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Robert Menasse in Zürich: lesens- und bedenkenswert © cm

Robert Menasse – Nachdenken auch über die Schweiz

Christian Müller /  Die Max Frisch-Preis-Verleihung an Menasse durch Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch gedieh zu einem be-denkenswerten Anlass.

Sie trat auf die Bühne des Zürcher Schauspielhauses, charmant und mutig zugleich: Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch. Denn ihr war es vorbehalten, dieses Jahr den alle fünf Jahre zu vergebenden Max Frisch-Preis der Stadt Zürich dem Wiener Romancier und Essayisten Robert Menasse zu übergeben. «Wer vor einem literarisch gebildeten Publikum ein Wort für die Schweiz einlegen will», so begann sie ihre äusserst geistvolle kurze Rede, «hält sich mit guten Erfolgsaussichten an österreichische Publizisten. So hat Bundesrat Alain Berset bei der Eröffnung der diesjährigen Leipziger Buchmesse Ohren und Herzen seiner Zuhörer gewonnen, indem er ein Bonmot von Alexander Roda Roda zitierte: ‹Als Schweizer geboren zu werden, ist ein grosses Glück. Es ist auch schön, als Schweizer zu sterben. Doch was tut man dazwischen?› In der Heiterkeit, die das Zitat auslöste, ging unter, dass die Schweiz eben mit einer knappen Mehrheit der Stimmenden einer Initiative zustimmte, welche die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz beschränken will. Dabei war ausgerechnet der Lieferant des Zitates ein frühes Opfer einer Mentalität, die Fremdes ausgrenzt. Der jüdische Autor Alexander Roda Roda floh 1938, wenige Tage vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland, in die Schweiz, am 1. November 1940 wurde er aufgefordert, das Land wieder zu verlassen und jegliche publizistische Tätigkeit aufzugeben.»

Nein, Corine Mauch liess die Veranstaltung nicht zu einer Anti-9. Februar-Demo verkommen. Aber ausklammern wollte und konnte sie das Thema Fremdenfeindlichkeit nicht, denn es war gerade für Max Frisch typisch, dass er sich auch dort in die politische Diskussion einbrachte, wo es um Schweizer Feigheit gegenüber bedrohten Ausländern ging. Corine Mauch: «Aber Max Frisch hat die Schweiz genauso kritisch und tabulos einer stetigen Prüfung unterzogen wie sich selbst. Er hat gehätschelte schweizerische Selbstbilder demontiert, aber auch konstruktive Vorschläge für eine neue Schweiz gemacht, er hat über das Verhältnis des Schriftstellers zur Öffentlichkeit grundsätzlich nachgedacht, aber auch konkret interveniert, etwa gegen den Beschluss des Bundesrates vom 23.2.1974, der den Visum-Zwang für chilenische Staatsbürger einführen wollte und damit Personen, die auf der Flucht vor dem Pinochet-Regime waren, das Asyl in der Schweiz versperrte, oder in einem Artikel im Corriere della Sera 1978, in dem er die Entführung Aldo Moros als Verbrechen verurteilte, aber auch darauf hinwies, dass der Terrorismus als Krankheitssymptom der Gesellschaft zu verstehen sei.»

NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer: ein «Meister der Stile und Töne»

Die offizielle Laudatio hielt der wort- und schriftgewaltige Ressortleiter Feuilleton der NZZ, Martin Meyer. Wer könnte einen Robert Menasse in ein besseres Licht stellen als der brillante (mey.) des Zürcher Intelligenz-Blattes? Hier die Kostprobe: «Denn Robert Menasse: Das bedeutet Witz, Schärfe, Ironie, und es meint zugleich Seele, Sentiment, ja schwärmerische Seitensprünge – von der Literatur ins Politische, von der Essayistik in die polemisch aufgekratzte Postille. Plötzlich bedauern wir Hiesige denn, dass wir die Nachbarn im näheren Osten in wild republikanischer Aufwallung einstmals brachial aus unseren Grenzen verjagten – und damit auch ein kräftigendes Stück Kultur verspielten.»

Der Max Frisch-Preis der Stadt Zürich wird an Autoren vergeben, die sich nicht in den literarischen Elfenbeinturm zurückziehen, sondern sich in die öffentliche politische Diskussion einbringen. Das hat Robert Menasse gemacht, nicht zum ersten Mal, aber ganz besonders auch mit seinem letzten grösseren Werk mit dem Titel «Der Europäische Landbote» – in Anlehnung an Georg Büchners Kampfschrift «Der Hessische Landbote» (siehe die Besprechung auf Infosperber, Link unten). Hier ging Martin Meyer nun allerdings ein wenig auf Distanz zum Geehrten, in Anbetracht der politischen Leitlinie der «Alten Tante von der Falkenstrasse» keine Überraschung: «Anderseits muss ich hier nun allerdings offen gestehen, dass dies alles für mich bloss die eine Seite der Medaille ist: eine Art von Sollen, die Solidarität, ein buntes Ineinander der Regionen bei artikuliert wünschbarem Absterben des Nationalismus, mehr noch: der Nationalstaaten.» Ironie des Schicksals: Die NZZ hat seit etwas mehr als einem halben Jahr einen Konzernleiter, der seinerseits Österreicher ist und als Gründungsmitglied der neuen Partei NEOS ebenfalls sehr viel Sympathie für die EU bekundete – noch vor seinem Übertritt zur NZZ (Infosperber berichtete, siehe Link unten).

Robert Menasse: «Die Heimat als Schweiz»

Dann aber trat Robert Menasse, der mit dem Max Frisch-Preis Geehrte, ans Rednerpult. Nein, er hielt keine Rede. Er las, in Anlehnung an Max Frischs Tagebuch-Werke, aus seinem Tagebuch. Das gab ihm die Gelegenheit, an Vergangenes zu erinnern und Gegenwärtiges zu kommentieren – eine geniale Idee. So etwa kam auch er auf Pinochet zu reden: «Mein Verhältnis zu Politik bestand aus schlichter Dankbarkeit. Die Amerikaner haben uns vom Faschismus befreit, die Amerikaner haben uns Demokratie gebracht, und Fortschritt. Die Amerikaner wachen über die freie Welt, verteidigen die Demokratie. Meine Eltern und Grosseltern und meine Lehrer in der Schule haben das verbürgt. Ich war übersensibel, errötete leicht, zum Gaudium meiner Mitschüler. Ich war kein Raufer und kein Kämpfer. Mein Vater sagte, wir leben in der besten aller Welten. Das haben wir den Amerikanern zu verdanken. Ich haderte nicht mit der Welt, sondern nur mit meiner Schüchternheit gegenüber Mädchen. Und da putschen die Amerikaner den frei gewählten Präsidenten eines souveränen Staats weg, ermorden ihn und setzen einen faschistischen Diktator an seine Stelle. Wenn man mir gesagt hätte, dass meine Eltern nicht meine richtigen Eltern sind, der Schock hätte nicht grösser sein können.»

Robert Menasses Auftritt war berührend, seine Worte bedenkenswert, seine «Rede» hätte nicht besser formuliert, nicht geistvoller, nicht überzeugender sein können. In Anlehnung an Max Frischs berühmte Rede mit dem Titel «Die Schweiz als Heimat» setzte Robert Menasse seine Tagebuch-Texte unter den Titel: Die Heimat als Schweiz. – Der Zürcher TagesAnzeiger hat sie in voller Länge online aufgeschaltet (Link siehe unten). Ein Zeitdokument, das hoffentlich bald auch gedruckt auf Papier zu lesen ist. Es verdient grösste Verbreitung, nicht zuletzt in der Schweiz!


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