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Netanyahu vor der Uno © Haaretz

Die US-Israel-Lobby macht Druck für ein Veto

Christian Müller /  Israels Ministerpräsident Netanyahu erklärt vor der Uno, dass sich Israel nichts diktieren lassen wird. Aber das AIPAC ist nervös.

Die Siedlungspolitik des Staates Israel in den besetzten Gebieten im Westjordanland ist völkerrechtlich und auch moralisch inakzeptabel. Das wissen eigentlich alle. Nur: Wenn es um Israel geht, ist immer noch Schweigen angesagt. Die USA schweigen, weil jeder Präsident aus eigener Erfahrung weiss, dass er nur mit Unterstützung des AIPAC – des American Israel Public Affairs Committee, der omnipotenten Israel-Lobby-Organisation – Präsident werden konnte. Deutschland schweigt, weil, um es in den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sagen, die Existenz Israels zu Deutschlands «Staatsräson» gehört. Die Schweiz schweigt, weil auch hier jeder, der Israels Politik zu kritisieren wagt, als Antisemit abgestempelt wird. Wer aber möchte schon ein Antisemit sein? – In vielen anderen Ländern ist es ähnlich.

Hat man im deutschsprachigen Raum lesen können, dass Israels Ministerpräsident Netanyahu vor der UNO eben und zum xten Mal wieder erklärt hat, dass Israel zu Friedensverhandlungen mit den Palästinensern bereit sei (was immer das auch heissen mag), aber dass Netanyahu auch und ebenfalls zum xten Mal und in aller Deutlichkeit gesagt hat, Israel lasse sich von der Uno nichts diktieren? Ja, in der NZZ stand ein kurzer, namenloser Bericht, der mit den folgenden drei Sätzen endete: «Er glaube weiter fest an einen Frieden, sagte Netanyahu. ‹Allen Zweiflern zum Trotz glauben wir, dass Israel in den kommenden Jahren Frieden mit allen seinen Nachbarn erreichen wird.› Von den Vereinten Nationen lasse er sich aber nichts diktieren. ‹Die Strasse zum Frieden verläuft durch Jerusalem und Ramallah, nicht durch New York.’»

Worüber man hierzulande aber gar nichts lesen kann, sind die massiven Aktivitäten der verschiedenen Israel-Lobby-Organisationen. Diese nämlich befürchten, dass in der Zeit zwischen den Präsidentschaftswahlen im November und dem definitiven Abtritt Präsident Obamas im Januar in der Uno eine Israel-kritische Resolution verabschiedet werden könnte und dass sich dann Obama, der – nach seiner sehr persönlichen Meinung! – die Siedlungspolitik Netanyahus nie gutgeheissen hat, dann darauf verzichten würde, im Uno-Sicherheitsrat das ihm zustehende Veto einzulegen.

The Lame Duck – die Freiheiten der «lahmen Ente»

Die Zeit zwischen den Präsidentschaftswahlen und der Amtsübernahme des neugewählten Präsidenten ist in der Tat eine spezielle Zeit. Auf der einen Seite ist der demnächst abtretende Präsident eine sogenannte «lame duck», eine «lahme Ente», weil er kaum noch etwas bewirken kann. Auf der anderen Seite hat der demnächst abtretende Präsident in dieser Zeit immer noch Kompetenzen – und er ist dann in gewisser Hinsicht sogar freier als je zuvor. Bill Clinton zum Beispiel nutzte seinen letzten Arbeitstag im Amt, dem 20. Januar 2001, um 450 Personen zu amnestieren, also von Schuld und Strafe zu befreien, darunter viele seit Jahren in Gefängnissen Einsitzende, darunter aber auch – als prominentes Beispiel – der von der US-Justiz wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe verfolgte und (auch deshalb) in der Schweiz lebende (jüdische) Rohstoffhändler Marc Rich, der im Öl-Business im Nahen Osten in zahlreiche problematische Geschäfte verwickelt war. (Seine Zuger Rohstoff-Handelsfirma ging später auf in der börsenkotierten Zuger Rohstoffhandelsfirma Glencore.) Marc Richs Familie hatte Jahre zuvor auch zu den Spendern der Wahlkampagne zugunsten Bill Clintons gehört.

Die Israel-Lobby ist nervös

Wenn im November Bill Clintons Frau Hillary Clinton zur US-Präsidentin gewählt wird, ist für die Israel-Lobby alles in Butter, denn kaum je zuvor hat sich ein Präsidentschaftskandidat vor den Wahlen in Israel so penetrant angebiedert wie die Kandidatin Hillary Clinton. Obama aber, man weiss es und man erinnert sich etwa auch an seine berühmt gewordene, viele Hoffnungen weckende Rede in Kairo vom 4. Juni 2009, ist zwar kein Gegner Israels, aber mindestens gegenüber der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik Netanyahus hat er klare Vorbehalte und gilt nicht als Netanyahus Freund. Und er ist auch nicht, wie die beiden Clintons es sind, eine reine Marionette der Grossfinanz. Die Israel-Lobby hat darum Angst – nein, nicht dass er noch aus eigenem Antrieb was Israel-Kritisches tun könnte, aber dass er etwas NICHT tun könnte: eben ein Veto aussprechen im Uno-Sicherheitsrat, wenn die Uno zum Thema Israel in Obamas letzten Wochen eine für Israel ungünstige Resolution erlassen würde.

