Biosicherheit: Fachkommission spielt Risiken herunter
Das Parlament will das Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft bis 2030 verlängern, aber der Bundesrat möchte mehr Gentechnologie auf dem Acker. Namentlich sollen bestimmte neuartige Gentech-Methoden erlaubt werden. Das kündigte Bundesrat Albert Rösti an.
Die «Eidgenössische Fachkommission für Biologische Sicherheit» (EFBS) hatte 2016 schon vorgespurt. Sie redet mit, wenn es um Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Organismen geht und berät den Bundesrat, Bundesämter und Behörden, zum Beispiel beim Ausarbeiten von Gesetzen. Die EFBS nimmt auch Stellung zu Bewilligungsgesuchen für Tätigkeiten mit gentechnisch veränderten, krankheitserregenden oder gebietsfremden Organismen, zum Beispiel Freisetzungsversuche mit genetisch veränderten Pflanzen.
Den Diskurs «frühzeitig mitgestalten»
Sie gestalte «den Diskurs zwischen Fachwelt und Behörden frühzeitig mit», beschrieb die 15-köpfige Kommission ihre Tätigkeit. «Eine unserer zentralen Aufgaben ist die Beratung von Bundesrat, Bundesämtern, kantonalen Behörden und Vollzugsstellen zu Fragen der Biosicherheit.»
In ihrem Bericht für die Legislaturperiode 2016 bis 2019 forderte die EFBS, «die Gesetzgebung für gentechnisch veränderte Organismen so anzupassen, dass sie neuen Entwicklungen und Erfahrungen Rechnung trägt. […] Insgesamt scheint die Wahrnehmung der Risiken mittels gentechnologischer Zuchtmethoden entwickelter Pflanzensorten in der öffentlichen Debatte deutlich höher als die der biologisch quantifizierbaren Risiken», meinte die Fachkommission.
Das ist jedoch unter Wissenschaftlern kein Konsens. Das «Europäische Netzwerk von Wissenschaftlern für soziale und Umweltverantwortung» (Ensser) etwa ist anderer Ansicht. Es befürchtet, dass das Vorsorgeprinzip ausgehebelt werden soll. Auch die Vereinigung «Critical Scientists Switzerland» warnte, dass die neuartigen Gentech-Methoden keineswegs so risikoarm seien, wie deren Befürworter behaupten.
Im ersten Jahresbericht der vom Bundesrat gewählten Kommission stand 1999 noch, dass sie so zusammengesetzt sei, dass sie auch die Öffentlichkeit vertritt. Doch wer die letzten Tätigkeitsberichte der EFBS liest, bekommt nicht diesen Eindruck. Die EFBS positioniert sich dort konsequent auf Seiten derjenigen, die solche Technologien vorantreiben wollen.
Genmais MON810 schadet Schmetterlingen
Als zum Beispiel Studien negative Wirkungen bestimmter Gentech-Maissorten zeigten, beklagte das frühere Mitglied der EFBS Klaus Ammann öffentlich das aus seiner Sicht politisch motivierte Anbauverbot. So berichtete es die «Woz» 2011.
Konkret ging es um die gentechnisch veränderte Maislinie MON810 des US-Agrarkonzerns Monsanto. Dieser Bt-Mais produziert ein Gift, das Frassinsekten den Garaus machen soll. Doch inzwischen hat sich gezeigt: «Der langjährige Anbau von Bt-Pflanzen begünstigt die Entwicklung von Resistenzen bei Insekten. Diese resistenten Insekten pflanzen sich fort und geben ihre vorteilhafte genetische Ausstattung an ihre Nachkommen weiter. Mittlerweile gibt es auf fast allen Kontinenten Meldungen von resistenten Frassinsekten im Gentech-Anbau», schreibt der Bund Naturschutz.
