Freysinger_Cleusix

SVP-Staatsrat Oskar Freysinger und sein wackliger Chefbeamter Jean-Marie Cleusix © vs

Oskar Freysinger bleibt im CVP-Sumpf stecken

Kurt Marti /  Ursprünglich wollte er den Walliser Augiasstall ausmisten. Doch Staatsrat Freysinger wurde ein gelehriger Schüler des CVP-Systems.

Wenige Monate nach seinem Amtsantritt als erster Walliser SVP-Staatsrat degradierte Oskar Freysinger seinen obersten Bildungsbeamten Jean-François Lovey, Chef der Dienststelle für Unterrichtswesen, und versetzte den gedemütigten Vorpensionär auf ein Nebengeleise. Leider zog sich das Auswahlverfahren für den Nachfolger bis Ende 2013 hin, so dass Freysinger in Zugzwang geriet und dabei mindestens ein Auge zudrücken musste. Inzwischen wurde der Lovey-Nachfolger Jean-Marie Cleusix zur schweren politischen Hypothek für Freysinger.

Cleusix hatte noch vor dem Selektionsverfahren Staatsrat Freysinger darauf hingewiesen, dass er in einen heftigen Steuerstreit mit der Gemeinde Leytron verwickelt sei. Im Klartext: Cleusix zahlte vier Jahre (1995 bis 1998) keine Steuern, was die Gemeindeverantwortlichen von Leytron in Rage versetzte, umso mehr als der Gemeindepräsident der FDP angehört, welche bei den letzten Staatsratswahlen ihren Regierungssitz so schmerzlich an Freysinger abtreten musste. Leytron bezifferte den Cleusix-Steuerausfall auf rund 78 000 Franken und forderte vom Kanton Wallis ultimativ Schadenersatz in gleicher Höhe. Keineswegs zu Unrecht, denn die vierjährige «Steueramnestie» war die Folge einer unrühmlichen Kaskade von Fehlern der kantonalen Steuerrekurskommission; einem traditionellen Tummelfeld von Treuhändern, Juristen, Staatsbeamten und Grossräten aus den Reihen der CVP und CSP.

Freysinger: Steuerstreit ist «Privatsache»

Obwohl Freysinger vom Steuerstreit seines Wunschkandidaten wusste und obwohl er selbst in der Arbeitsgruppe sass, die für die Evaluation des neuen Dienststellenchefs zuständig war, verschwieg er den brisanten Steuerstreit gegenüber der Arbeitsgruppe. Später erklärte er gegenüber der kantonalen Geschäftsprüfungskommission (GPK), dass der Steuerstreit «nichts mit der Ernennung zu tun hatte» und eine rein private Angelegenheit sei. Laut GPK eine klare «Fehleinschätzung». Hätte die Arbeitsgruppe vom Steuerstreit gewusst, wäre die Wahl von Cleusix möglicherweise gefährdet gewesen oder zumindest verschoben worden. Diese Verzögerung wollte Freysinger unbedingt vermeiden, denn er brauchte seinen Amtschef auf den Beginn des Jahres 2014, um Budget-Fragen zu klären und um generell das Funktionieren der Dienststelle für Unterrichtswesen zu gewährleisten, wie er gegenüber der GPK beteuerte.

Cleusix hatte aber nicht nur Freysinger, sondern auch den gesamten Walliser Staatsrat über seinen Steuerstreit informiert. Doch auch dieser teilte Freysingers Einschätzung, dass es sich um eine rein private Angelegenheit handelte und ermunterte Cleusix bloss, «die Steuerprobleme mit der Gemeinde Leytron zu regeln». Nicht als Bedingung für die Wahl zum kantonalen Chefbeamten, sondern offenbar freiwillig als Zeichen guten Willens. Diese laxe Haltung des Staatsrats erstaunt wenig, denn Freysinger hatte im Staatsrat in Sachen Steuerfragen mindestens einen Gesinnungsgenossen und Verbündeten, nämlich Finanzminister Maurice Tornay (CVP). Tornay ist seit geraumer Zeit wegen der Steueraffäre um den Weinhändler Dominique Giroud unter Druck.

