Kommentar

Wer hatte Angst vor Olof Palme?

Helmut Scheben Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. © zvg

Helmut Scheben /  Der Schwede war für die NATO der Feind Nr.1 unter den westlichen Politikern geworden.

Ein hasserfüllter Einzeltäter soll es also gewesen sein, der den schwedischen Ministerpräsidenten an jenem kalten Winterabend im Februar 1986 erschoss. Stig Engström, Waffennarr, Versicherungsangestellter, politisch rechtsstehend, mit Alkoholproblemen. So verkündete es Staatsanwalt Krister Petersson vergangene Woche, und damit wird der Fall nach 34 Jahren offiziell abgeschlossen, denn der Täter ist seit 20 Jahren tot.

Die Sache erinnert ein wenig an die Walliser Geschichte von dem Jäger, der gern Wölfe oder Luchse abschoss, und keiner der Jagdfreunde wusste, wer es war. Als sie dann endlich angaben, sie wüssten es, war es einer, der schon verstorben war.

Die grossen Medien machten letzte Woche für einmal ihre Hausaufgabe: die kritische Kontrolle der öffentlichen Meinungsbildung. «Die Beweise sind so dürftig, dass von Abschluss keine Rede sein kann», lautete ein Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung. Der Tagesanzeiger titelte: «Ein Schlusspunkt, der keiner ist». Selbst die öffentlich-rechtlichen TV-Sender, die im Tagesschau-Kurzfutter selten die Hintergründe beleuchten können, deuteten Zweifel an.
Bei alldem kann man Staatsanwalt Petersson keine Unkorrektheit unterstellen. Er hatte den Mut, in seinen Ausführungen die haarsträubenden Versäumnisse der schwedischen Ermittlungsbehörden zu erwähnen. Und wahrscheinlich gab es in den vergangenen 34 Jahren immer wieder integre Polizisten, Staatsanwälte und Offiziere der Streitkräfte, die versuchten, Licht ins Dunkel der Sache zu bringen.

Was dabei aber am meisten erstaunt, ist die Emsigkeit, mit der in zehntausend Verhören und einem Aktenberg, der Schiffscontainer füllt, alle möglichen Spuren von Südafrika bis zur kurdischen PKK verfolgt wurden, am wenigsten indessen die eine Spur, die wohl unmittelbar naheliegend war: Olof Palme wurde in Washington als Sicherheitsrisiko eingestuft. Die US-Geheimdienste DIA und CIA hatten in Zusammenarbeit mit hohen britischen und US-NATO-Offizieren alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Regierung Palme zu schwächen.

Das hat der Schwede Ola Tunander, bis 2016 Experte für Geopolitik am norwegischen Institut für Friedensforschung (PRIO), eindrücklich nachgewiesen. 2004 erschien sein Buch «The Secret War Against Sweden – US and British Submarine Deception in the 1980s». Dort kommt er zu dem Schluss, die NATO habe mit False-Flag-Operationen eine sowjetische Bedrohung simuliert, um Palmes Entspannungspolitik zu hintertreiben. Tunanders Ergebnisse beruhen auf der Auswertung von klassifizierten Dokumenten und mehrerer Dutzend Gesprächen mit Entscheidungsträgern im NATO-Bereich. Hohe ehemalige Marineoffiziere, CIA-Leute und selbst der ehemalige US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger haben Tunanders Erkenntnisse erhärtet.

Es kommt einem vor, wie wenn nach dem Mord an Olof Palme in einer grossen Dunkelkammer ermittelt worden wäre, und im Dunkel stand ein Elefant aus Langley/Virginia, den alle greifbar wahrnahmen, den aber niemand gesehen haben wollte. Dieses Blindekuh-Spiel hat schon oft funktioniert. Wer das Vorgehen der schwedischen Justiz im konstruierten «Vergewaltigungsfall» Julian Assange unter die Lupe nimmt, der kommt nicht umhin zu konstatieren, dass die dringenden Ratschläge des grossen atlantischen Freundes in Washington für manche Herrschaften in Stockholm stets verbindlich waren. Ob es im Mordfall Palme ähnlich war, wird möglicherweise nie zu beweisen sein.

Entspannung mit Moskau war unerwünscht

Olof Palme betrieb gegenüber Moskau eine Entspannungspolitik, die in etwa die Ostpolitik des deutschen Kanzlers Willy Brandt fortsetzte. Das war der NATO ein Dorn im Auge. Palme sollte diskreditiert werden, das neutrale Schweden wurde vom westlichen Verteidigungsbündnis als unsicherer Kandidat und Risikofaktor im Baltikum definiert.

