Stojanovic_Nenad

Für das MEI-Gesetz und für das Referendum: Nenad Stojanovic, Politikwissenschaftler und SP-Mann © www.unilu.ch

Vormarsch der Plebiszite auch in der Schweiz

Jürg Müller-Muralt /  Soll man ein Referendum ergreifen, wenn man für ein vom Parlament erlassenes Gesetz ist? Drei Experten zeigen sich sehr skeptisch.

Nenad Stojanovic, Politikwissenschaftler und SP-Mann aus dem Tessin, veranstaltet eine paradoxe Intervention: Er hat das Referendum gegen das Ausführungsgesetz der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ergriffen, obschon er für das Gesetz ist. Drei weitere Personen mit unterschiedlichen Zielsetzungen sind ebenfalls mit von der Partie. Selbst die SVP, die das Ausführungsgesetz als «Verfassungsbruch» und als «Landesverrat» brandmarkt, unterstützt Stojanovic nicht und verzichtet auch auf ein eigenes Referendum. Parteichef Albert Rösti begründet diese Haltung damit, dass mit einem Referendum «bloss der heutige Zustand zementiert würde.»

SP-Fraktionschef Roger Nordmann: «Absurd»

Sollten Stojanovic und seine Mitstreiter die nötigen 50 000 Unterschriften zusammenkriegen und das Gesetz in der Abstimmung angenommen werden, wäre das ein klares Signal, dass das Volk die Personenfreizügigkeit beibehalten will und höher gewichtet als eine wortgetreue Umsetzung des Verfassungstextes. Genau das will Stojanovic erreichen. Er sieht aber gleichzeitig in der vom Parlament beschlossenen Umsetzung der MEI «ein Problem für die Verfassungstreue und die Legitimität der demokratischen Institutionen», wie er so oder ähnlich verschiedenen Medien sagte. Dies, weil der Gesetzestext weit weg sei von der Verfassungsnorm. Stojanovic will also wegen der Tragweite des Themas das Gesetz per Volksabstimmung legitimieren. Genau diesen Effekt fürchtet die SVP, weshalb sie die Hände vom Referendum lässt.

Auch bei seiner eigenen Partei, der SP, stösst Stojanovic auf harsche Ablehnung. Für SP-Fraktionschef Roger Nordmann ist dieses Referendum «absurd», wie er der Tribune de Genève sagte. Referenden seien Gegnern von Gesetzen vorbehalten und nicht für die Befürworter geschaffen worden. «Man braucht keine Abstimmungen anzuzetteln, die dem Geist der Institutionen zuwiderlaufen.»

Debatte unter Experten

Wer also hat recht? Ist Stojanovics Vorgehen vereinbar mit dem Grundgedanken des fakultativen Referendums? Ist ein Gesetz tatsächlich besser legitimiert, wenn es einer Volksabstimmung unterbreitet wird? Oder widerspricht Stojanovics Sololauf dem Geist der Institutionen, wie Nordmann sagt? Die Fragen sind nicht ganz bedeutungslos, denn offensichtlich ist es das erste Mal in der Schweizer Geschichte, dass ein Referendum nicht von Gegnern, sondern von Befürwortern eines Gesetzes ergriffen wird. Interessant ist der Fall auch, weil Referendumsführer Nenad Stojanovic Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Luzern ist. Infosperber hat deshalb Berufskollegen von Stojanovic – zwei Politologen und einen Staatsrechtler – befragt, was sie von der Sache halten: Claude Longchamp, Politikwissenschaftler, Verwaltungsratspräsident und Geschäftsleitungsmitglied des Forschungsinstituts GfS Bern; Marc Bühlmann, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und Direktor des Schweizerischen Jahrbuchs für Politik (Année politique suisse), sowie Andreas Glaser, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Zürich und Direktor des Zentrums für Demokratie in Aarau.

