Milchzahn

Ausgefallener Milchzahn: Der Zahnfee übergeben oder für rund 2600 Franken einer Biobank? © Depositphotos

Mit dem Milchzahn Autismus, Diabetes und Arthritis heilen

Martina Frei /  Stammzellen aus Milchzähnen könnten Leben retten, suggerieren Biobanken und Medien. Unbewiesene Behauptungen, sagen Experten.

Die Firma «Future Health» bietet eine spezielle Vorsorge an. «Immer mehr Eltern» würden sich dafür entscheiden, «Stammzellen aus den Milchzähnen ihrer Kinder als eine Art Krankenversicherung aufzubewahren», steht auf der Website von «Future Health». Sollte das Kind später krank werden, so die Idee, könnten ihm die Stammzellen aus den einstigen Milchzähnen helfen.

Für 2595 Franken offeriert «Future Health» diese «Art Krankenversicherung», Abholung des Zahnmarks durch einen akkreditierten medizinischen Kurier und 20 Jahre dauernde Lagerung in der Biobank inbegriffen. «Future Health» ist von der britischen Arzneibehörde zugelassen, von der Schweizerischen Arzneimittelbehörde lizenziert und hat einen Sitz im freiburgischen Châtel-St-Denis. Das tönt vertrauenerweckend.

Tausende von Familien sollen das Angebot von Milchzahn-Biobanken wie «Future Health», «BioEden» oder «Stem Protect» laut den Firmen bereits nützen, berichtet die britische Fachzeitschrift «BMJ». Sie durchforstete die britischen Webseiten dieser Firmen. Als Beleg für den Nutzen würden die Biobanken Einzelbeispiele anführen, bei denen Milchzahn-Stammzellen aus dem Zahnmark angeblich geholfen haben.

Milchzahn-Zellen gegen Multiple Sklerose

Verschiedene Medien rührten schon vor Jahren die Werbetrommel: Milchzähne «könnten später Leben retten!», schrieb etwa «RTL». «Milchzähne aufbewahren: Darum ist das eine gute Idee», meinte der «Focus».

«Future Health» nennt unter anderem Autismus, Diabetes Typ 1, Multiple Sklerose, Arthritis und weitere Krankheiten als potenzielle Einsatzgebiete der Milchzahn-Stammzellen. Entsprechende Behandlungen würden sich «derzeit in der Testphase befinden», heisst es auf der deutschsprachigen Webseite. Viele Wissenschaftler hätten bewiesen, dass die Stammzellen aus den Milchzähnen «eine sichere Behandlungsform für degenerative und immunschwache Krankheiten» seien, behauptet «Future Health». Was «immunschwache Krankheiten» sein sollen, wird nicht erklärt.

«Nur wenige Forschungsarbeiten»

Doch nun zeigt die Recherche des «BMJ», dass «Future Health» und weitere Anbieter von Milchzahn-Biobanken ungenaue und irreführende Informationen verbreiteten. «Es gibt keine ausreichenden Belege und nur wenige Forschungsarbeiten, was den Einsatz von Zahnmarkstammzellen bei der Behandlung von Patienten betrifft», zitiert die Fachzeitung eine Stammzellbiologin an der Universität Kent.

Die Studien, auf die sich «Future Health», «BioEden» oder «Stem Protect» berufen würden, seien grösstenteils mit Stammzellen aus anderen Geweben gemacht worden. Stammzelle ist aber nicht gleich Stammzelle, die Resultate folglich nicht einfach auf Zahnstammzellen übertragbar. Ausserdem sei ungewiss, ob die aus Milchzähnen gewonnenen Zellen, tiefgefroren und wieder aufgetaut, ähnlich funktionieren würden wie frische Stammzellen.

Experimente mit Milchzahn-Stammzellen hätten überdies bloss im Labor stattgefunden und könnten folglich nichts über den klinischen Nutzen aussagen, schon gar nicht bei Krankheiten wie Autismus. Je nachdem, wie die Stammzellen verabreicht würden, könnte dies dem Patienten sogar schaden. 

Firma gelobt Besserung

«Future Health» kündigte gegenüber dem «BMJ» an, man werde die Informationen auf der Website überarbeiten.

Das wäre auf derjenigen, die an die Schweizer Kundschaft gerichtet ist, auch aus sprachlicher Sicht sinnvoll, Heisst es doch in der Anleitung: «Lassen Sie uns wissen, wenn Ihr Kind Anzeichen von flackernden Zähnen aufweist. Wir senden Ihnen dann Ihr Sammelset. Wenn der Tag kommt, an dem der Zahn Ihres Kindes zum Fallen bereit ist, befolgen Sie einfach die Anweisungen […].»


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