Kommentar

Demokratien entstehen langsam in kleinen Schritten

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/  Ägypten, Tunesien, Jemen oder auch der Iran werden nicht von einem Tag auf den anderen demokratisch. Das wäre eine naive Illusion.

In keinem Land kann eine Demokratie bei Null beginnen. Niemand kann sagen: Der Diktator ging, die Demokratie ist da. Demokratie braucht viel Geduld; sie muss keimen, wachsen und zum ersten Schnitt kommen.

Parteibosse können versteckte Diktatoren sein

Niemand kann behaupten: Zwei Parteien wurden zugelassen, nun gibt es Demokratie. Parteibosse können versteckte Diktatoren sein, wie einst vom grossen Chef ausgelagert.

Die meisten Oppositionsführer wissen gar nicht, welche Bedeutung eine Opposition in der Demokratie hat. Sie werden von der Grossfamilie oder vom Stamm gestützt. Sie sind auf Geld und Güter aus. Ihnen geht es nicht ums Allgemeinwohl.

Am Anfang «faire Wahlen» zu erwarten, ist naiv

Demokratie setzt ein Umdenken, nicht nur ein Umschichten von feudalen Schichten voraus. So etwas ist ein langwieriger Prozess, und dieser beginnt oft mit viel Sturm und Drang, mit vielen Machenschaften der alten Garde oder Kaste – offen oder im Hintergrund – und setzt also mit viel Verwirrung in der Bevölkerung ein. Am Anfang «faire Wahlen» zu erwarten, ist daher naiv. Letztlich können alle froh sein, dass es zu einer ersten Wahl kommt.

Falsche Hoffnungen geschürt

Demokratie ist nämlich ein Erziehungsereignis und ist nicht von einem Tag auf den anderen auf dem Tablet perfekt servierbar. Es war geradezu lächerlich und so oder so sehr naiv, als viele Medien nach dem Ende des Kalten Kriegs meinten, in Afrika sei die Demokratie ausgebrochen. Das war bloss ein Verschnaufen, aber von einem Prozess haben wir nichts gespürt. Somit blieb es mehr oder weniger dasselbe bis heute. Selbst die Diktatoren sind noch alle da oder durch andere ersetzt. Wie konnten da nur die International Herald Tribune und ähnlich auch die New York Times schreiben: The improvement in democratic standards was dramatic?

Es braucht eine Mittelklasse

Demokratie wächst langsam; sie braucht ein günstiges Klima. Demokratie besteht aus einer Mittelklassen, die z.B. Afrika kaum hat. Diese Mittelklasse nimmt Abstand vom Clan oder von der Rasse; sie geht aus dem Familienzwang heraus, befreit sich – und genau das macht Demokratie aus. Sie braucht eine freie Meinungsäusserung, und hierfür sind in Afrika Parteien sogar hinderlich, weil sie Fraktions-, d.h. Stammeszwang ausüben.

Stämme oder Grossfamilien schauen für sich

Im klassischen Sinn geht es der Opposition gar nicht um die Entwicklung eines demokratischen Geistes, sondern um Anteil an der Macht (gilt sowohl für Morgan Tsvangirai, Zimbabwe, als auch für den Kenyaner Raila Odinga) und da schaut natürlich jeder Stamm oder jede Grossfamilie, dass er oder sie einen Teil an Macht und Geld abbekommt. Das Resultat ist dann nichts anderes als eine Auslagerung der früheren Macht in einem einzigen Haupt, resp. Autokraten (etwa Mobutu oder im Kleineren Museveni). Wir kennen doch dieses Phänomen vom früheren Europa, etwa von Frankreich mit den 14 dominierenden Familien oder sogar von Bern mit den Burgern.

Statt einem Diktator hat ein Land plötzlich mehrere Mini-Diktatoren, die sich selbst untereinander bekämpfen. Ein politisches Programm besitzen sie nicht und um Volksvertretung im weiteren Sinn kümmern sie sich schon gar nicht. In Europa würde man sie lediglich als Lobbyisten bezeichnen.

Es braucht vielfältige Medien

Parteien müssen mühsam aufgebaut werden. Dazu braucht es eine vielfältige und reichhaltige Presse, darf es kein Fernsehmonopol geben, wie zuvor unter dem Diktator. Das Gleiche gilt für das Radio. Heute jedoch werden diese traditionellen Medien abgelöst vom Internet und von anderen elektronischen Kommunikationsmitteln. Auch das Handy spielt eine wichtige Rolle. Man sei jedoch gewarnt, dass es auch hier stets zwei Seiten gibt: Informationen und Gerüchte.

Menschen lernen Demagogie kennen

Zurück zur Realität. Die ersten Wahlen werden nie perfekt sein. Die Leute wissen eigentlich gar nicht, was eine Wahl ist und was sie von früher abhebt und was sie von einem Verwirrungsprozess unterscheidet. Man muss eben selbst das Wählen lernen. Nehmen wir die Zahlen nicht so ernst; wichtiger für die betroffenen Menschen ist vielmehr, dass es zu einem solchen Vorgang überhaupt gekommen ist. Dieser kann ihnen die Augen öffnen. Sie lernen Demagogie kennen. Sie realisieren, wie wichtig Transparenz ist. Die Leute sind nicht dumm, nur etwas verwirrt.

Vom Asyl Heimkehrende könnten Prozess beschleunigen

Wer jahrzehntelang abgeschnitten von aussen, nur mit manipulierter einseitiger Information gelebt hat, von einem Super-Chef ähnlich einem Gott Wahrheit vorgeplärrt bekommen hat, braucht eine lange Zeit, um aus der befohlenen Kindheit heraus in die politische Pubertät zu kommen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass vor solchen ersten Wahlen möglichst viele aus dem Asyl heimkehren, um das, was sie in der Distanz gelernt haben, den Anderen zuhause mitzuteilen.

Was eine solche erste Volkswahl auszulösen vermag, haben wir 1994 in Südafrika erlebt. Sogar das Kreuz auf dem Wahlzettel hat eine ganze künstlerische Epoche ausgelöst. Zur Demokratie gehören eben auch Symbole, Kunst, und eine Reform der Staatsliteratur und der Marsch-Musik.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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