Mehr noch: «Heimische Schmetterlinge wie Schwalbenschwanz, Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs, Kohlmotte und Kleiner Kohlweissling werden durch Pollen von Bt-Mais in ihrer Entwicklung beeinträchtigt oder gar getötet. Ebenfalls geschädigt: Parasitisch und räuberisch lebende Insekten und Spinnen, deren Beutetiere auf Bt-Mais leben, das Toxin aufgenommen und über die Nahrungskette weitergegeben haben.»
Forschung mit gefährlichen Erregern fördern
Auch wenn es um neuartige Gentherapien oder um potenziell riskante Virenforschung geht, redet die EFBS mit – und berät Bundesrat, Bundesämter und Behörden «beim Schutz von Mensch und Umwelt», wie sie 1999 in ihrem Jahresbericht schrieb.
Als die Wogen öffentlich hochgingen, weil niederländische Wissenschaftler im Labor hochgefährliche Grippeviren erschufen, sträubte sich die EFBS gegen eine Regulierung dieses – notabene sehr kleinen – Wissenschaftszweigs: «Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass sie sowohl Nutzen als auch in geringerem Masse Risiken mit sich bringen können. […] Ein vorsichtiger, professioneller und verantwortungsvoller Umgang mit krankheitserregenden Organismen ist zentral», schrieb die Fachkommission in ihrem Tätigkeitsbericht für die Periode 2012 bis 2015. «Wir sind der Ansicht, dass eine durch Regulationsmechanismen bedingte unnötige Einschränkung der wissenschaftlichen Forschung und des medizinischen Fortschritts verhindert werden sollte.»
Die Forschung mit «hochpathogenen Organismen» sollte bewilligt, finanziert und unzensiert publiziert werden, forderte die Kommission damals und gab sich «überzeugt, dass eine sichere und verantwortungsvolle Forschung […] erreicht werden kann».
Allerdings: Auch überall dort, wo Laborunfälle passierten, wurde zuvor postuliert, dass alles sicher sei. Die internationale Liste der Laborausbrüche ist lang.
«Allein zwischen 2000 und 2021 wurden weltweit über 300 Laborinfektionen mit 51 verschiedenen Erregern und acht Todesfällen dokumentiert. Viele Laborunfälle bleiben unerfasst – eine systematische Unfallstatistik fehlt», wandte der Programmleiter für Biosicherheit beim Thinktank «Pour Demain», Laurent Bächler, kürzlich im Forschungsmagazin «Horizonte» ein.
Bächler wies auch darauf hin, dass «in der Schweiz Hochsicherheitslabore teilweise jahrelang nicht kontrolliert» würden. 2023 hätten der National- und der Bundesrat eine Überprüfung der Aufsicht und der Kontrolle von Hochsicherheitslaboren beauftragt.
Freisetzung aus dem Labor: «Sehr unwahrscheinlich»
In ihrem Tätigkeitsbericht für Legislaturperiode 2016 bis 2019 beurteilte die EFSB die Risiken verschiedener Szenarien im Hinblick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichen Schaden. Das Fazit der EFBS: Das Szenario «Freisetzung gefährlicher Mikroorganismen» berge «geringe Risiken».
Im November 2019 veröffentlichte die Kommission ihren Bericht «Biologische Risiken Schweiz». Darin stellte sie fest, dass biologische Gefährdungen «nicht immer ihrem tatsächlichen Risiko entsprechend wahrgenommen werden. Mit einer objektiven Herangehensweise […] wollen wir dazu beitragen, dass die Vorsorgemassnahmen angemessen priorisiert werden.»
Dass innerhalb der nächsten zehn Jahre aus einem Labor ein gefährlicher Erreger freigesetzt werde und zu einem Schaden in Höhe von zehn Milliarden Franken führe, hielt die EFBS damals für «sehr unwahrscheinlich». In der Schweiz würden derartige Experimente derzeit weder durchgeführt noch seien diese geplant. «Insofern die aktuell gültigen Sicherheitsauflagen in der Schweiz vollständig erfüllt sind, geht von dieser Gefährdung ein vergleichsweise geringes Risiko aus.»
