risiko dem Staat überlassen». Die Grossbanken dieser Welt haben es vorgemacht, nun kommen die anderen Firmen. Sie investieren im Ausland, stecken die Profite ein, und verklagen den Staat, wenn die Profite ausbleiben oder kleiner als erwartet ausfallen.

Weiterlesen …

Zum gleichen Thema ein interessanter Bericht in der ZEIT


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20160710um17_51_48

Philip Morris verklagte Uruguay

Uruguay verschrieb Warnungen auf Zigaretten. Der Hersteller reichte Klage wegen «Handelshemmnis» ein.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

6 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 16.03.2014 um 21:13 Uhr
    Permalink

    Die Schweinerei mag offensichtlich sein, aber die persönliche Haftung zustimmender Parlamentarier für irgendetwas ist nicht von diesem Planeten. Da müsse der Parlamentarismus neu erfunden werden. Immerhin wurden 1848 von den Luzerner Liberalen die damaligen Konservativen verklagt auf persönliche Haftung für den verlorenen Sonderbundskrieg, den die gegen die liberale Opposition mit vom Zaun gerissen hatten. Auch das erwies sich aber nicht als praktikabel, aber immerhin ist die Idee 166 Jahre alt.

  • am 17.03.2014 um 11:41 Uhr
    Permalink

    Beschiss am Schweizer Bürger. Unsere Parlamentarier sind für d’Füx.

  • am 17.03.2014 um 11:57 Uhr
    Permalink

    Das ist so, aber damals waren die Leute noch echte Parlamentarier, die das Stimmvolk vertraten.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 17.03.2014 um 12:14 Uhr
    Permalink

    Nach Rousseau, der das britische parlamentarische System, damals das einzige einigermassen funktionierende der Welt kritisierte, sagte: «Am Wahltag regiert der Wähler, für die folgenden Jahre wird das Volk Sklave des Parlaments.» Wohl etwas übertrieben, vgl. die oft durchaus einschüchternde Furcht vor den nächsten Whalen. Es war aber für ein Parlament noch nie möglich, über einige wenige Kernanliegen hinaus, das Volk «wirklich» zu vertreten, natürlich sind auch 50,3 % nicht gerade repräsentativ, wiewohl immer noch repräsentativer als Putins 96,8% oder gar Kim Yong Uns 100% in seinem Wahlkreis.

    Eines der besten Bücher über Parlamentarismus in Europa: Quirin Weber: Parlament – Ort der politischen Entscheidung – Legitimationsprobleme des modernen Parlamentarismus – dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland.

    Auch die beiden Bände 2011 und 2012 erschienenen des Politologen Leonhard Neidhart zur Geschichte des Parlamentarismus in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert sind zum Verständnis der hier erörterten Problematik unentbehrlich, übrigens sehr lesbar geschrieben.

    Wunderbar noch: Erwin Jaeckle: Die Kunst des Redens und Schweigens – Ein Knigge für Parlamentarier, Zürich 1951. Jaeckle war Tat-Chefredaktor und Nationalrat des Landesrings der Unabhängigen.

  • am 18.03.2014 um 14:59 Uhr
    Permalink

    Der Autor sollte transparent machen, auf welchen Artikle er sich im Freihandelsabkommen Schweiz-China bezieht. Die Aussage, dass in diesem Freihandelsabkommen ICSID anerkannt wird (oder sonstwie Teil des Abkommens oder darauf anwendbar wäre), ist falsch.

    Entgegnung Seitens cm:

    Man sehe die folgende Vertragsposition zwischen der Schweiz und China:

    http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20092659/index.html

    und in diesem Vertrag den Art. 11, speziell auch Pkt 7.

    Wenn diese Vertragsposition durch das Freihandelsabkommen ausser Kraft gesetzt wird, hat Herr Etter recht. Wenn sie bestehen bleibt, wird sie durch das jetzige Freihandelsabkommen so richtig virulent.

    Den Parlamentariern muss transparent gemacht werden, was gilt. Wenn der alte Vertrag ausser Kraft gesetzt wird und das ICSID – schriftlich festgehalten! – nicht mehr zur Anwendung kommt, besteht die in meinem Kommentar aufgezeichnete Gefahr möglicherweise nicht mehr.

  • am 18.03.2014 um 23:40 Uhr
    Permalink

    Die in der Entgegnung von cm erwähnte Vertragsposition steht nicht im Freihandelsabkommen. Anders als im infosperber-Artikel vom 16. März oben gesagt, wird ICSID im Freihandelsabkommen nicht als Schiedsgericht anerkannt. Der erwähnte Artikel 11 steht im Investitionsschutzabkommen aus dem Jahr 2009, das als separates Abkommen unabhängig vom Freihandelsabkommen unverändert weiter gilt. Dies hat der Bundesrat in seiner Botschaft zum Freihandelsabkommen ans Parlament transparent gemacht (S. 8197). Artikel 11 des Investitionsschutzabkommens bleibt ausschliesslich auf den Regelungsgegenstand des Investitionsschutzabkommens anwendbar. Besagter Artikel 11 kann in Bezug auf die Regelungsgenstände des Freihandelsabkommens nicht angerufen werden. Das Investitionsschutzabkommen wird durch das Freihandelsabkommen somit nicht virulenter.

    Entgegnung Seitens cm:

    Das Freihandelsabkommen wird die wirtschaftlichen Verflechtungen Schweiz/China naturgemäss anwachsen lassen. Darum will man es ja. Und es wird auch zu mehr gegenseitigen Investitionen führen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit von Klagen – und also von Anrufungen des ICSID. – Der Bundesrat soll gleichzeitig vorschlagen, das alte Abkommen zu kündigen. Dann kann man wieder diskutieren.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...