«Ein klares und deutliches Veto»

Klar ist für alle Befragten: Der Grundgedanke des fakultativen Referendums besteht darin, dass Gegner eines vom Parlament beschlossenen Gesetzes die Notbremse ziehen können. Das war auch historisch der Grund für die Einführung dieses Instruments im Jahr 1874. Das Volk kann also gegen den Willen von Regierung und Parlament Gesetze blockieren. Das Referendum sei eine «harte Bremse», sagt Claude Longchamp, «ein klares und deutliches Veto». Longchamp zeigt sich «sehr skeptisch» gegenüber Stojanovics Referendum, und zwar «wegen dem plebiszitären Charakter seines Vorgehens». Die Schweiz sei bisher «gut gefahren, zwischen Volksrechten und Plebisziten zu unterscheiden».

Streit um Plebiszit

Ein Plebiszit wird üblicherweise in parlamentarischen Demokratien von der Regierung angesetzt. Das heisst, nicht das Volk, sondern die Mächtigen entscheiden, wer wann worüber abstimmt, dies um die eigene Position zu stärken und zu legitimieren. Ein Paradebeispiel ist die Brexit-Abstimmung in Grossbritannien, wo es nie um Volksrechte und um den Einbezug des Volkes ging, sondern um die Lösung innenpolitischer und innerparteilicher Probleme mit der Absicht, die Position von Premierminister David Cameron zu stützen. Der Schuss ging dann bekanntlich für Cameron hinten hinaus.

Stojanovic bestreitet den plebiszitären Charakter seines Unterfangens: «Ein Plebiszit liegt dann vor, wenn ein politischer Leader, ein Präsident oder ein Premierminister, alleine oder gemeinsam mit einigen Vertrauten, entscheidet, ein Referendum durchzuführen. Wer ein solches Referendum initiiert, ist in der Regel überzeugt, dieses zu gewinnen. Mein Fall liegt ganz anders. Ich bin ein Parteimitglied wie viele andere auch, aber ich bin nicht gewählt. Dieses Referendum kommt von unten», doziert Stojanovic gegenüber «Swissinfo».

«Funktionsverschiebung des Referendums»

Stojanovic veranstaltet natürlich kein Plebiszit von oben, sondern eines von unten, «ein Plebiszit, welches das Volk ansetzt. Besser macht es die Sache aber nicht», findet Longchamp. Ein Gesetz ist nicht dadurch besser legitimiert, wenn es einer Volksabstimmung unterbreitet wird. «Ein Gesetz ist legitimiert, weil es einen Referendumsvorbehalt gibt. Das Volk könnte es sanktionieren, wenn es will.» Longchamp stellt generell fest, «dass der plebiszitäre Charakter von Volksentscheiden zunimmt». So habe Martin Bäumle, der Präsident der Grünliberalen, selbst ein Befürworter der Energiestrategie, seine Unterstützung des SVP-Referendums gegen die Energiestrategie genau so begründet: Man müsse in einer derart wichtigen Sache das Volk entscheiden lassen.

Auch Andreas Glaser konstatiert «eine gewisse Funktionsverschiebung des Referendums hin zu einem plebiszitären Element», was «aus rechtspolitischer Sicht kritisch einzuordnen ist». Auch in den Kantonen greife zunehmend die Praxis um sich, «dass das Parlament ein Gesetz, meist auf dem Weg einer Variantenabstimmung, ‘freiwillig’ der Volksabstimmung unterstellt.» In einzelnen Kantonen gibt es zudem das Behördenreferendum. Damit kann ein Teil des Parlaments ein beschlossenes Gesetz zur Abstimmung bringen. «In der Parlamentsdebatte wird dann aber sehr häufig (auch von Befürwortern des Gesetzes) mit höherer Legitimation durch Volksabstimmung argumentiert», sagt Marc Bühlmann.

