Bild7

Drei Männer, ein Ziel: Gaddafi muss gehen © screen

Brief der drei Staatsmänner wirft viele Fragen auf

Robert Ruoff /  Nach der Selbstverpflichtung zum Sturz von Gaddafi gibt es mehr Fragen als Antworten.

Wer würde ihnen nicht zustimmen, den Regierungschefs von Frankreich, England und Amerika? – Gaddafi muss gehen, und zwar für immer. Wie die drei Herren Cameron, Obama und Sarkozy es in ihrem gemeinsamen Brief verlangen, den die Londoner «Times» exklusiv veröffentlichen durfte (s.u. «Weiterführende Inormationen»: die Liste der links und attachments).

Gute Gründe für Gaddafis Sturz

Gründe für Gaddafis Abgang gibt es genug. Er hat seine Bewaffneten gegen unbewaffnete Menschensrechts-Aktivisten eingesetzt. Er hat Zivilisten als menschliche Schutzschilder missbraucht und Verwundete von der Versorgung abgeschnitten. Seine Söldner haben Städte mit Guerillakrieg durchzogen und er hat nach glaubwürdigen Zeugen Streubomben eingesetzt. Und: Gaddafi hat früher schon Terroristen unterstützt und sehr wahrscheinlich selber Terroranschläge befohlen.

Das wissen wir, und wir haben es längst gewusst. Wir, der Norden und seine demokratisch legitimierten Regierungen, hätten daraus längst die Schlussfolgerungen ziehen können. Aber Politik ist nur selten eine Frage der Moral.

Ein historischer Fortschritt

So gesehen ist die UNO-Resolution mit der Nummer 1973 ein historischer Schritt: Sie autorisiert zum ersten Mal die Mitgliedstaaten, «alle Massnahmen zu ergreifen, um Zivilisten und zivil bewohnte Gebiete in der Republik Libyen…zu schützen.» Das Rechtsprinzip der «Responsibility to Protect», der Verantwortung, die Zivilbevölkerung zu schützen, kommt damit erstmals ausdrücklich zur Anwendung.

Mehr Fragen als Antworten

Aber: Obama, Sarkozy und Cameron versprechen mehr. Sie versprechen Gaddafis Abgang. Sie sagen nur nicht: mit welchen Mitteln. Und die UNO-Resolution schliesst zum Beispiel Besatzungstruppen in Libyen ausdrücklich aus. Das ist die pragmatische Sicht.

Die grundsätzliche Sicht: Man muss schon sehr wohlwollend sein, wenn man den Sturz Gaddafis noch als notwendige Massnahme zum Schutz der Zivilbevölkerung betrachten will.

Geben die drei Staats- und Regierungschefs damit nicht den Kritikern recht, deren Motive ansonsten gewiss nicht über jeden Zweifel erhaben sind: China, Russland, Indien, Deutschland? Untergraben sie damit nicht diesen unbestreitbaren Fortschritt: dass mit der «Responsibity to Protect» die Souveränität der Staaten nicht mehr als oberstes Prinzip behandelt wird, sondern dass der Schutz der Menschenrechte, der Schutz vor Genozid, Völkermord und Kriegsverbrechen (gegen die eigene Bevölkerung!) höher gewertet wird?

Obama, Sarkozy, Cameron sind nicht die UNO. Das Konzept des «Verantwortung zum Schützen» bindet aber Eingriffe wie in Libyen ausdrücklich an den Beschluss des Sicherheitsrates. Das Mandat spricht nirgends von Gaddafis Sturz.
Obama, Sarkozy, Cameron sind nicht die NATO. Die Differenzen im nordatlantischen Bündnis liegen offen zutage, und einige Staaten machen ausdrücklich militärisch nicht mit. Mit welchem Recht also propagieren die drei Eidgenossen aus Europa und Amerika Gaddafis Sturz?

Frankreich und England sind alte Kolonialmächte mit sehr aktuellen politischen und wirtschaftlichen Ansprüchen in ihren alten Kolonialgebieten in Afrika und im Vorderen Orient. Die USA sind spätestens seit dem 2. Weltkrieg zu einer globalen Supermacht mit weltumspannenden Interessen geworden. Diese Interessen hat Amerika immer wieder offen deklariert, auch in Form einer Globalstrategie, und gerade auch für den Nahen Osten und den Mittelmeerraum. Stärkt die aussergewöhnliche öffentliche Erklärung der Drei nicht den Verdacht, sie meinten in Libyen weniger den Schutz der Zivilbevölkerung als den Schutz ihrer Machtinteressen?

Folgen für die Zukunft

Diese Fragen haben Cameron, Obama und Sarkozy offen gelassen, und diese Fragen müssen beantwortet werden. Auch mit Blick auf Menschen, die künftig mit gutem Grund nach dem Schutz unter dem Titel der «Responsibility to Protect» rufen werden. Denn dieses neue Prinzip gerät sonst von Anfang an in den Verdacht, es werde (zumindest auch) für Ziele der jeweils Starken und Mächtigen benutzt.

Auch wenn nach wie vor gilt, dass der Schutz der libyschen Menschenrechts-Aktivisten und einer Bevölkerung, die nach Demokratie und Frieden und Schutz für Leib und Leben ruft, gerechtfertigt war und ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.