Kommentar

Der Spieler: Steinzeit für Jung und Alt

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  »Stone Age Junior« hat die wichtigste Auszeichnung für Kinderspiele gewonnen. Die Marketingstrategie des Verlags ist aufgegangen.

Kinder von heute sind die Spieler von morgen. Wer früh mit Brettspielen gute Erfahrungen gemacht hat, wird als Erwachsener in der Regel gerne dabei sein, wenn Gesellschafts- und Kartenspiele auf den Tisch kommen. Umgekehrt gilt auch, dass Menschen, die Spiele nicht mögen, vermutlich keine guten Erinnerungen ans Spielen in ihrer Kindheit haben.

Verlage wissen das. Hinter der markanten Qualitätssteigerung, die seit einigen Jahren im Bereich der Kinderspiele zu beobachten ist, stehen ganz sicher solche Überlegungen. Dabei geht es allerdings nicht nur darum, aus generellen und idealistischen Gründen und mit überzeugenden Produkten dafür zu sorgen, dass Kinder später auch als Erwachsene spielen. Wenn sie schon spielen, dann sollen sie sich doch, bitte, ihr Leben lang mit Ravensburger-, Schmidt-, Amigo-, Mattel-, Kosmos- oder Zoch-Spielen vergnügen. Das entsprechende Angebot ist vorhanden.

Wo »Junior«, da »Senior«

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Wahl von »Stone Age Junior« zum »Kinderspiel des Jahres 2016« zusätzliche Bedeutung. Denn der Hinweis »Junior« im Titel des Spiels deutet darauf hin, dass es da noch einen »Senior« geben muss. Ein solcher ist tatsächlich vorhanden: »Stone Age«, erschienen 2008 im Münchner Verlag Hans im Glück. Sein Autor ist Michael Tummelhofer. Hinter dem Pseudonym versteckt sich Bernd Brunnhofer, der Verleger höchstpersönlich. »Stone Age« schaffte es seinerzeit auf die Nominierungsliste zum »Spiel des Jahres«, unterlag dann aber in der Endausmarchung gegen »Keltis«.

»Stone Age« gehörte 2008 zu Recht zu den Anwärtern auf die weltweit wichtigste Auszeichnung für Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele. Für die meisten Kritiker war es sogar Kronfavorit, weil es dem Autor und dem Verlag gelungen war, die alltäglichen Herausforderungen im Leben eines Steinzeitmenschen (oder so, wie wir es uns heute vorstellen) spannend in ein Brettspiel umzusetzen. Spielerinnen und Spieler führen je einen Familienclan. Als Oberhaupt der Familie weist man seinen Leuten Aufgaben zu, Holzsammeln, Goldwaschen, Ziegelbrennen, Hüttenbauen. Auch brauchen die Leute etwas zum Essen, und schliesslich müssen die Familien auch für Nachwuchs sorgen. Sind die Aufgaben zugeteilt, entscheidet der Würfel über den Wert des jeweiligen Engagements. »Stone Age« sei zu glückslastig, heisst es deswegen oft. Ich meine aber, gerade diese Mischung von Strategie, Taktik und Glück biete vor allem für jene Menschen ein tolles Spielerlebnis, die nicht unbedingt lange grübeln wollen oder es auch schätzen, wenn der Würfel für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt (wie das auch im modernen Klassiker »Siedler von Catan« der Fall ist).

Einstieg zum Einstieg

»Stone Age«, das sich einer konstanten Beliebtheit erfreut, bietet einen hervorragenden Einstieg in die Gattung der so genannten Workerplacement- oder Aufbauspiele. Insofern ist »Stone Age Junior« der Einstieg zum Einstieg. Marco Teuber, sein Autor, baut auf den zentralen Elementen des älteren Vorbilds auf. Die Spieler planen, sammeln, üben sich im Rohstoffmanagement und setzen ihre Familienmitglieder geschickt auf die unterschiedlichen Aufgaben an. Bindet in »Stone Age« der Würfel die kühlen Taktiker ein wenig zurück, so sind es hier Memo-Elemente, »die geschickt die Chancengleichheit zwischen den Generationen« herstellen, wie die Jury in der Begründung ihres Entscheides zugunsten von »Stone Age Junior« schreibt.

