Sperberauge

Wir lassen Menschen auch verhungern

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Jürgmeier /  «Wir helfen allen, die es nötig haben.» – Realität oder sensible Allmachtsphantasie?

Zugegeben, Sozialhilfe-EmpfängerInnen und die es werden möchten sind nicht wirklich bessere Menschen als irgendwelche AnlageberaterInnen, PolitikerInnen, FirmensaniererInnen, gut schweizerische SteueroptimiererInnen und ganz gewöhnliche AutofahrerInnen. Auch sie kommen auf Ideen. Nicht immer, aber auch in der Not.

Das erkennt schon Wachtmeister Studer im gleichnamigen Roman von Friedrich Glauser. Der Kaufmann und Reisende Wendelin Witschi hatte sich selbst das Leben genommen, er war nicht umgebracht und beraubt worden, wie seine Familie es darzustellen versuchte. Um die Lebensversicherung von irgendeinem Heftli ausbezahlt zu bekommen.

«Wir helfen allen, die es nötig haben.» Lautet unser humanistisches Mantra. Alle anderen, würden wir gerne glauben, leben nicht wirklich im Elend. Es sind, vermutlich und ausgerechnet, die Empfindsamsten unter uns, die es nicht ertragen, wenn Menschen Not leiden und wir sie nicht retten können. Zur Entlastung ihrer sensiblen Seele diffamieren sie die Mehrheit derer, die Unterstützung suchen, als Schein-Asylanten, Schein-Invalide oder Schein-Arme. Damit sie tatsächlich allen helfen können, die es verdienen.

Ich erinnere mich an den Mitarbeiter eines Hilfswerks, der bei einer der vielen Flüchtlingstragödien der letzten Jahrzehnte in einem Zeltlager aus Tausenden von Verzweifelten und Hoffenden das vom Bundesrat bewilligte Kontingent (wahrscheinlich etwa 100, 200 Menschen, denen die Schweiz Obdach gewähren wollte) auswählen musste. Er wusste, Allmachtsphantasien schaffen keine Wirklichkeit.

In der Realität müssten wir bescheiden zugeben: Wir können nicht allen helfen, die es nötig haben. Um jene, denen wir Hilfe vorenthalten (müssen), nicht zusätzlich zu demütigen. Müssten, mit Blick auf die ganze Welt, eingestehen: Wir lassen Menschen auch verhungern.


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