Am 19. September 1982 gewann Palmes sozialdemokratische Partei die Wahlen, und keine zwei Wochen später, am 1. Oktober 1982, wurden fremde U-Boote in schwedischen Gewässern gesichtet, die den Medien mit grossem PR-Aufwand als «sowjetische Infiltration» verkauft wurden.

Über vier Jahre lang war der U-Boot-Alarm an Schwedens Küste das Sensationsfutter für die Medien. Journalisten aus aller Welt fanden sich jeweils in den Pressezentren der schwedischen Marine ein. Die Bilder von Helikoptern, Tauchern und Schnellbooten im Jagdeinsatz schmückten die Titelseiten der Boulevardpresse und die TV-Nachrichten. Sie gelangten, wie Tunander schreibt, «in jeden schwedischen Living Room, und viele Leute glaubten, Schweden befinde sich schon im Krieg mit den Sowjets» (1).
Es war einer der erfolgreichsten und perfektesten Einsätze von psychologischer Kriegsführung im gesamten Kalten Krieg. Die Wirkung war durchschlagend. Die Zustimmung zu Olof Palmes Ostpolitik sank gegen null. In den Siebziger Jahren hatten nur 6 Prozent der Schweden die Sowjetunion als direkte Bedrohung empfunden. Nach den U-Boot-Jagden und der offiziellen Schuldzuweisung an die Sowjetunion waren es 42 Prozent.

Die georteten U-Boote wurden routinemässig verfolgt, stellenweise sogar von Wasserbomben oder Minen beschädigt, jedoch wurde nie eines der Boote aufgebracht. Marineoffiziere beschwerten sich mehrmals, ihnen sei «von höherer Stelle» in entscheidenden Momenten befohlen worden, nicht einzugreifen, was dazu geführt habe, dass U-Boote entkommen seien.

Die schwedische Regierung hatte keine Kenntnis vom False-Flag-Charakter der Ereignisse. Ministerpräsident Olof Palme wurde von hohen Marine-Offizieren und grauen Eminenzen seines eigenen Geheimdienstes systematisch hintergangen. Wie der ehemalige Verteidigungsminister Caspar Weinberger erklärte, war es üblich, geheime U-Boot-Operationen der NATO «direkt von Navy zu Navy» zu koordinieren. Das heisst in diesem Fall, selbst in den beteiligten NATO-Staaten USA und Grossbritannien wurden Regierung und Kabinett bis auf wenige Ausnahmen nicht informiert.

Palme und einige seiner Minister schöpften wohl Verdacht, dass etwas an der Sache faul sei. Aber sie sahen sich unter dem Druck der westlichen Regierungen, der öffentlichen Meinung und der eigenen Armee gezwungen, die Sowjetunion zu kritisieren und die militärische Exekutive schalten und walten zu lassen. Als Aussenminister Lennart Bodström 1985 drauf hinwies, dass die Täterschaft der Russen in den meisten Fällen nicht zweifelsfrei erwiesen sei, entfachte dies in den Medien eine solche Empörung, dass Palme schliesslich seinen Aussenminister entlassen musste.

Die Dramaturgen des U-Boot-Theaters machten sich sehr geschickt die Tatsache zunutze, dass kurz vorher tatsächlich einmal ein sowjetisches U-Boot in schwedischen Hoheitsgewässern gestrandet war. Die S-363 war im Oktober 1981 bei Karlskrona in einem Gebiet aufgelaufen, wo die Wassertiefe so niedrig war, dass niemand auf die Idee gekommen wäre, dort mit einem grossen Schiff reinzufahren. Moskau erklärte den Zwischenfall als «Navigationspanne». Es handelte sich um einen russischen U-Boot-Typ, der im NATO-Jargon der «Whiskey-Klasse» zugeordnet wurde. Der Name Wodka-Klasse wäre in dem Fall zutreffender, denn der Kapitän war den Ermittlungen zufolge unter starkem Alkoholeinfluss in die Bucht gefahren, bis er steckenblieb.

Die Präsenz von U-Booten in der Ostsee war im übrigen Business as usual im Kalten Krieg. Britische, amerikanische, deutsche wie auch sowjetische U-Boote führten Erkundungen und geheime Landeübungen im Baltikum durch.

