Alang

Endstation für ausgemusterte Containerschiffe: Luftaufnahme des Hafens von Alang in Indien © RTS

Auf dem dreckigen Friedhof der Frachtschiffe

Jérôme Galichet / swissinfo.ch /  MSC lässt Schiffe in Indien verschrotten. Warum das problematisch ist, zeigt eine Recherche des Westschweizer Fernsehens RTS.

Fracht- und Containerschiffe sind für den Welthandel unverzichtbar geworden. Ihre Zahl wird auf über 100’000 geschätzt. Aber diese gigantischen Schiffe haben eine begrenzte Lebensdauer. Sie werden in der Regel nach 20 bis 30 Jahren verschrottet.

Nach europäischem Recht müssen Frachtschiffe, die eine EU-Flagge führen, in von der EU zertifizierten Werften abgewrackt werden. Zudem dürfen sie zum Verschrotten nicht aus der EU in ein Nicht-OECD Land exportiert werden. Aber diese Regelung hat Schlupflöcher. Die meisten Reedereien schicken ihre Schiffe nach dem Verkauf an Zwischenhändler nach Südostasien. Mehrheitlich enden sie an den Stränden von Bangladesch, Pakistan oder Indien. SRF Investigativ hat vor zwei Jahren die letzte Fahrt der MSC Floriana zum Schiffsfriedhof in Indien rekonstruiert und dokumentiert.

Ein Team der Sendung «Mise au Point» von RTS begab sich nach Alang im Nordwesten Indiens, einem der wichtigsten Abwrackplätze der Welt. Jedes dritte Schiff wird dort auseinandergebaut und von Tausenden indischen Arbeitern wiederverwertbares Material gewonnen. Das wichtigste davon ist Stahl.

Die Schiffe enthalten aber auch gesundheitsgefährdende Materialien und Ölreste. Deshalb müssten sie eigentlich unter grossen Sicherheitsvorkehrungen verschrottet werden. Doch in Bangladesch, Pakistan oder Indien sind die Bedingungen an manchen Abwrackplätzen katastrophal. Die Arbeiter zerlegen die Schiffe ohne Schutz direkt am Strand. Das ist für Mensch und Natur hochriskant.

Sehen Sie hier die Recherche von RTS:

Billige Arbeitskräfte, höherer Stahlpreis

Zu den Unternehmen, die am meisten Schiffe nach Alang schicken, gehört die Mediterranean Shipping Company MSC, eine schweizerische Reederei mit Sitz in Genf. MSC ist in der Kreuzfahrtbranche bestens bekannt und gehört auch zu den weltweiten Marktführern im Seetransport. Auf ihrer Webseite gibt MSC an, 900 Schiffe zu besitzen. Der Jahresgewinn ist unbekannt, da MSC nicht an der Börse kotiert ist. Die Fachpresse schätzt, dass der Umsatz von MSC 80 Milliarden Franken pro Jahr übersteigt.

Laut den Recherchen der NGO «Shipbreaking Platform» wurden in den letzten zwei Jahren mehr als dreissig Frachtschiffe, die MSC gehörten, zum Abwracken nach Alang geschickt. «MSC verdient viel mehr Geld, wenn sie Schiffe dorthin schicken. Müssten sie die Schiffe ordnungsgemäss rezyklieren, würden sie immer noch viel Geld verdienen. Aber die Werften in Asien zahlen im Allgemeinen mehr pro Tonne Stahl», sagt Nicolas Mulinaris, Leiter dieser NGO, welche die Praktiken dieser Industrie anprangert.

Auf Anfrage wollte MSC nicht vor der Kamera antworten, aber das Unternehmen antwortete schriftlich: «Die Schiffsrecycling-Politik von MSC entspricht den internationalen Standards in diesem Bereich. MSC arbeitet weiterhin mit verschiedenen Interessengruppen zusammen, einschliesslich nationaler Behörden, um ein verantwortungsvolles Schiffsrecycling zu fördern, indem es sich auf von MSC zugelassene Recyclinganlagen stützt.»

Prekäre Arbeitsbedingungen

«Mise au Point» hat sich mit Arbeitern der Werften von Alang unterhalten. Alle schildern extrem schwierige Bedingungen mit Temperaturen, die häufig über 40 Grad Celsius steigen. «Ich arbeite in drückender Hitze, aber ich habe keine Wahl. Manchmal bleibe ich zehn oder elf Stunden auf der Werft. Solange ich lebe und die Kraft dazu habe, werde ich weiterarbeiten», berichtet Samir, der mit dem Zerlegen von Frachtschiffen etwa 150 Franken im Monat verdient.

Der Hafen von Alang gibt die Zahl der Verletzten nicht bekannt, aber die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass es sich hierbei um einen der gefährlichsten Berufe der Welt handelt. «Ich habe mein Bein unter einem Metallstück verloren. Ein Teil ist gebrochen, und das war’s», erzählt ein Arbeiter, den RTS in einer Hütte des Slums angetroffen hat, wo die meisten Arbeiter leben. Trotz wiederholter Anfragen von «Mise au Point» haben weder MSC noch der Hafen von Alang zugestimmt, die Türen einer Werft zu öffnen.

Im kleinen Nachbarspital, wo täglich Dutzende verletzte Arbeiter eingeliefert werden, äusserte ein Arzt sein Unverständnis: «Warum zerlegt ihr sie nicht bei euch? Das ist unsinnig. Die Unternehmen profitieren von billigen Arbeitskräften. Das Beste wäre, wenn die Schiffe in Europa abgewrackt würden, nach euren Standards.»

Verseuchte Küste

Die Frachtschiffe enthalten oft Erdölrückstände und Schwermetalle: Kupfer, Kobalt, Blei, Nickel, Zink, Quecksilber. Diese gefährlichen Stoffe sollen in Alang umweltschonend behandelt werden. Aber die Fischer der Region erzählen eine andere Geschichte. «Jahr für Jahr gibt es weniger Fische. Das liegt an den Reedereien, die ihre Abfälle und Chemikalien ins Wasser entsorgen. In ein paar Jahren wird es nichts mehr geben», sorgt sich Baldev, ein ortsansässiger Fischer.

MSC bestreitet diese Vorwürfe und betont, dass mittlerweile fast hundert Werften in Alang der Hongkong-Konvention entsprechen würden, einem internationalen Vertrag, der die Bedingungen für die Verschrottung von Schiffen regelt. «MSC verfügt über eine Liste genehmigter Schiffsrecycling-Anlagen in Alang, die auf verschiedenen Kriterien wie der Einhaltung der Menschenrechte, der Leistung und den Umweltaspekten basiert», teilt das Unternehmen per E-Mail mit.

Die Werften von Alang beschäftigen etwa 20’000 Arbeiter in der gesamten Region. Die gesamte lokale Wirtschaft hängt von dieser Industrie ab. Laut mehreren Beobachterinnen und Beobachtern haben sich die Bedingungen in den letzten Jahren verbessert, trotzdem brauche es noch weitere Anstrengungen.

Dieser Beitrag ist zuerst auf swissinfo.ch erschienen.
Übertragung aus dem Französischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Gift_Symbol

Gifte und Schadstoffe in der Umwelt

Sie machen wenig Schlagzeilen, weil keine «akute» Gefahr droht. Doch die schleichende Belastung rächt sich.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...