Kommentar

Der Spieler: Wie «Hanabi» einen Rekord vermasselt

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Kleine Spiele verleihen dem Handel zu wenig Dynamik, klagt die Branche. Damit handelt sie gegen die eigenen Interessen.

Vier Wochen dauert es noch, bis «Hanabi» aus dem Abacus-Verlag das Szepter des aktuellen «Spiel des Jahres»-Preisträgers abgibt und einer der drei nominierten Titel «Camel Up», «Concept» oder «Splendor» seine Nachfolge antritt. Bevor dieses aussergewöhnliche «Hanabi»-Jahr abläuft, ist klar, dass das kooperative Spiel gleich in doppelter Hinsicht Geschichte schreibt: Mit «Hanabi» hat die Jury «Spiel des Jahres» zum ersten Mal einem kleinen Kartenspiel die weltweit wichtigste Auszeichung für Spiele verliehen. Und zweitens hat noch nie ein Preisträger im ersten Produktionsjahr eine so hohe Verkaufsauflage erzielt. 670 000 Exemplare waren es 2013 laut der Fachzeitschrift «Spielbox». Abacus-Inhaber Joe Nikisch hat diese Zahl gegenüber «Infosperber» bestätigt.

Als ich diese Woche diese Erfolgsnachricht las, erinnerte ich mich an eine Medienmitteilung der Fachgruppe Spiel von Ende Januar dieses Jahres. Die Fachgruppe, seit März Spielverlage e.V., vertritt die Interessen der 20 führenden Spieleverlage Deutschlands. In der Meldung hiess es, trotz sehr guter Vorzeichen im vergangenen Herbst habe es die Spielebranche 2013 leider nicht geschafft, «die in so greifbar gerückte Umsatzrekordgrenze von 400 Millionen Euro» zu überschreiten. Die Erklärung finde sich bei zwei Spielsegmenten, «die sich ungewöhnlich hoher Umsatzzuwächse erfreuen konnten». Wörtlich: «Preisgünstige Würfel- und Wortspiele verzeichneten ein Plus von knapp 18 Prozent. Auf den ersten Blick verblüffend auch das um rund 10 Prozent angestiegene Verkaufsvolumen bei Kartenspielen. Letzteres erklärt sich dann aber recht schnell und schlüssig: Das Spiel des Jahres 2013, ‹Hanabi› zählt zur Kategorie der Kartenspiele. Nun stand dieses Spiel des Jahres bei den verkauften Stückzahlen vielen seiner Vorgänger zwar keineswegs nach, konnte sich aber auf Grund seines im Vorweihnachtsgeschäft häufig zwischen 5 und 7 Euro pendelnden Ladenverkaufspreises nicht so dynamisierend auf das Gesamtumsatzvolumen des Spielehandels auswirken wie das üblicherweise bei einem sehr viel höher ausgepreisten Brettspiel der Fall ist.»

Im Klartext: «Hanabi» als «Spiel des Jahres» und das Würfelspiel «Qwixx», das von der Jury ebenfalls auf die Nominierungsliste zum letztjährigen «Spiel des Jahres» gesetzt worden war, haben der Branche den sehnlichst erhofften Rekordumsatz von 400 Millionen Euro vermasselt. Wäre an ihrer Stelle ein grosses Brettspiel ausgezeichnet worden, hätten die Spielverlage hingegen jubeln können, so die unmissverständliche Botschaft der Medienmitteilung.

Wichtige Faktoren ausgeblendet

Eine solche Erklärung ist unhaltbar, weil sie bewusst Faktoren ausblendet, die der in der Spielverlage e.V. vertretenen Branche sehr wohl bekannt sind. 670 000 verkaufte Exemplare eines Spiels bedeutet mehrere Hunderttausend Verkaufsvorgänge, mehrere Hunderttausende von Menschen, die ein Geschäft betreten, sich dort umschauen und dabei zur Kenntnis nehmen, was es alles an Spielen gibt und was man auch noch kaufen könnte. Und wenn es sich um ein gutes Spiel handelt wie «Hanabi», spricht sich das herum, so dass sich die Leute sagen: «Wow, das muss ich auch haben!». Die kleinen Spiele als höchst wirksame Botschafter und Werbeträger für das Spielen: Sie bringen potenzielle Kundinnen und Kunden zu Hunderttausenden in die Läden – wenn das keine Dynamisierung ist! Weiter ist auch bekannt, dass von den so genannten kleinen Spielen in erster Linie der Fachhandel profitiert. So sagen Fachhändler, die sowohl Online als auch in einem Laden Spiele verkaufen, dass sie mehr «Hanabi» im Laden verkauft haben als übers Internet. Und schliesslich kenne ich auch Fachgeschäfte, die mit «Hanabi» trotz des günstigen Verkaufspreises mehr Umsatz erzielt haben als je mit einem anderen Preisträger. Wie kann man da noch von mangelnder Dynamisierung sprechen?

