Vom Tiktok-Verbot in den USA redet niemand mehr
Noch Ende 2024 waren sich Republikaner und Demokraten im Kongress einig, dass der Kurznachrichtendienst Tiktok verboten werden müsse. Es bestehe die Gefahr, dass Daten über US-Bürgerinnen und -Bürger zum chinesischen Mutterkonzern Bytedance gelangen und damit in die Hände der chinesischen Regierung.
Der US-Kongress hatte 2024 ein Gesetz verabschiedet, das Tiktok in den USA verbietet, falls es unter chinesischer Kontrolle bleibt.
In grossen Medien war Tiktok ein wichtiges Thema.
Doch erstaunlicherweise haben grosse Medien kaum mehr darüber berichtet, als Präsident Trump die Frist für das Inkrafttreten eines gesetzlichen Verbots von Tiktok ein zweites und drittes Mal aufschob. Am 19. Juni verlängerte er die Frist für einen Verkauf der Tiktok-Aktivitäten in den USA um weitere 90 Tage bis Mitte September.
Es gibt im Wesentlichen drei Gründe, weshalb Präsident Trump und der US-Kongress das Verbot bisher nicht durchsetzten:
- Der Milliardär Jeff Yass und seine Investmentfirma SIG spendeten im Wahlkampf 2024 rund 50 Millionen Dollar an republikanische Kandidaten und Gruppen. SIG besitzt etwa 15 Prozent der Aktien der Tiktok-Muttergesellschaft Bytedance. Yass persönlich gehören weitere 7 Prozent von Bytedance.
- In den USA nutzen 170 Millionen meist Junge oder fast zwei Drittel aller Teenager Tiktok. Trump hatte die Plattform im Wahlkampf 2024 genutzt, um junge Wählerinnen und Wähler für sich zu mobilisieren. Er selbst hatte Millionen von Followern. Die Anliegen von Trumps «Make America Great Again»-Bewegung fanden auf Tiktok eine besonders gute Verbreitung.
- Amerikanische Käufer sind an US-Tiktok wenig interessiert, weil die Muttergesellschaft Bytedance den leistungsstarken Algorithmus, der das Herzstück der App bildet, nicht preisgeben will. Ohne den Algorithmus verliert Tiktok das, was es für Investoren attraktiv machen würde.
Tiktok wurde erst 2016 gegründet und entwickelte sich zu der am schnellsten wachsenden App im Internet. Grund ist ein erstaunlich effektiver Algorithmus, der den Followern genau die Videos zeigte, die sie sehen wollten.
Weltweit nutzen fast zwei Milliarden Menschen die App. In China selbst ist Tiktok verboten. Das Pendant von Tiktok in China heisst Douyin und gehört ebenfalls Bytedance. Wie alle Social Media sammeln Tiktok und Douyin möglichst viele Daten der Nutzer, um gezielte Werbung zu platzieren.
Einen Beweis dafür, dass Tiktok Nutzerdaten aus den USA und Europa an die Muttergesellschaft in China liefert, gibt es nicht. Bytedance gehört mehrheitlich ausländischen Aktionären. Doch chinesische Staatsfonds oder chinesische Staatsfirmen halten – wie bei manch anderen grossen privaten Konzernen – 1 Prozent «goldene Aktien». Diese haben bei wichtigsten Entscheiden des Verwaltungsrats ein Vetorecht.
Nach Informationen von Glenn S. Gerstell, einem früheren Chefberater der National Security Agency NSA, soll Trump einen Deal anstreben. Es sei jedoch unklar, wie oder ob ein solcher Deal die Unabhängigkeit Tiktoks vom Mutterkonzern Bytedance sichern soll. Das wäre jedoch die gesetzliche Bedingung, dass das verabschiedete Verbot aufgehoben werden kann.
Die Nachrichtenagentur AP fragte schon Anfang April: «Warum ficht niemand Trumps Dekret an, das Tiktok am Laufen hält?» Schliesslich habe der US-Supreme-Court kurz vor Trumps Amtseinsetzung geurteilt, dass die verfassungsmässig garantierte Meinungsfreiheit weichen müsse, wenn staatliche Sicherheitsbedenken überwiegen. Das Gesetz, welches Tiktok verbietet, wenn es sich nicht von der chinesischen Muttergesellschaft löse, sei verfassungskonform.
Die Datenrisiken der Tiktok-App stehen nicht isoliert da. Im US-Kongress verbreite sich der Eindruck, so Gerstell, das Problem der Datensammlungen sei so riesig, dass ein Eingreifen wenig bringe. Von Routern, welche alle von Millionen Haushalten besuchte Webseiten registrieren, über Videokameras, Fernseher und andere Geräte im Innern von Häusern und Unternehmen bis zu chinesischen Autos wie Volvo: Überall werden unzählige Daten über persönliche Gewohnheiten erfasst. Dazu kommen die beliebten Shopping-Apps Temu und Shein, die ebenfalls umfangreiche Daten über amerikanische Kunden sammeln. Sie alle könnten in die Hände der chinesischen Regierung gelangen.
Die amerikanische National Security Agency NSA saugt weltweit Daten ab. So war sie auch in der Lage, die Handy-Telefonate der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel abzuhören. Geleakte Polizei-Dokumente hatten gezeigt, dass Tiktok haufenweise Nutzerdaten mit US-Strafverfolgungsbehörden teilt. Das berichtet die Nachrichten-Website «The Intercept» im August 2020.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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