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Ein Chefarzt liess den Assistenten operieren – ohne die Patientin zu informieren. (Symbolbild) © pixabay

Bundesgericht verurteilt uneinsichtigen Chefarzt

Tobias Tscherrig /  Ein Chefarzt informierte seine Patientin ungenügend. Seine Fehler wollte er nicht einsehen, das Bundesgericht hat ihn verurteilt.

Es ist der Alptraum vieler kranker Menschen: Die Operation, die eigentlich Heilung bringen soll, läuft schief. Gründe für fehlerhafte Operationen gibt es viele, menschliches Versagen oder unvorhergesehene Zwischenfälle sind nur zwei davon. Egal was geschieht, die Patienten haben ein Recht darauf, die volle Wahrheit zu erfahren. Ausserdem müssen sie bereits im Voraus zwingend über mögliche Risiken von Operationen informiert werden, sie haben ein Recht auf lückenlose Information.

Ärzte vergessen manchmal, dass sie rechtlich in einem Auftragsverhältnis arbeiten und deshalb auch von Gesetzes wegen verpflichtet sind, ihre Kundinnen und Kunden über Nutzen und Risiken zu informieren. Die Patienten müssen in Kenntnis aller Informationen entscheiden können. Notfallbehandlungen sind davon natürlich ausgeschlossen.

Assistent operiert – Chef sieht zu
Den Alptraum einer missglückten Operation erlebte eine Patientin eines Waadtländer Spitals. Im Jahr 2007 musste sie sich die Gebärmutter operativ entfernen lassen. Dazu beauftragte sie den Chefarzt der Klinik, er sollte die Operation durchführen. Dieser hielt sich zwar auch im Operationssaal auf, überliess den Eingriff aber seinem Assistenzarzt. Unter Anleitung seines Vorgesetzten führte der Assistent die Operation durch – zu Ausbildungszwecken. Davon hatte die Patientin keine Ahnung, sie glaubte sich in den Händen des Chefarztes.

Nach der Operation fühlte sich die Patientin schlecht, ihr Blutdruck fiel. Sie hatte Blut im Urin. Bei der Nachuntersuchung fanden die Ärzte ein Hämatom und eine aktive Blutung innerhalb des Bauchraums. Ausserdem entstand der Verdacht, die Harnleiter sei verletzt worden. Also musste die Frau erneut unter das Messer. Als sie das Spital schliesslich verlassen konnte, wähnte sie sich geheilt. Da bei der Nachbehandlung aber erneute Komplikationen aufgetreten waren, musste sie sich zwei weiteren Operationen unterziehen.

Chefarzt ist schuldig
Die Patientin klagte vor Gericht und bekam Recht. Allerdings wurden nicht die ausführenden Ärzte verurteilt, diesen konnte keine Nachlässigkeit bewiesen werden. Anders der Chefarzt. Ihn verurteilte das Kantonsgericht wegen Körperverletzung aufgrund von Nachlässigkeit.

Der uneinsichtige Chefarzt plädierte auf unschuldig. Das Urteil des Kantonsgerichts akzeptierte er nicht – er zog den Fall ans Bundesgericht weiter. Der Prozess fand im Februar 2018 statt, das Bundesgericht befand den Mann für schuldig. Es kam zum Schluss, dass die Verletzungen der Patientin schwer waren, und dass ein Zusammenhang zwischen der umstrittenen Operation und den Verletzungen besteht. Der Chefarzt hat sich schuldig gemacht, weil er seine Informationspflicht gegenüber der Patientin in zwei Punkten verletzt hatte: Weder hatte er sie vor der Operation ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt, noch teilte er ihr mit, dass sie nicht von ihm persönlich operiert wird.

Mit dem Schuldspruch wies das Bundesgericht das Argument des Chefarztes ab, wonach der Zusammenhang zwischen den Verletzungen der Informationspflicht und der missglückten Operation bewiesen werden müsse. Weiter argumentierte der Chefarzt, mit der «hypothetischen Einwilligung». Darauf kann sich ein Arzt berufen, wenn ihm der Patient keine direkte Einwilligung für einen Eingriff gegeben hatte. Von einer hypothetischen Einwilligung des Patienten darf allerdings nicht ausgegangen werden, wenn Art und Schwere des Risikos eine erhöhte Informationspflicht geboten hätten.

Im vorliegenden Fall urteilten die Richter, dass die Nicht-Information über die Personalie des ausführenden Arztes höher zu gewichten sei, als die hypothetische Einwilligung der Patientin.