«Bombardiert doch diese U-Boote»

Die Ermittlungsergebnisse, welche von einer schwedischen Untersuchungskommission zusammengestellt und in Moskau präsentiert wurden, um die sowjetische Täterschaft zu beweisen, haben sich laut Ola Tunander als teilweise gefälscht erwiesen oder sind im Nachhinein sogar spurlos verschwunden.

Die Russen dementierten jegliche Verantwortung und rieten mit maliziöser Vorfreude der Regierung Palme, die ominösen U-Boote gnadenlos unter Feuer zu nehmen. Juri Andropow, Generalsekretär der UdSSR, sagte 1984 dem finnischen Präsidenten Mauno Koivisto, er möge Olof Palme ausrichten: «Bombardiert sie. Uns kann es nur recht sein.»
Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell verarbeitet die U-Boot-Affäre in seinem Kriminalroman «Der Feind im Schatten» (2010). In der gleichnamigen verfilmten Version der BBC sagt Kommissar Kurt Wallander zu einem US-Geheimdienstmann, der ihn kontaktiert hatte: «Es war kein russisches U-Boot, sondern ein amerikanisches.» Und der andere entgegnet: «Zu der Zeit hielt man eine Destabilisierung der schwedischen Regierung für überaus wichtig. Man nahm sie als kommunistisch wahr. Es hat funktioniert. Nach dem falschen russischen U-Boot schrumpfte die Unterstützung (der Regierung Palme) für den Osten. Und so war wieder eine Grenze sicher, wieder eine Front dicht gemacht.»

Treffender könnte man es wohl nicht resümieren. Nun soll ein verstorbener Einzeltäter Olof Palme ermordet haben, und es gibt keine neuen Beweise, keine neuen Zeugen, sondern nur die allzu offensichtliche Anstrengung, ein Problem loszuwerden, das für Schweden zum Trauma geworden ist. Aber die Spekulationen werden jetzt erst recht weitergehen.

«Ein totales Fiasko», kommentierte die Zeitung «Aftonbladet», und die ehemalige Parteichefin der Sozialdemokraten, Mona Sahin, sagte, sie fühle sich nun «leicht verwirrt». Die schwedischen Strafverfolger hätten vielleicht so realitätsbezogen sein sollen, den Elefanten im Keller zu erwähnen, statt den politischen Giftmüll unter dem Etikett «bedauernswerte Fehler bei den Ermittlungen» im Zwischenlager zu entsorgen.

In den vergangenen drei Jahrzehnten gab es immer wieder Hinweise aus Geheimdienstkreisen auf eine sogenannte «Operation Tree», den Codenamen für den Mord an Palme. Die CIA und der britische MI6 sowie Stay-Behind-Organisationen der NATO sollen daran beteiligt gewesen sein. Es ist vorstellbar, dass man beschloss, Palme zu beseitigen, weil er mit Material, welches die NATO belastete, vor die Vereinten Nationen gehen wollte. Zu den zahlreichen Publikationen zu diesem Thema gehört die Studie, die der NDR-Journalist und Medienwissenschafter Patrick Baab und Robert E. Harkavi, ehemaliger Professor für Politikwissenschaft an der State University Pennsylvania, vorgelegt haben (2).

In Mankells Roman «Der Feind im Schatten» beschwert sich ein schwedischer Polizist über die Zunft der Geheimdienste: «Manchmal kommt ein Mann namens William zu mir. Ich weiss nicht mal, ob das sein Vor- oder Nachname ist (…). Als er zuletzt hier war, hätte ich ihn am liebsten erwürgt. Ich fragte ihn, ob sie etwas hätten, was uns ein bisschen weiterhelfen könnte. Ein bisschen normale Amtshilfe, die ja der Dreh- und Angelpunkt in dem demokratisch aufgebauten Land sein soll, das Schweden heisst. Eine klitzekleine Vermutung, was geschehen sein könnte. Aber damit konnte er natürlich nicht dienen. Zumindest sagt er das. Ob es stimmt, kann man nicht wissen. Ihre berufliche Existenz baut ja darauf auf, ein Spiel zu spielen, in dem Lüge und Betrug die effektivsten Instrumente sind.»
—————–
(1) «Some Remarks on the US/UK Submarine Deception In Swedish Waters in the 1980s»

(2) Patrick Baab, Robert E.Harkavy. Im Spinnennetz der Geheimdienste. Westend Verlag 2019.


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5 Meinungen

  • am 17.06.2020 um 13:35 Uhr
    Permalink

    Dieser Artikel kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt, dass es vielleicht doch einigen Lesern dämmert, wie sie mit den Mainstream Medien hinters Licht geführt werden. Restez curieux!!