SVP-Staatsrat wirft sich an die CVP-Brust

Um das lodernde Feuer der beiden Steuer-Affären «Giroud» und «Cleusix» einzudämmen, trat im Januar 2014 die fünfköpfige Walliser Regierung in corpore vor die Medien. Zwei Tage zuvor hatte sich Freysinger dem CVP-Finanzminister Tornay öffentlich an die Brust geworfen: Er lege für ihn in der Affäre «Giroud» die Hand ins Feuer. Solche Mauscheleien lägen «nicht in der DNA Tornays». Alles sei nur ein «Rachefeldzug der FDP gegen die CVP und die SVP», orchestriert von Alt-Bundesrat Pascal Couchepin, wurde Freysinger im «Walliser Bote» zitiert. Zur Erinnerung: Freysinger war ursprünglich angetreten, den Walliser Augiasstall unter der Regie der CVP auszumisten!

CVP-Staatsrat Maurice Tornay: «Bedauerlich»

Den Freysingerschen Minnesang kann CVP-Staatsrat Tornay gut gebrauchen, denn er ist nicht nur im Fall «Giroud» unter Druck, sondern auch in die Cleusix-Affäre verwickelt. Tornay sass nämlich 20 Jahre lang (1989 – 2009) in der ominösen Walliser Steuerrekurskommission (KRK), von 2005 bis 2009 sogar als deren Vize-Präsident. Anlässlich der Krisen-Medienkonferenz des Staatsrats im Januar 2014 erklärte Tornay, das Dossier «Cleusix» sei von der KRK nicht termingerecht behandelt worden, was «bedauerlich» sei. Dass er dafür als damaliger Vize-Präsident der KRK eine Mitverantwortung trägt, hängte er allerdings nicht an die grosse Glocke und auch in den Medien herrschte darüber grosses Schweigen.

Steuerdossier «Cleusix» blieb acht Jahre verschollen

Rückblick: Cleusix hatte im Jahr 1999 die Steuerveranlagungen der Jahre 1995/96 und 1997/98 bei der KRK angefochten, worauf das Steuerdossier «Cleusix» acht Jahre lang verschollen blieb bis es zufällig im Jahr 2007 wieder auftauchte. Dann liess die KRK ein weiteres Jahr verstreichen bis endlich im November 2008 ein Rekursentscheid getroffen wurde. Zur besseren Reifung blieb dieser Entscheid weitere drei Monate bei der KRK liegen und erreichte Cleusix erst Ende Februar 2009, pikanterweise zwei Monate nach Ablauf der 10-jährigen Verjährungsfrist und drei Tage vor Tornays Wahl in den Staatsrat. Wegen der Verjährung ging Cleusix vier Jahre steuerfrei aus und die Gemeinde Leytron beklagte den Ausfall von 78 000 Franken.

Neben dem damaligen CVP-Grossrat Tornay sass in der fraglichen Zeit auch der CSP-Grossrat Philipp Schnyder als zweiter Vize-Präsident in der KRK. Beide gehörten also gleichzeitig auch dem Wahlgremium der KRK, dem Grossen Rat, an. Im Jahr 2008 übernahm Schnyder das KRK-Präsidium und er sitzt bis heute im Kantonsparlament. Doch Schnyder ist nicht nur Mitglied des Wahlgremiums der KRK, sondern auch noch der Justizkommission (JUKO), welche die parlamentarische Aufsicht über die KRK wahrnehmen sollte. Kein Wunder, dass die JUKO die dürren KRK-Berichte alljährlich mit huldvollen Prädikaten durchwinkte, um endlich im vergangenen Herbst aufzuwachen, aufgeschreckt durch die Cleusix-Affäre.

Ämterkumulation: Bundesgericht spricht ein Machtwort

Jahrelang waren weder die JUKO, noch die KRK-Mitglieder Tornay und Schnyder daran interessiert, diesen CVP-Sumpf auszutrocknen, in dem nun indirekt auch der SVP-Staatsrat Freysinger kläglich stecken bleibt. So hatte auch niemand ein Problem damit, dass der KRK-Schreiber Gilles de Riedmatten gleichzeitig Chef des Rechtsdienstes für Finanzen im Finanzdepartement war, gegen dessen Steuerveranlagungen nota bene sich die Steuerrekurse richteten und an dessen Spitze seit 2009 Finanzminister Tornay steht.