88 Senatoren beider Parteien, darunter Tim Kaine, von Hillary Clinton zum künftigen Vizepräsidenten ernannt, unterzeichneten vor ein paar Tagen einen offenen Brief an Obama, mit dem auf ihn öffentlich Druck gemacht werden soll.

Kein Thema in den deutschsprachigen Medien

Dass sich viele deutschsprachige Medien darum drücken, die israelische Siedlungspolitik klar zu kritisieren, ist das eine (siehe oben). Wer sich eingehender mit Israel befassen will, kommt ohnehin nicht darum herum, zusätzliche Medien zu konsultieren. (Ausdrücklich empfohlen sei die israelische Tageszeitung Haaretz, die eine (allerdings kostenpflichtige) englische Version im Internet anbietet. Aber auch etwa die US-amerikanische Website Mondoweiss liefert täglich interessante News zu Israel, die man sonst nirgendwo lesen kann.)

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht nur um Israel, sondern ganz konkret auch um die Uno. Um die Uno, die – ein Überbleibsel der Machtverhältnisse am Ende des Zweiten Weltkrieges – total abhängig ist von den fünf permanenten Veto-Mächten im Sicherheitsrat. Weltweit werden im Namen der Demokratie Kriege geführt, nur ausgerechnet die Uno weigert sich standhaft, in ihre Organisation einigermassen demokratische Strukturen zu bringen. Zum Glück gibt es auch da Organisationen, die sich für eine demokratische Uno engagieren, erwähnt sei vor allem die UNPA, die sich für ein Weltparlament einsetzt (»Der Menschheit eine Stimme geben»).

Doch zurück zu Israel. Dass sich das AIPAC (siehe oben) in aller Öffentlichkeit dafür einzusetzen wagt, demokratisch zustande gekommene Resolutionen der Uno durch ein undemokratisches Veto der USA zu verhindern, wäre auch im deutschsprachigen Raum den einen oder anderen Kommentar wert. Aber die Mainstream-Medien kneifen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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4 Meinungen

  • am 24.09.2016 um 12:43 Uhr
    Permalink

    …Wer aber möchte schon ein Antisemit sein?
    Ich bin ein Kritiker aller bisherigen israelischen Regierungen. Wen ich deswegen als Antisemit abgestempelt werde, so bin ich das sehr gerne!

  • am 25.09.2016 um 09:53 Uhr
    Permalink

    MMM: MassenManipulationsMedien:
    wer gegen gewalt ist, ist ethisch / moralisch
    wer gegen us-gewalt ist, ist antiamerikanisch
    wer gegen israel-gewalt ist, ist antisemit…

    semiten sind Araber, Hebräer, Aramäer und Malteser (wikipedia).
    ich bin nicht gegen diese menschen – ich bin gegen die ungeheure gewalt, die von den grössten banken und pensionskassen finanziert werden.
    aus angst und bequemlichkeit kommen «die kleinen» dran – die grosse gewalt (drohen, uranmunition, streubomben, mangel an nahrung und minimaler gesundheitsversorgung inklusive freiwillige familienplanung, organisierte massenmigration…) wird (nicht nur von MMM’s) abgesegnet, akzeptiert, toleriert!
    tolle toleranz!

  • am 26.09.2016 um 15:13 Uhr
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    Ich schliesse mich Herrn Andreas Mathys an. Es ist unsäglich, was sich die Israeli neben anderem mit Ihrer Siedlungspolitik ungestraft erlauben dürfen – mit stillschweigendem Segen der Welt, selbstverständlich auch der so genannt ‹Neutralen Schweiz›. Weshalb ist das so? Kann mir das jemand erklären?

  • am 26.09.2016 um 18:30 Uhr
    Permalink

    Sowohl die Herren Bellwalder und Mathys müssten den kürzlich erschienenen Artikel in der israelischen Zeitung Haaretz*( lesen, dann würden auch sie sich nicht so allein fühlen. Wieso der Hauptharst der «westlichen» Medien nichts davon wissen will, kann nur durch’s mittanzen ums Goldene Kalb erklärt werden… Freiheitliche Medien, auch hierzulande, das war vielleicht einmal.
    *(http://www.haaretz.com/israel-news/white-man-s-burden-1.14110

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