  • am 17.06.2020 um 14:51 Uhr
    Permalink

    Business as usual, hier wie dort, bei Linken wie bei Rechten, …

    Es ist ein altbekannter Trick, eine Nadel in einem immer grösseren Heuhaufen zu verbergen.
    Andererseits kann es sich wirklich um einen Einzeltäter gehandelt haben.
    Wie kommt man als mündiger Bürger aus der Nummer noch raus ?

    Man rechiert und klärt sich selbst darüber auf, wen Olaf Palme mit seiner bürgerlichen Zivilcourage und Friedens-Engagment noch zum Feind gemacht hat, ausser ‹der› NATO.
    So ist nicht ausgeschlossen, dass gewisse Medien (z.B. NZZ) mit dem aufgebauschten Thema ‹Mörder von Palme› dessen humitären Anliegen verbergen wollen.

  • am 17.06.2020 um 18:40 Uhr
    Permalink

    Stig Larssons Recherchen zum Mordfall Olof Palme: Bisher unveröffentlichtes Material des Bestseller Autors.

    Am 28. Februar 1986 wird der schwedische Premierminister Olof Palme in Stockholm auf offener Straße erschossen. Der künftige Autor der Millenium-Trilogie, Stieg Larsson, zu diesem Zeitpunkt noch Illustrator bei der antifaschistischen Zeitung Expo, nimmt intensive Recherchen auf. Seine Ermittlungen setzt er über Jahre hinweg fort – bis zu seinem frühen Tod im Jahre 2004. Offiziell ist der Mord an Olof Palme unaufgeklärt. 2014 stößt der Journalist und Dokumentarfilmer Jan Stocklassa auf das persönliche Archiv von Larsson und entdeckt in zwanzig Papkartons das unbekannte Lebensprojekt des weltberühmten Autors: die privaten Ermittlungen Larssons zum Mordfall Palme.

    Akribisch setzt Jan Stocklassa die Puzzelteile aus Stieg Larseons Archiv zusammen, folgt dessen Spuren zu möglichen Tätern und erläutert seine Theorie, warum der schwedischen Premierminister sterben musste. Dabei enthüllt Stocklassa nicht nur unbekannte Fakten und liefert neue Verdächtige im Mordfall Palme, sondern taucht auch tief ein in die Welt Stieg Larssons, dessen Recherchen im wahren Leben frappierende Ähnlichkeiten mit seinen berühmten Millenium- Romanen aufweisen. Stieg Larsson war selbst Mikael Blomkvist, der Held seiner Romane, und der ungeklärte Mordfall Olof Palme seine große Mission.

  • am 18.06.2020 um 22:36 Uhr
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    Vermutlich stehen die gleichen Kreise dahinter, die den Politiker Aldo Moro ermordeten. Damals hatte man Angst vor der Ausbreitung des Euro-Kommunismus. Daher wurden alle führenden Politiker, die für ein Annäherung an die Russen eintraten, konsequent beseitigt. In dem Stadtteil, in dem die Leiche Aldo Moros gefunden wurde, waren sämtliche Strom- und Telefonleitungen abgestellt. Auch der Bombenanschlag im Bahnhof von Bologna in den 80er Jahren geht auf das Konto rechter Kreise.
    Es gibt eine sehr gute Dokumentation im Arte Tv zu Palme. Die zeigt die vielen Ungereimtheten auf, offene Spuren, die nie verfolgt wurden. Erwähnen möchte ich nur den Funkkontakt der städtischen (?) Polizei in der Mordnacht in dem Stadtviertel, in dem Palme ermordet wurde. Die Polizei stand in den Seitenstrassen, versteckt in Hauseingängen und informierte die Kollegen: «Achtung, jetzt kommt er». Palmes Ehefrau kam auffallend später ins Krankenhaus, wo ihr Mann lag, in anderen Kleidern, als sie am Tatort getragen hatte, und und und … Dieser Fall hat noch hunderte offene Fragen, die nie beantwortet wurden.
    Der schwedische Journalist Sven Anér kennt den Fall wohl am besten. Er führte nach der Ermordung von 1993 bis 2001 Tagebücher in Heftform (http://runeberg.org/palmenytt/), in denen er allen Spuren nachgeht und aufzeigt, wielviel unbeantwortet bleibt (siehe auch downloadlink: http://runeberg.org/download.pl?mode=work&work=palmenytt)

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