Inzwischen hat das Bundesgericht diese Doppelfunktion des KRK-Schreibers als unzulässig taxiert, weil dadurch die Unabhängigkeit nicht gewährleistet sei. Nach 30-jähriger KRK-Tätigkeit musste de Riedmatten den Hut nehmen. In einer diesbezüglichen offiziellen Medienmitteilung des Kantons meldeten sich die beiden ehemaligen KRK-Vize-Präsidenten Tornay und Schnyder zu Wort und hatten gar den Mut, explizit darauf hinzuweisen, dass der Entscheid des Bundesgerichts nur strukturelle Probleme und «nicht etwa ein Fehlfunktionieren der Kommission» betreffe. Die beiden Protagonisten hätten wohl besser den Bericht der JUKO abgewartet, der eine Woche später erschien.

Justizkommission blendet Staatsrat Tornay aus

In diesem Bericht empfiehlt die JUKO dem Grossen Rat, aufgrund von «inakzeptabler» und «sträflicher Nachlässigkeit» der KRK «eine Verantwortlichkeitsklage sowie Strafanzeigen wegen ungetreuer Geschäftsführung gegen die vom Grossen Rat ernannten Mitglieder der KRK» einzureichen. Zudem fordert die JUKO die Bildung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zur Untersuchung von sieben verjährten und eventuell weiteren verschlampten Steuerdossiers. Ausgeblendet wurden im JUKO-Bericht die jahrelange Blindheit der JUKO selbst und die Mitverantwortung von Staatsrat Tornay.

Im Grossen Rat kam vor allem der amtierende KRK-Präsident Schnyder unter Druck. Ein Vorstoss, der Schnyder zum Rücktritt aus der KRK und der JUKO auffordern sollte, wurde nur knapp abgelehnt. Ungeschoren kam der ehemalige KRK-Vize-Präsident Tornay davon. Cleusix hingegen fand im Grossen Rat keine Gnade: In einer Abstimmung verlangte dieser die vorübergehende Suspendierung von Freysingers Chefbeamten, bis das eingeleitete Disziplinarverfahren abgeschlossen ist. Aus arbeitsrechtlichen Gründen sprach sich der Staatsrat gegen eine Suspendierung aus. Wohl auch im Wissen, dass die Ursprünge der Cleusix-Affäre im CVP-Sumpf der KRK zu suchen sind, wo Tornay 20 Jahre mitmischte.

Vermischung von Öffentlichem und Privatem

Den Machenschaften des CVP-Filzes eifern nun auch die beiden ehemaligen Gymnasiallehrer Freysinger und Cleusix mit grossem Fleiss nach. Einerseits sind sie darauf bedacht, Öffentliches und Privates strikt zu trennen, andererseits vermischen sie beide Bereiche mit freihändiger Kreativität, wenn es ihnen gerade opportun erscheint: Das Steuerproblem von Cleusix erklärte Freysinger kurzerhand zur «Privatsache», obwohl es von grösstem öffentlichen Interesse ist, wenn ein angehender Chefbeamter seine Steuern nicht bezahlt.

Ganz anders hingegen agierten die beiden Pappenheimer in einem anderen Fall: Als im Januar 2014 der FDP-Gemeindepräsident von Leytron eine Medienkonferenz zum Fall Cleusix organisierte, beauftragte Freysinger seinen Chefbeamten Cleusix, die Medienkonferenz zu protokollieren. Für diese Mission im rein privaten Interesse schickte Cleusix eine Praktikantin des Kantons an die Medienkonferenz und verlangte von ihr, sich als Vertreterin der kantonalen Informationsstelle (IVS) auszugeben. Die anfängliche «Privatsache» war plötzlich zur öffentlichen Angelegenheit mutiert, wofür das Duo Freysinger-Cleusix sich berechtigt fühlte, staatliches Personal einzusetzen.