2000 Franken Busse
Der Chefarzt stellte sich auf den Standpunkt, es müsse nicht überprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen der mangelnden Information und den erlittenen Verletzungen der Patientin bestehe. Vielmehr gehe es doch darum, herauszufinden, ob ein Zusammenhang zwischen der Operation und den Verletzungen bestehe. Das Bundesgericht widersprach dem, es stützte die Argumentation der Vorinstanz, wonach der Chefarzt für die Verletzungen verantwortlich sei, da er sich über die klare Zustimmung der Patientin hinweggesetzt habe und er den Eingriff auch organisiert und als «Lehrer» aktiv daran teilgenommen habe.

Damit wurde der Chefarzt höchstgerichtlich zu einer Busse von 2000 Franken verurteilt. Demgegenüber stehen die schweren gesundheitlichen Schäden, die die Frau davongetragen hat.

Die Aufklärungspflicht der Ärzte
Die Aufklärungs- und Informationspflicht gehört zu den grundlegendsten Berufspflichten eines Arztes – egal ob er privat praktiziert oder ob er als Angestellter in einem Spital arbeitet. Die Aufklärung muss auf verständliche Art und Weise erfolgen, bei fremdsprachigen Patienten müssen Übersetzer beigezogen werden.

Der behandelnde Arzt muss seine Patienten über den Gesundheitszustand und die Diagnose aufklären. Dazu gehören auch Informationen über die möglichen Entwicklungen und Gefahren des diagnostizierten Leidens. Der Arzt muss seine Patienten über die Untersuchungen und Behandlungen aufklären – und zwar rechtzeitig vor dem Eingriff. Er muss die Erfolgschancen, Risiken und Nebenwirkungen erklären. Der Arzt ist zudem verpflichtet, über die Vor- und Nachteile von Behandlungsalternativen oder dem Nicht-Behandeln zu informieren. Eine weitere Informationspflicht betrifft die Kosten, wenn die vorgeschlagene Behandlung nicht von der obligatorischen Krankenversicherung gedeckt werden oder nur auf ein Gesuch hin übernommen werden.

Vor komplexen Informationen müssen Patienten oft ein schriftliches Dokument unterzeichnen. Damit bestätigen sie, dass sie über die Art des Eingriffs und die möglichen Risiken informiert sind. Dieses Dokument sollte nur unterzeichnet werden, wenn eine ausreichende mündliche Information stattgefunden hat. Ein Arzt darf keine Informationen verschweigen, «um die Behandlung nicht zu gefährden». Das gesundheitliche Fachpersonal muss mit schwierigen Situationen umgehen und eventuelle Angst- oder Schockreaktionen auffangen können.
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*Den Namen des Arztes haben wir am 16. Dezember 2018 gelöscht, weil seine Patientinnen und Patienten nicht mehr betroffen sind.
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Mehr zu Ihren Rechten als Patient/in finden Sie hier.


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5 Meinungen

  • am 17.03.2018 um 11:49 Uhr
    Permalink

    Ärzte haben keine Kunden, sondern Patienten. Ein Patient ist ebenso wenig ein Kunde, wie der Klient eines Anwalts ein Kunde ist.

  • am 17.03.2018 um 12:44 Uhr
    Permalink

    2000 Franken – das ist für mich nicht nachvollziehbar, angesichts der Folgen, welche aus diesem Verhalten resultierten.

  • am 18.03.2018 um 09:49 Uhr
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    Ich denke wie Maja Pfaendler, CHF 2000.- sind für einen Chefarzt nichts, und können somit auch nicht wirklich als Busse bezeichnet werden; höchstens vielleicht eine Rüge. Was ich aber nicht verstehe ist, dass bei der Operation offensichtlich etwas (oder mehrere) Dinge schief gelaufen sind und das der Chefarzt, der ja seinen Assistenten beaufsichtigt und genau beobachtet haben sollte nichts gemerkt hat. Oder hat er sich um seinen Assistenten gar nicht gekümmert. Da scheint mir auch eine Sorgsfaltspflichtverletzung vorzuliegen, vielleicht sogar eine grobe Fahrlässigkeit, und das wären dann sicher mehr als nur CHF 2000.- Es wäre schon interessant, den Operationsbericht zu diesem Fall zu kennen und zu wissen, was bei der OP tatsächlich schief gelaufen ist.

  • am 18.03.2018 um 11:51 Uhr
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    2000 franken busse, abgesehen vom geringen betrag, was hat die patientin als schmerzensgeld und entschaedigung erhalten?

  • am 18.03.2018 um 12:00 Uhr
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    @Broggi. Bisher hat die betroffene Patientin weder Schmerzensgeld noch eine Entschädigung erhalten. Dafür müsste sie einen Zivilprozess führen, wobei der Beweislast bei ihr liegen würde. In der Schweiz sind Patientinnen und Patienten rechtlich sehr schlecht gestellt. Es sollte eine verschuldensunabhängige Entschädigung für alle Opfer von vermeidbaren Fehlern von Ärzten und Spitälern geben, wie etwa in Schweden.

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