Motive der Stimmberechtigten sind tabu

Bühlmann macht zudem darauf aufmerksam, dass die Frage der Möglichkeit einer «Legitimation durch Volksentscheid» relativ häufig diskutiert werde. So werden Geschäfte auf nationaler und kantonaler Ebene so verabschiedet, dass sie «referendumsfähig» sind. Ein gutes Beispiel sei das Gripen-Fondsgesetz: «Weil die Flugzeugbeschaffung selber ja nicht referendumsfähig war, hat man das Fondsgesetz referendumsfähig ausgestaltet. Das war bereits der Vorschlag des Bundesrates, der den Beschluss so legitimieren wollte», sagt Bühlmann.

Dies alles untermauert die These, dass Volksentscheide in der Schweiz zunehmend plebiszitären Charakter haben. Doch Andreas Glaser hält fest, dass aus rechtlicher Sicht keine Einwände gegen das Vorgehen von Nenad Stojanovic bestehen: «Es gibt keine Norm, die es nur Gegnern eines Gesetzes erlauben würde, das Referendum zu unterstützen. Im Gegenteil: Die Garantie der politischen Rechte (Artikel 34 Bundesverfassung) verbietet es, nach den Motiven der Stimmberechtigten zu unterscheiden. Es ist völlig unerheblich, warum jemand ein Referendum oder eine Initiative unterschreibt oder warum er in der Abstimmung ja oder nein sagt.»

Schweizer Parlament «unglaublich mächtig»

Was aber sagen die Polit-Experten zum Vorwurf von Stojanovic, das vom Parlament beschlossene Umsetzungsgesetz sei «ein Problem für die Verfassungstreue und die Legitimität der demokratischen Institutionen»? Andreas Glaser teilt die Problemanalyse von Stojanovic insoweit, «als das Vorgehen (bei der Umsetzung der MEI, J.M.) die Verfassungstreue des Parlaments punktuell in Frage stellt – wie dies immer wieder einmal geschieht. Aus diesem Einzelfall muss sich aber noch nicht zwingend ein ernsthaftes Problem für die Legitimität der demokratischen Institutionen ergeben. Denn die Bundesverfassung nimmt die Möglichkeit verfassungswidrigen Vorgehens des Parlaments ohne unmittelbare Sanktionsmöglichkeit bewusst in Kauf. Das schweizerische Parlament ist im internationalen Vergleich rechtlich unglaublich mächtig. Es ist selbst Hüter der Verfassung, da bewusst auf eine Verfassungsgerichtsbarkeit verzichtet wurde. Indirekte politische Sanktionsmöglichkeiten bestehen aber durchaus: Eben die Ergreifung des fakultativen Referendums (aus welchen Motiven auch immer)».

Debatten machen Institutionen stärker

Marc Bühlmann teilt die Auffassung von Stojanovic «eher nicht». «Das Beispiel der MEI zeigt meines Erachtens, wie und dass das semi-direktdemokratische System funktioniert. Eine Idee wird ins System eingespeist (von der Stimmbevölkerung angenommen) und dann in einer Diskussion des Parlaments umgesetzt. Was hier wichtig ist: Was genau hinter dem Ja (und dem Nein) an der Urne steht, ist auch eine Frage der Interpretation (die Motive der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für oder gegen die MEI waren ja sehr unterschiedlich). Diese Interpretation übernimmt im System der Schweiz ein Gremium, das dafür demokratisch gewählt wurde, also das Parlament. Dieses legt dann einen Kompromiss vor, der – das liegt in der Natur der Sache – natürlich nur bedingt allen gefällt. Das Schöne ist nun, dass auch dieser Kompromiss eben nicht ein Letztentscheid sein muss, dass man also auch gegen diesen Kompromiss eine Nachkontrolle (also ein Referendum) durchführen kann (und, wenn man nicht zufrieden ist, eben auch sollte).»
Bühlmann ist «freilich auch der Meinung, dass der gefundene MEI-Kompromiss nicht wirklich nahe am ursprünglichen Initiativtext ist.» Deshalb findet er es gut, «wenn die Diskussion noch eine Weile weitergeht. Ob diese mittels Referendum oder neuerlicher Initiativbegehren (inkl. Rasa) geschieht, ist für die Diskussion eigentlich egal und macht die Institutionen – im Gegenteil zur Aussage von Stojanovic – meines Erachtens eigentlich nur noch stärker und legitimer.»