Auch in Ländern, in denen solche Experimente durchgeführt wurden, behaupteten die Forscherinnen und Forscher stets, ihre Laborexperimente seien sicher. Dann kam die Corona-Pandemie.
Finanzierungsstopp in den USA
Die Pandemie kostete die Schweiz – laut der Rechnung des Bundesrats – rund 8,8 Milliarden Franken direkte Gesundheitskosten. Dazu kamen Ausgaben für die Wirtschaft und für Soziales, insgesamt etwa 35 Milliarden Franken. Indirekte Kosten nicht eingerechnet.
Die US-Regierung, verschiedene Geheimdienste und diverse Wissenschaftler halten es inzwischen für mindestens sehr wahrscheinlich, dass das Corona-Pandemievirus in einem Labor geschaffen wurde und entkam.
Der frühere Leiter der US-Gesundheitsbehörde CDC, Robert Redfield, sagte in einem Interview, er halte es für möglich, dass Sars-CoV-2 sogar absichtlich in einem Labor der US-Universität North Carolina erschaffen worden sei. Beweisen könne er dies aber nicht. US-Präsident Donald Trump ordnete kürzlich an, dass als gefährlich eingestufte «gain-of-function»-Forschung mit Krankheitserregern nicht mehr finanziert wird.
Wirtschaftsvertreter als Fachberater
Vor diesem Hintergrund wäre der Bericht der EFBS für die letzte Legislaturperiode (2020 bis 2023) interessant. Doch er lässt seit eineinhalb Jahren auf sich warten. Der letzte von der EFBS veröffentlichte Tätigkeitsbericht betrifft die Periode von 2016 bis 2019. Damals gehörten dem 15-köpfigen Gremium unter anderem Vertreter von Novartis, Syngenta, dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau sowie dem von der Wirtschaft finanzierten Konsumentenforum an. Mindestens sechs Mitglieder hatten selbst schon bewilligungspflichtige Gesuche gestellt.
Als Infosperber im Dezember 2024 nachfragte, wann der Tätigkeitsbericht für 2020 bis 2023 erscheint, beschied die Geschäftsstelle, die EFBS sei sehr beschäftigt gewesen, unter anderem habe sie mehr Gesuche beurteilen müssen und auch wegen der Sicherheitsmassnahmen, die umgesetzt werden mussten.
Kritische Stimmen sind kaum vertreten
In ihrem Bericht für die Periode von 2012 bis 2015 schrieb die EFBS, dass ihre Stellungnahmen «nicht immer im Konsens» erfolgten, sie zum Teil auch Abstimmungen durchführe und Minderheitspositionen festhalte. Im Bericht für die Periode von 2016 bis 2019 fehlte dieser Satz.
Vermerkte die Kommission in früheren Berichten noch, in welchen Punkten sich ihre Mitglieder uneinig waren und wo manche Skepsis hegten oder Widerspruch einlegten – etwa bei Feldversuchen mit gentechnisch verändertem Weizen bzw. der Zulassung mancher gentechnisch veränderten Futtermittel –, so fehlt diese Information in späteren Berichten.
Eine kritische Diskussion komme in diesem Forum nicht zustande, ist von zwei früheren Mitgliedern der EFSB zu erfahren. Nach aussen erscheine die EFSB zwar breit abgestützt. Tatsächlich aber würden ihre Mitglieder im Wesentlichen die gleiche Meinung teilen. Gentech-kritische Stimmen etwa sind krass untervertreten.
Gentech-Pflanzen: Risiko «sehr unwahrscheinlich»
Dass durch gentechnisch veränderte Pflanzen ein grösserer Schaden angerichtet werden könnte, hielt die Fachkommission im November 2019 für «sehr unwahrscheinlich».
Falls ein ein solches, aus Sicht der EFBS nahezu ausgeschlossenes Szenario eintreten sollte, schätzte die EFBS die Kosten auf rund eine Milliarde Franken. Auf welcher Datenbasis diese Schätzung erfolgte, legt der Bericht nicht dar. Bei Corona hatte sich die Kommission um ein Vielfaches verschätzt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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