Die Cleusix-Affäre lässt tief blicken: Statt Tornay und Konsorten die Leviten zu lesen und den Augiasstall der C-Parteien auszumisten, braucht Freysinger in seiner Notlage dringend Verbündete unter den drei CVP-Staatsräten. Dabei entpuppen sich Freysinger und Cleusix als gelehrige Schüler des CVP-Systems. Für den Kanton Wallis verheisst das nichts Gutes, denn die SVP wird sich in den nächsten Jahren vermehrt an die kantonalen Fleischtöpfe heranmachen und folglich für die Fortsetzung der katholisch-konservativen Vettern- und Misswirtschaft besorgt sein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Kurt Marti ist Autor des Buches «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz»

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3 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 27.11.2014 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Dieser Artikel ist viel konkreter, bezogen auf einzelne Sätze – etwa den Steuerausfall von 78 000 Franken in der Gemeinde Leytron -, als wenn Marti über das Wallis im Mittelalter oder über den Sonderbund schreibt. So muss man schreiben, das ist verifizierbar bzw. falsifizierbar! Selber kannte ich Hans Wyer, Präsident CVP, in meiner Eigenschaft als Eidg. Delegierter CVP recht gut, schrieb auf ihn einen Nachruf in http://www.portal-der-erinnerung.de. Als CVP-CH-Präsident war er klar glaubwürdiger als Darbellay, die Partei war damals, was die Resultate ausweisen, wählbarer als heute. Im Wallis herrschte jedoch «Democrazia Christiana», das relativierte auch Wyer und machte eine Opposition, wie sie Marti mitverkörpert, umso notwendiger. Was nicht heisst, dass Marti im Einzelfall immer recht haben muss. Er sieht wohl richtig, dass die SVP, ich kann das nur für LU, AG, TG, SG sagen, daran ist, nicht etwa den «Faschismus» einzuführen, sondern die Nachfolge der zerfallenden kath.-konservativen Partei anzutreten mit den bekannten Begleiterscheinungen, die Marti kritisch beschreibt. Es handelt sich dabei um Versuchungen, vor denen auch linke Parteien nicht gefeit sind, sobald sich der Erfolg und für einzelne Protagonisten die Karriereperspektive auftut. Vgl. die Sozialisten in Frankreich und die SPD in Deutschland, aber wohl auch die Tschäppät-SP in finanziell wenig leistungsfähigen Schweizer Kantonen. Umso wichtiger scheint es mir, für das Element der direkten Demokratie einzustehen.

  • am 24.12.2014 um 01:01 Uhr
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    Oskar Freysinger hat sicher immer gewusst, dass im Wallis die Uhren anders ticken als andernorts, und zudem hat er keine Fraktion im Rücken, die ihm eine grosse Hilfe wären, wenn’s mal irgendwo richtig brennt.

    Vielleicht hat er sich aber auch einfach nur überschätzt, mit seinem damaligen Ziel. Oder man hat ihn überschätzt, als Junger, mit Ross-Schwanz, in der SVP, wo sonst ja nur alte Knacker sitzen. Ich glaubte ja erst auch, er sei wohl ein Moderner, Aufgeschlossener, ein progressiver Macher, aber ich habe mich wohl auch nur geirrt.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 24.12.2014 um 07:25 Uhr
    Permalink

    Herr Jacob, Freysinger Aufgabe als progressiver Macher, wie Sie schreiben, wäre tatsächlich eine Fehleinschätzung. Über seine poetischen Leistungen habe ich mich auf http://www.lu-wahlen.ch im Jahre 2013 kritisch geäussert, wiewohl man seine publizistischen Sachen sicher nicht auf das immer wieder gleiche miese Gedicht reduzieren darf und sollte. Wer Freysinger indes kennt, weiss, dass er immer noch zu den 5 gebildetsten Mitgliedern der derzeitigen Vereinigten Bundesversammlung gehört, was zwar nicht überschätzt werde sollte, weil zahlreiche Mitglieder überhaupt keine Bücher mehr lesen, wie ich aufgrund konkreter Recherchen weiss. Nach meiner Meinung ist für jemanden wie Freysinger zumal auch im Vergleich zu den CVP-Leuten, die tatsächlich oft auswechselbar und historisch in Bedeutungslosigkeit versinken, für jemanden wie Freysinger Platz.
    Vom geistigen Horizont her muss er sich vor Bodenmann nicht verstecken, was zwar auch wieder nur bedingt ein Kompliment ist. Mit Freysinger kann man sich auf höhrerem Niveau über geistige Sachen unterhalten, was bei über 90% der Schweizer Politiker sonst nicht der Fall ist. Schöne gesegnete Weihnachten.

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