Sperberauge

Wie die Wirte zu Schlagzeilen kommen

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

upg /  Rezept: Man mache eine kurze Telefonumfrage, verkaufe sie als «Studie» und garniere sie mit Forderungen.

Der frühere Wirteverband wollte unter dem heutigen Namen «Gastrosuisse» an seiner Jahreskonferenz vom 28. April wieder einmal für seine bekannten Forderungen Wind machen: «Senkung der Lohnkosten mit flexibleren Arbeitszeiten», «keine Beschränkungen für Kurzaufenthalter, die bis zu 12 Monate in der Schweiz bleiben», «kein Inländervorrang bei Anstellungen».
Diese bekannten Anliegen allein hätten kein grosses Medienecho ausgelöst. Also garnierte sie Gastrosuisse mit einer «Studie», wonach «36 Prozent aller Schweizer regelmässig zum Auswärtsessen ins Ausland» gehen. Das entspreche einem «Wertschöpfungsverlust» in Höhe von rund vier Milliarden Franken.
Die von Gastrosuisse beim Link-Institut in Auftrag gegebene «Studie» erhärte den Schluss, dass Gastronomietourismus «ein echter Trend» sei, verkündete die Lobbyorganisation von Restaurants und Hotels in einem Communiqué. Die NZZ verbreitete darauf als Tatsache, dass «die Schweizer wegen der hohen Preise vermehrt im Ausland konsumieren».

Die PR-Leute von Gastrosuisse wärmen den Begriff «Gastrotourismus» auf, und schon reicht die Botschaft in fast alle Zeitungen sowie in die Tagesschau. Der Tagesschau-Moderator leitete einen Kurzbeitrag mit der Schlagzeile ein: «Immer mehr Schweizer kombinieren ihren Einkauf im Ausland mit einem Besuch im Restaurant. Der Gastrotourismus macht dem Gastgewerbe zu schaffen.»

  • Die Tagesschau und die meisten Zeitungen haben die Behauptung unbedarft übernommen, dass die Schweizer Bevölkerung «vermehrt» oder «immer mehr» im benachbarten Ausland essen gingen. Doch Gastrosuisse lieferte keine entsprechenden Vergleichszahlen. Auch auf nachträgliche Anfrage von Infosperber nicht.


Keine kritische Frage zur «Studie» von Gastrosuisse
Längst ist bekannt, dass Auftraggebende das Resultat von Studien beeinflussen. Im konkreten Fall berichteten fast alle Medien korrekt, dass Gastrosuisse die Auftraggeberin war.

  • Allerdings übernahmen die Medien die Bezeichnung «Studie», obwohl es sich lediglich um eine Telefonumfrage des Link-Instituts handelte.
  • Weder Zeitungen noch die Tagesschau haben die grundlegendste Frage gestellt, wer denn die 1200 Befragten überhaupt waren. Gastrosuisse hat dies weder an der Medienkonferenz noch auf ihrer Webseite transparent gemacht. Einige Medien übernahmen die Gastrosuisse-Formulierung «die Schweizer» (Tagesschau), andere erfanden «die Deutschschweizer» (Basler Zeitung), wieder andere schrieben einfach von «Befragten» (NZZ) und liessen ihre Leserinnen beziehungsweise Leser selber erraten, wen Gastrosuisse wohl befragen liess.

Tatsächlich befragte das Link-Institut per Telefon 1200 «sprachassimilierte Einwohner der ganzen Schweiz» im Alter zwischen 15 und 75 Jahren. Das wussten die berichtenden Medien allerdings nicht und fragten auch nicht danach.

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Eine Meinung zu

  • am 1.05.2015 um 11:53 Uhr
    Permalink

    Und jetzt, Herr Gasche? Gibt es nicht genügend noch weit weniger belegte «Tatsachen», die herumgeboten werden?

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