Legitimität nicht gefährdet, aber Handlungsfähigkeit

Auch Claude Longchamp sieht die Legitimität der demokratischen Institutionen durch den Parlamentsentscheid nicht gefährdet, aber «ihre Handlungsfähigkeit». Er frage sich, «ob wir angesichts der Polarisierung in der EU-Frage noch in der Lage sind, mehrheitsfähige Entscheidungen aus der Mitte heraus zu treffen». Das aber sei nötig, «damit das System handlungsfähig bleibt.» Die Mitte sei jedoch fragmentiert und in dieser Frage gespalten.

Gesetz vollauf legitimiert

Quintessenz aus der kleinen Expertenrunde: Nenad Stojanovic darf tun, was er tut, rechtliche Einwände gegen die Ergreifung eines Referendums für statt gegen ein Gesetz gibt es nicht. Er hat denn auch auf den Unterschriftenbogen bewusst geschrieben, dass es kein Referendum «gegen» das Gesetz sei, sondern das Gesetz «betrifft», was Claude Longchamp als «Wortklauberei» bezeichnet. Auch wenn rechtlich nichts einzuwenden ist: Alle drei Experten bringen mehr oder weniger deutliche Vorbehalte an. In der Tat widerspricht es dem Grundgedanken des fakultativen Referendums, einem vom Parlament verabschiedeten Gesetz mit einer Volksabstimmung zusätzliche Legitimation verschaffen zu wollen. Jedes Gesetz hat eine Referendumsfrist; wenn diese abgelaufen ist, ohne dass ein Referendum zustande gekommen ist, hat es das Volk eben so gewollt – und das Gesetz ist vollauf legitimiert, auch durch das Volk!


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8 Meinungen

  • am 5.02.2017 um 14:52 Uhr
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    Danke, Herr von Muralt, für diesen Artikel, bei dem nur der Schlusssatz nicht zutrifft!
    Dieser Artikel zeigt auf, warum die SVP beim Referendum nicht mitmacht. Man kann nicht für ein Referendum einsteht, wenn man das Gesetz nicht gutheisst. Darum kann die SVP auch nicht für ein Referendum gegen ein Gesetz sein, welches sie ablehnt!
    Herr Nenad Stojanovic ist legitimiert, das Referendum zu ergreifen, so wie es auch andere Referendumsparteien sind. Aber wer sammelt schon Unterschriften für ein Unterfangen, das schon zu Beginn chancenlos ist. Das Referendum wird ja nur ergriffen, um vielleicht der SVP eins auswischen zu können!
    Die Experten liegen im Prinzip alle richtig, man sollte die politischen Rechte in der Schweiz nicht missbrauchen und dies müssen sich die Referendumsbefürworter vorwerfen lassen!
    Doch nun zum letzten Satz von Herrn von Muralt: «Jedes Gesetz hat eine Referendumsfrist; wenn diese abgelaufen ist, ohne dass ein Referendum zustande gekommen ist, hat es das Volk eben so gewollt – und das Gesetz ist vollauf legitimiert, auch durch das Volk!» – Fehlanzeige, Herr Muralt! Das Problem der Personenfreizügigkeit ist mit und ohne Referendumsabstimmung nicht gelöst und deshalb ist mit dem Gesetz überhaupt nichts legitimiert! Eine Zwängerei und eine Nichtumsetzung einer Verfassungsbestimmung kann doch nicht ein Gesetz legitimieren, die Verfassung steht rangmässig über einem Gesetz. Und es fragt sich, ob sich der Volkswille einer Fehlgeburt im Parlament unterordnen muss?