Hans im Glück hat sich bisher als Verlag für Familien- und Erwachsenenspiele (u.a. »Carcassonne«, »Dominion«, »Russian Railroads«, »El Grande«, »Ohne Furcht und Adel«, »St. Petersburg«) profiliert. Mit »Stone Age Junior« wagt er sich nun auf das weite Feld der Kinderspiele, einen Markt mit enormem Wachstumspotenzial. Dabei sind die Münchner recht clever vorgegangen. Sie haben nicht ein Produkt, das auch in jedem anderen Verlag hätte erscheinen können, entwickelt, sondern eines, bei dem von allem Anfang an klar ist, woher es stammt. Denn »Stone Age Junior« sagt auch unmissverständlich: »Ich komme von Hans im Glück, und die machen doch so tolle Spiele!«

»Stone Age Junior« deswegen als reines Marketingprodukt abzutun, wäre jedoch total falsch. Meines Erachtens ist das sehr wohl in der Lage, Kinder ab fünf/sechs Jahren in die Welt der Strategie- und Taktikspiele einzuführen und damit erste Erfahrungen mit einer Art von Spielen zu machen, die auf lange Sicht wunderbare Spielerlebnisse vermitteln. Ob diese Erwartungen auch erfüllt werden, wird sich in ein paar Jahren zeigen, wenn es »Stone Age«-Fans gibt, die von sich sagen, »Stone Age Junior« hätte sie für dieses Spiel begeistert.

Warten auf den Startschub

Bei der Wahl zum »Spiel des Jahres«, die am 18. Juli in Berlin bekannt gegeben wird, könnte sich Ähnliches wiederholen wie jetzt beim »Kinderspiel des Jahres«, mit umgekehrten Vorzeichen allerdings. Einer der drei Anwärter auf die begehrte Auszeichnung ist »Karuba«, erschienen bei Haba. Der Verlag mit der gelben Hausfarbe zählt seit Jahrzehnten zu den führenden Herstellern von Kinderspielen in Deutschland. Mit dem taktischen Legespiel »Karuba« will er nun auch Erwachsene ansprechen. Das Wagnis, das Haba eingeht, ist um einiges grösser als jenes von Hans im Glück. Erstens docken sie nicht bei einem der meistverkauften und beliebtesten Produkte aus dem eigenen Haus an (z.B. bei »Obstgarten« oder »Henne Berta«). Zweitens lassen sich Kinderspiele generell nicht einfach zu Erwachsenspielen upgraden, zumal Erwachsene Kinderspiele sehr oft als »Kinderkram« abtun, mit dem sie sich nie beschäftigen würden. Wenn schon, müsste »Karuba« seinen Weg in die Welt der Familien und Erwachsenen völlig autonom schaffen. Die Qualität hat es. Ob es über einen möglichen Titel »Spiel des Jahres« noch einen zusätzlichen kräftigen Startschub erhält, wissen wir in zwei Wochen.

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Stone Age Junior: Aufbauspiel mit Memo-Elementen von Marco Teuber für 2 bis 4 Spieler und Spieler ab 5 Jahren. Verlag Hans im Glück (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 35.-

Stone Age: Taktisches Aufbauspiel von Michael Tummelhofer (Bernd Brunnhofer) für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Verlag Hans im Glück (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 55.-

Karuba: Taktisches Legespiel von Rüdiger Dorn für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Haba Spiele (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 43.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 4.07.2016 um 13:43 Uhr
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    Ich habe meine ganzen über 70 Jahre nie besonders gern gespielt, ausser wenn wir manchmal am Stubentisch mit Eckbank en famille ein «Eile mit Weile» gespielt haben. Das gab ein Gemeinschaftsgefühl. Verlieren gehörte halt dazu.
    Buchstaben jedoch waren für mich von klein auf attraktiver. (Angefangen hat es mit dem «F» auf der alten Forchbahn, da war ich wohl etwa vier.) Meine Kinder sind bei mir mit Spielen nicht ganz auf ihre Rechnung gekommen, manchmal liess ich mich zu einem «Halma» oder «Nünimal» oder «EilemitWeile» überreden. Sehr gerne habe ich aber vorgelesen, vor allem dabei ins Züritütsche übersetzend. Ein Sprachfreak.
    Aber dieses «Stone Age Junior» tönt irgendwie spannend. Denken Sie, dass das sogar einen Spielmuffel begeistern könnte, der so viele interessante Bücher zu lesen hat? Vielleicht hätten ja Enkelkinder auch mal Lust auf so was? Was denken Sie?

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