Die Pressemitteilung der Fachgruppe trägt zwar den scheinbar positiven Titel «Kleine, feine Spiele prägten das Umsatzgeschehen 2013». Was aber danach folgt, ist «Hanabi», «Qwixx» & Co. gar nicht freundlich gesinnt. Ich meine sogar, dass der Interessenverband der Branche mit dem Verbreiten solcher Inhalte den ureigenen Verbandsinteressen zuwider handelt.

Wichtig ist ein breites Angebot

Worauf stützt sich meine Behauptung? Die Branche ist heute mehr denn je auf ein breites Angebot angewiesen. Denn seit einigen Jahren driften die Interessen und Bedürfnisse der spielenden Menschen zunehmend auseinander. Dabei meine ich nicht einmal die Trennung zwischen jenen, die primär am Computer spielen, und jenen, die in der Freizeit lieber zum traditionellen Gesellschafts-, Brett- und Kartenspiel greifen. Die wahre Herausforderung für die Branche liegt vielmehr in der immer deutlicher zutage tretenden Segmentierung innerhalb der Gruppe der traditionell und klassisch Spielenden. Hier gibt es Menschen, die möglichst kurze Spiele suchen. Andere wiederum sind nur zufrieden, wenn sie zwei Stunden und mehr hinter einem Brett sitzen können. Das sind dann meistens auch jene, denen die Komplexität eines Spiels nicht genug hoch sein kann, während anderen wiederum schon eine Spielanleitung, die mehr als zwei Seiten umfasst, ein wahrer Gräuel ist. Sie wollen einen schnellen Einstieg und einen einfachen, eingängigen Verlauf eines Spiels. Und alle, ob jung oder alt, ob Gelegenheits- oder Vielspieler, sie alle wollen gute Unterhaltung und ein möglichst tolles Spielerlebnis. Die Bedürfnisse und Ansprüche an die Spieleverlage könnten unterschiedlicher nicht sein. Darauf kann es nur eine Antwort geben – ein möglichst breites Angebot, das von den komplexen bis hin zu den «kleinen, feinen» Spielen reicht.

Auf die Fragen, ob denn die Computerspiele eine Gefahr für das klassische Brettspiel darstellten und wie sich die Branche auf die demographische Entwicklung einstelle, gibt sich Hermann Hutter, Inhaber des gleichnamigen Verlags und Vorsitzender der Fachgruppe Spiel, ziemlich gelassen. Viele, die gerne am Computer spielen, würden auch ein «schönes, geselliges Spielerlebnis am Tisch mit Freunden zu schätzen wissen». Und was die geburtenschwachen Jahrgänge angehe, «können wir mit Fug und Recht davon ausgehen, dass diese ‚Schwäche’ dadurch ausgeglichen wurde und wird, dass zeitgleich die Beliebtheit von Gesellschaftsspielen in der Bevölkerung deutlich angestiegen ist – und damit auch der Wunsch, in Sachen Spiele öfter mal etwas Neues auszuprobieren.» Nun ist es aber erfahrungsgemäss so, dass für die von Hutter angesprochenen Zielgruppen nicht grosse und komplexe Brett- und Gesellschaftsspiele ideal sind, sondern kleinere Spiele mit einfachem Regelbestand, kurzem Einstieg und eingängigem Ablauf. Menschen, die einfach mal spielen wollen, suchen nicht die Mühsal, die mit dem Studium von langen Regeln verbunden sind, sondern das schnelle Erfolgserlebnis. Und genau das bieten Titel wie «Hanabi» und «Qwixx», aber auch viele einfachere Brett- und Familienspiele.

Erschreckendes Manko bei den Familienspielen

Wenn sich die Branche mit einem Problem derzeit ernsthaft auseinandersetzen müsste, ist das nicht mit dem Erfolg der preiswürdigen kleineren Spiele, sondern mit dem erschreckenden Unterangebot im so genannten klassischen Familienspielbereich. Hier herrscht Ebbe, während man im «Kennerbereich», den Spielen für erfahrene Vielspielende, von einer Hochkonjunktur sprechen darf, sowohl bei den Titeln auch bei der Qualität der angebotenen Spiele. Da die Branche ihr Geld auch in Zukunft nicht mit Spielen verdient, die eine exklusive kleine Schicht ansprechen, sondern mit Spielen für das allgemeine Publikum, sollte sie sich schleunigst um die künftige Entwicklung in diesem Angebotsbereich kümmern. Statt mehr oder weniger offen jene Umsatzträger herabzuwürdigen, die es schaffen, exakt in diesem Segment jene attraktiven Titel auf den Markt zu bringen, die dem Spiel zusätzliches Potenzial erschliessen, welches die Branche dringend nötig hat.

Die Branche kann sich freuen. Dieses Jahr hat die Jury drei grosse, höherpreisige Titel zum «Spiel des Jahres» nominiert. Die 400 Millionen-Marke dürfte also geknackt werden. Und wenn nicht? Dann ist möglicherweise das Wetter schuld, oder die Fussball-WM …


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

Zum Infosperber-Dossier:

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