Kommentar

Befohlenes Französisch ist nicht die Lösung

Heinz Moser © zvg

Heinz Moser /  Bei Jungen ist das Interesse für die französische Kultur neu zu wecken mit Musikevents, Theater, Lehrer- und Schüleraustauschen.

«Hey, ein cooler Rap von Eminem», meint ein 18-Jähriger, der sein Cap schief auf dem Kopf trägt und die Earphones in den Ohren eingestöpselt hat. Das hört sich schon fast wie frühenglisch an und unterscheidet sich meilenweit von den Erfahrungen von Jugendlichen aus den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Die frankophone Jugend von einst

In den 50er und 60er Jahren hörte man die neusten Chansons von Jacques Brel und Edith Piaf, oder man machte sich mit Gilbert Bécaud auf die musikalische Reise nach Moskau – zu Nathalie, mit der man sich auf dem roten Platz im Café Puschkin traf. Man las die existenzialistische Philosophie von Camus und Sartre und trug ein französisches Béret. Klar, das war noch vor den Beatles und den Stones. 1968 markierten die Studentenunruhen in Paris das Lebensgefühl der Jugendlichen mindestens so stark wie ein Jahr später das Woodstock-Festival in den USA. Der Schweizer Ur-Achtundsechziger Klaus Meienberg lebte nicht umsonst als Korrespondent der damaligen Weltwoche in Paris – wo denn sonst.

In diesen Zeiten war der Schulfrieden noch gewahrt. Französisch als erste Fremdsprache war unbestritten und die Verbindung zur Romandie eng. Die gegensätzlichen Vorlieben der Deutschen für das Kaiserreich während des Ersten Weltkriegs, und jene der Romands für die Entente spielten keine Rolle mehr. Dafür hatte spätestens ein gewisser Adolf Hitler gesorgt. Ganz selbstverständlich unterstrich die EXPO in Lausanne, dass die Schweiz unter ihren Landessprachen zusammengefunden hatte.

Frühenglisch im Vordergrund

Heute dagegen spielt die französische Kultur über Asterix und Obelix hinaus für Kinder keine grosse Rolle mehr. Sie wachsen in einer globalisierten Welt mit Micky Maus, Halloween und dem englischsprachigen Rock und Pop auf. Hamburger und Bagels haben Fondue und Raclette abgelöst. Da ist der Schritt zur englischen Sprache für viele Kids viel näher, auch wenn sie geografisch gesehen nur wenige Kilometer bis in die Romandie fahren müssten.

Kein Wunder, dass man im Kanton Thurgau liebäugelt, das Englisch in der Primarschule dem Französischen vorzuziehen. Auch wenn man Kinder und Jugendliche befragen würde, welche Sprache sie vorziehen, würde das Resultat wohl eindeutig für Englisch sprechen.

Ein Französischukas von oben?

Staatspolitisch sieht das allerdings anders aus: Da fühlt sich vor allem auch Bundesbern für den Zusammenhalt des Landes verantwortlich. Für Bundesrat Alain Berset ist die Ablösung des Französischen in der Primarschule kein Thema. Er droht damit, dass dann der Bundesrat den Französischunterricht von oben durchsetzen müsse.
Doch Zwang von oben ist in unserem föderalistischen System keine gute Lösung. Sie wird den Widerstand nur verstärken. Auch Kinder, die französisch nur lernen, weil der Vater Staat es will, sind keine Option.

Mehr Austausch muss sein

Wer nur auf den Sprachunterricht sieht, verkennt die Tragweite des Problems. Denn es ist keine Frage, dass ein verstärkter Austausch der Kulturen über die Sprachgrenzen hinweg in der Schweiz dringend notwendig ist. Aber das muss nicht über das Sprachenlernen, sondern über das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen dieser Kulturen gehen. Darin muss massiv investiert werden, damit die unterschiedlichen Sprachen und Kulturen wieder interessant und attraktiv für alle werden. Schüleraustausch, die Tagesschau aus der Perspektive der Romandie, Theater und Musikevents aus anderen Landeskulturen, das sind Anfänge, die noch viel alltäglicher werden müssten. So wird auch die «andere» Sprache wieder attraktiv und man möchte sich darin besser verständigen können. Ob das bereits in der fünften Klasse oder erst zu Beginn der Sekundarschule beginnt, ist dann nur noch eine zweitrangige Frage.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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