  • am 5.02.2017 um 17:30 Uhr
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    Das Fazit im Artikel von Jürg Müller (Merci!) ist aus meiner Sicht völlig korrekt. Wenn das Volk das ihm zustehende Referendum nicht ergreift, hat es dem Gesetz implizit zugestimmt. Die Frage, ob damit auch der Verfassungstext vollumfänglich ausgeschöpft ist, ist eine ganz andere. Im Fall der MEI hat das Parlament abgewogen zwischen den vom Volk mehrmals grossmehrheitlich akzeptierten Bilateralen Verträgen mit der EU und dem ebenfalls, aber äusserst knapp, angenommenen MEI-Artikel, den die SVP in der Initiative-Kampagne als mit den Bilateralen vereinbar bezeichnet hat. Nach dieser Schummelei ist ihr Verfassungsbruchgeschrei heuchlerisch. Das Parlament ist – mit dem Vorbehalt des Referendums – frei beim Verfassungsvollzug. Die Bundesverfassung ist häufig nicht wortgetreu erfüllt: So musste die Mutterschaftsversicherung etwa 60 Jahre auf den Vollzug der Verfassung warten. Die AHV-Renten sollten gem. BV-Art. 112 den «Existenzbedarf … decken», tun es aber klar nicht. Der ‹Alpenschutzartikel› (auch eine angenommene Volksinitiative) ist nicht erfüllt und wird mit dem zweiten Strassentunnel erneut geritzt. Oder beim ‹Gleichstellungsartikel› verweigert die Politik seit Jahren stur die darin verlangte Gleichheit von Frauen- und Männerlöhnen. Es gäbe weitere Beispiele. Die Balance zwischen Volksrechten, Parlaments-, Bundesrats- und Gerichtskompetenzen ist das Gerüst der legendären Schweizer Kompromisskultur. Wer jetzt «Volksverächter» schreit, polemisiert gegen diese Schweiz.

  • am 5.02.2017 um 19:01 Uhr
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    Sie geben ja viele gute Beispiele, Herr Zimmermann, daraus ist ersichtlich, dass die Konkordanzdemokratie längst zum Auslaufmodell geworden ist, oder anders ausgedrückt, Ihre «Kompromisskultur» hat längst einen unwiderruflichen Riss erhalten!

  • am 6.02.2017 um 00:57 Uhr
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    Werter Herr Düggelin, es scheint mir ganz so wie Sie es diagnostizieren. Was könnte da Abhilfe schaffen? Ich kenne mich echt nicht aus, aber eventuell sowas wie eine Verfassungsgerichtsbarkeit, die nicht nur die Zulassung von Initiativen bewerten würde sondern auch darüber wacht, dass Volksentscheide überhaupt und wenn, dann auch +/- sinngemäss umgesetzt werden und Kompetenz hat, Bundesrat und Parlament Vorgaben zur Umsetzung zu machen?….Damit die Bundesverfassung nicht zu einem Friedhof guter Vorsätze verkommt?

