Wieder ein Todestransport auf dem Mittelmeer
Tausende Rinder litten im November wochenlang unter unsäglichen Zuständen auf einem Viehtransportschiff. Das Schiff aus Uruguay lag wochenlang in der Türkei vor Anker. Die Rinder, die bereits eine belastende Überfahrt hinter sich hatten, durften nicht von Bord. Fast einen Monat nach seiner Ankunft kündigte es an, nach Uruguay zurückkehren zu wollen – ein sicheres Todesurteil für die verbliebenen Rinder. Am Ende wurden 2700 Tiere in Libyen ausgelanden. Eingeschritten war niemand.
Zeit dazu hätte es reichlich gegeben, das zeigt der Ablauf der Ereignisse. Was genau geschehen ist:
22. Oktober: Ankunft in Bandirma
Am 22. Oktober lief die «Spiridon II» in den Hafen von Bandirma in der Türkei ein. An Bord des Viehtransporters unter togolesischer Flagge befanden sich nach Angaben der Animal Welfare Foundation (AWF) 2901 Rinder, viele davon trächtig. Laut dem österreichischen Medium «Falter» sind sie bereits seit dem 20. September an Bord.
Solche Langstreckentransporte auf See sind für die Tiere sehr belastend. Sie sind auf engem Raum eingepfercht, können sich kaum bewegen und oft nicht hinlegen. Nach so langer Zeit stehen sie oft tief im eigenen Mist und fügen sich gegenseitig Verletzungen zu, was die meist prekäre hygienische Lage noch verschlechtert. Bei schlechter Belüftung sammeln sich Ammoniakdämpfe an und schaden ihren Atemwegen. In der Regel ist kein Tierarzt an Bord. Einige Tiere überleben solche Transporte nicht.
48 Tiere seien bereits bei der Überfahrt gestorben, meldete die AWF. Andere Quellen berichten von 58 Tieren, wobei unklar ist, ob diese erst später ums Leben kamen. So weit, so normal.
Bei der Ankunft der «Spiridon II» gibt es Probleme mit den türkischen Behörden. Bei 469 Tieren gibt es Unstimmigkeiten, weil etwa Chips und Ohrmarken fehlen und Listen nicht übereinstimmen. Auch die nicht beanstandeten Rinder werden nicht entladen.
Ende Oktober: Die Situation verschlechtert sich
Die «Spiridon II» liegt weiter vor Bandirma. Wochenlang. Die ohnehin schwierige Situation wird für die Tiere zur Qual. Nach Angaben der AWF gibt es weder die Möglichkeit, genügend Wasser für die Rinder zu entsalzen, noch, Mist und tote Tiere zu entsorgen. Das Wasser auf dem Schiff sei «vermutlich von sehr geringer oder fragwürdiger Qualität», sagt eine Tierärztin der AWF.
Etwa 140 Tiere hätten auf der Reise gekalbt, zitierte der «Spiegel» am 18. November aus türkischen Gerichtsdokumenten. 90 Kälber seien «nicht auffindbar» gewesen, also vermutlich über Bord geworfen worden. Dass andere Kälber unter den gegebenen Umständen überlebten, sei unwahrscheinlich, sagt die Animal Welfare Foundation.
Den Mutterkühen drohe eine schmerzhafte Euterentzündung, weil sie an Bord nicht gemolken werden können. Versorgt werden die Tiere dennoch nicht. Tierrechtsorganisationen richten einen Appell an die türkischen Behörden. Sie fordern die EU und die Weltorganisation für Tiergesundheit WOAH auf, aktiv zu werden. Erfolglos.
9. November: Die «Spiridon II» darf Futter laden
Am 9. November darf das Schiff andocken und Futter laden. Es seien keine Tiere entladen worden – weder lebende noch tote, berichtet die AWF am 10. November. Mehrere Medien berichten.

14. November: Die «Spiridon II» will nach Uruguay zurückfahren
Am 17. November melden AWF und der Tierschutzbund Zürich, am 18. November auch der «Spiegel», die «Spiridon II» habe am 14. November wieder abgelegt – mit Kurs zurück nach Montevideo. Dort werde das Schiff voraussichtlich Mitte Dezember ankommen. Die allermeisten noch lebenden Tiere dürften die Fahrt nicht überstehen, sagt Maria Boada Saña, Projektleiterin und Tierärztin der AWF. Die Organisation versucht, die europäischen Behörden dazu zu bringen, die «Spiridon II» auf dem Weg durch das Mittelmeer zu stoppen.
Vor Tunesien habe das Schiff seinen Transponder ausgeschaltet, berichten der Tierschutzbund Zürich und die AWF. Ein Vorgehen, das gegen internationales Seerecht verstösst. Drei Tage später taucht es in Bengasi, Libyen, wieder auf. 2700 Tiere werden nach Angaben der AWF ausgeladen und auf eine Farm gebracht. Wie es ihnen geht, können die Tierrechtsaktivisten und ihre lokalen Partner nicht feststellen. Die «Spiridon II» legt wieder ab – diesmal in Richtung Ägypten. Wieder schaltet sie den Transponder aus und legt am 27. November in Beirut, Libyen, wieder an.
27. November: 2700 Tiere haben überlebt
2700 Tiere haben die Tortur also vermutlich überlebt, mindestens 340 sind tot. Auf das beherzte Eingreifen einer Behörde zurückzuführen ist das nicht – eher auf Bemühungen der Reederei, den Rest ihrer Marge zu retten. Zur Rechenschaft gezogen wurde bisher niemand.
Das Kernproblem in solchen Fällen sei, dass sich niemand zuständig fühle, schreibt der Tierschutzbund Zürich in einer Mitteilung. Lebendtransporte von Vieh sind weiterhin erlaubt, auch über lange Strecken. Lebende Tiere werden weiter als Sache betrachtet. Besonders belastend ist das für trächtige Milchkühe. Deren Kälber gelten als Ballast, weil sie sich zur Mast nicht eignen. Viele Tiere, die lange Seetransporte hinter sich haben, erwartet danach ein genauso langer Transport über Land.
Kein Einzelfall
Horrorgeschichten wie diese gibt es immer wieder. Die desolaten Zustände auf Tiertransportschiffen sind lange bekannt. Viele davon sind umgebaute Frachtschiffe, die sich gerade noch für Tiertransporte eignen, und entsprechend alt. Die Mängellisten sind lang (Infosperber berichtete 2021). Quarantänevorschriften und andere bürokratische Hindernisse verhindern immer wieder, dass Tiere ausgeladen werden. Das Tierwohl hat dabei keine Priorität. 2021 kostete das in Spanien mehrere tausend Tieren das Leben. Noch einmal gut ging es für mehrere Viehtransporte, die im selben Jahr im Suezkanal feststeckten, weil dieser rechtzeitig wieder schiffbar wurde.
Mehrere Länder haben Lebendtierexporte inzwischen eingeschränkt oder ganz verboten (Infosperber berichtete). Eine Pflicht, im Sinne des Tierwohls einzugreifen, gibt es noch immer nicht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









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