  • am 6.02.2017 um 08:29 Uhr
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    @Herr Lüthi, die Schweiz kennt ja gemäss Art. 190 BV die Verfassungsgerichtsbarkeit nicht, aber es fragt sich, ob eine Nichtumsetzung von einem Verfassungsgericht überhaupt gerügt würde?
    "Ein Verfassungsgericht prüft Vereinbarkeit mit der Verfassung als vorrangige nationale Rechtsquelle. Z.B. überprüft der Richter, ob die Bestimmungen im Steuergesetz mit dem Rechtsgleichheitsgebot in der Bundesverfassung oder mit der verfassungsrechtlichen Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen vereinbar sind. Verfassungsgerichte sind sämtliche Gerichte, die gemäss nationaler Rechtsordnung die Befugnisse zur autoritativen Verfassungskontrolle besitzen. Autoritativ bedeutet dabei, dass ein Gericht eine Verfassungswidrigkeit nicht nur feststellen darf, sondern die entsprechende Verfügung, den Erlass oder sonstiges staatliches Handeln für nichtig erklären resp. den verfassungswidrigen Rechtssatz nicht anwenden kann. Die gelebte Verfassung im formellen Sinne umfasst sämtliche Verfassungsnormen inkl. ihrer richterlichen Auslegung und Rechtsfortentwicklung.
    (aus: Verfassungsgerichtliche Rechtskontrolle gegenüber schweizerischen Bundesgesetzen – Martin E. Looser)"
    Es scheint mir zweifelhaft, ob ein Verfassungsgericht die Nichtumsetzung der Masseneinwanderungsinitiative als verfassungswidrig und damit als nichtig bezeichnen würde. Zudem stellt eine Verfassungsgerichtsbarkeit unsere Gewaltentrennung zur Diskussion. Den Richtern käme dann in verschiedenen Angelegenheiten oberste Kompetenz zu.

  • am 6.02.2017 um 12:17 Uhr
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    Auf Bundesebene ist gerade wegen des mit dem Gesetzeseferendum dem Volk gegebenen Korrektivs ein Verfassungsgericht bisher als unnötig angesehen worden. Kantonale Erlasse werden hingegen vom Bundesgericht auf ihre Bundesrechtsmässigkeit überprüft. – Meine Beispiele zeigen die Konkordanz weniger als Auslaufmodell, als vielmehr wie sie auf lösungsorientierte politische Toleranz baut. Diese pragmatische Flexibilität muss aber ausgewogen sein und darf nicht einseitig werden. Einseitig ist, wenn die SVP nur bei der MEI ein Riesengeschrei macht, die Medien dazu kaum erklärende historische Vergleiche machen und Stojanovic deshalb sogar ein Referendum als Plebiszit ohne korrigierende Absicht lanciert. Einseitig und nicht konkordant ist somit, wenn die gleiche fremdenfeindliche Partei mit 2 Bundesräten die rechnerische Konkordanz einfordert, fast gleichzeitig eine nicht wortgetreue Umsetzung der «Zweitwohnungsinitiative» unterstützt, hingegen bei ihrer MEI eine Verfassungskrise herbeipolemisiert, inklusive schlimmster verbaler Verunglimpfungen aller diesbezüglich Andersdenkenden.

  • am 6.02.2017 um 12:58 Uhr
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    Lieber Rolf Zimmermann, Ihre Kommentare sind sehr einseitig geprägt, das sagt einer, der nicht SVP-Mitglied ist! Wenn Sie die Konkordanz so lobpreisen, so frage ich Sie: «Sag Rolf Zimmermann und sag SP-Partei, wie hältst du es mit einer glaubwürdigen Sicherheitspolitik der Schweiz? Da gibt von Seiten der SP keine lösungsorientierte Toleranz sondern nur strikte Opposition, wohl bekomms, Schweizerische Konkordanz! Die SP will ja noch immer die Armee ganz abschaffen, ist denn dies konkordant? Was soll denn ein Plebiszit ohne korrigierende Wirkung?

  • am 6.02.2017 um 15:47 Uhr
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    Wenn Sie Herr Düggelin nun eine parteipolitische Debatte suchen, sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Ich wollte einfach mit ein paar wenigen Argumenten zeigen, wie das Gesetzesreferendum auf Bundesebene wirkt und wo entsprechend Spielraum beim Verfassungsvollzug besteht bzw. genutzt wird. Obwohl meine Beispiele den Schluss nahelegen, nur die Linke habe bisher diesbezüglich Zugeständnisse machen müssen, will ich dies nicht behaupten. Die Konkordanz will ich nicht «lobpreisen», sondern nur ihr Verhältnis zum Referendum erklären. Unter referendumspolitischen Bedingungen sorgt sie für stabile Verhältnisse, verlangt aber auch Kompromissbereitschaft und das Messen mit gleichen Ellen.

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