Kommentar

Quellenschutz: Fatales Signal des Bundesgerichts

Dominique Strebel © zvg

Dominique Strebel /  Der journalistische Quellenschutz ist löchrig. Das Bundesgericht urteilte jüngst gegen die Medien und für die Strafverfolger.

Eine Journalistin der Basler Zeitung muss den Namen eines Hanf-Dealers nennen, den sie porträtiert hat (siehe Link unten). Sie könne sich nicht auf den Quellenschutz der Journalisten berufen. Dies der Entscheid des Bundesgerichts von Ende Januar 2014 (siehe Link unten), mit dem es einen Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt aufhob. Viele Journalisten und die Öffentlichkeit reiben sich die Augen. Taugt der Quellenschutz der Journalisten gar nichts mehr, wenn eine Journalistin selbst bei einem Bagatellfall wie einem nebenberuflichen Handel mit weichen Drogen das Zeugnis nicht verweigern kann?

Zur Beruhigung vorab: Der journalistische Quellenschutz taugt auch in Zukunft in aller Regel immer noch. Bei der Grosszahl aller Delikte des Strafgesetzbuches können Journalisten auch nach diesem Bundesgerichtsentscheid getrost das Zeugnis verweigern und die Quelle schützen. So zum Beispiel bei schwerer Körperverletzung, Tötung auf Verlangen, Diebstahl, Betrug, Veruntreuung, Amtsgeheimnisverletzung – ja selbst bei Erpressung, bandenmässigem Raub oder Geiselnahme (sofern das Opfer nicht in Lebensgefahr gebracht wird). Und auch bei Hanfhandel mit einem Jahresgewinn unter 10 000 Franken – dann nämlich gilt das Delikt nicht als qualifizierte Wiederhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Die Regelung ist nämlich so: Grundsätzlich können sich Journalisten auf Quellenschutz berufen – ausser es ist ein Delikt, das ausdrücklich im Ausnahmekatalog von Art. 28a StGB genannt wird. In diesem Ausnahmekatalog stehen zur Zeit 25 Tatbestände. Von den Rechtsgütern her unbestrittene Delikte wie Mord, Tötung, Menschenhandel, aber eben auch Zweifelsfälle wie die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 2 lit. C BetmG) oder Korruption (Vorteilsgewährung Art. 322quinquies und Vorteilsannahme Art. 322sexies).

Bei diesen 25 Tatbeständen also, die in Art. 28a StGB genannt sind, gilt der Quellenschutz nur, wenn das Gericht es will. Gerichte müssen in diesen Fällen abwägen, ob nun das Interesse an Information (Medienfreiheit) das Interesse der Strafverfolger überwiegt. Das ist ein erheblicher Ermessensspielraum. Und genau diesen Spielraum nützt das Bundesgericht nun zu Ungunsten der Medien und zu Gunsten der Strafverfolger. Es ermutigt die Strafverfolger und die Gerichte, selbst bei Grenzfällen wie Hanfhandel knapp über der Schwelle von 10 000 Franken Jahresgewinn oder Korruption die Strafverfolgungsinteressen über die Medienfreiheit zu stellen.

Das ist im vorliegenden Fall bei einem Cannabisdealer passiert – es könnte aber genauso gut bei einem Bestechungsfall passieren. Wie wichtig aber gerade die Medien bei der Aufdeckung von Korruption sind, hat eben erst der Seco-Fall gezeigt. Dieser Entscheid des Bundesgerichts führt zu grosser Rechtsunsicherheit und wird weit über diesen Einzelfall hinaus Wirkung haben: Die Medien werden sich zwei Mal überlegen, Recherchen auch nur in der Nähe solcher Themenbereiche anzustellen. Ist das ein Gewinn?

Auch wenn man die Argumentation des Bundesgerichts im Detail ansieht, überzeugt sie wenig. Das Bundesgericht gesteht zwar ein, dass «Rolands» Hanfhandel «vergleichsweise wenig schwer wiegt», verweigert den Quellenschutz aber trotzdem, weil «Roland» bereits seit 10 Jahren dealt und «immerhin 12 000 Franken pro Jahr verdient». Zudem sei er «Teil einer gross angelegten Verkaufsorganisation». Deshalb sei das Interesse an einer Strafverfolgung gross.

Das Interesse an einer Medienberichterstattung ist gemäss Bundesgericht hingegen klein, da sie einfach nur die Basler Cannabis-Szene habe darstellen wollen. Sie habe zudem den betriebenen Drogenhandel verharmlosend als quasi normales Gewerbe unter Kollegen dargestellt, schreiben die fünf Bundesrichter. So biete die Basler Zeitung dem «Dauerdelinquenten eine kostenlose Werbeplattform». Dies könne als Einladung verstanden werden, es ihm gleich zu tun.

Vor allem die beiden letzten Argumente sind wenig überzeugend, denn man kann da auch ganz anders argumentieren: Nach den eigenen Worten des Bundesgerichts braucht es «ausserordentliche Umstände, die öffentliche oder private Interessen gefährden» (BGE 132 I 181 E. 4.5 S. 193), damit die Justiz den Quellenschutz der Journalisten aufheben kann. Frage: Ist dieser Cannabis-Dealer ein ausserordentlicher Fall? Wäre die Schweiz (oder auch nur Basel) viel sicherer, wenn der Tatverdächtige überführt werden könnte? Trägt die Überführung des Verdächtigen wesentlich zur Volksgesundheit bei? Würde irgendein Medium darüber berichten, wenn der fragliche Dealer verurteilt würde? Ist es mehr als ein Dutzendfall? Die spontane Antwort auf all diese Fragen lautet: Nein. Betäubungsmittelkleinkram-Business as usual. Weit und breit keine ausserordentlichen Umstände ersichtlich. Das Strafverfolgungsinteresse ist also vergleichsweise gering – vor allem auch wenn man es mit den andern Delikten wie Mord, Menschenhandel etc. vergleicht, bei denen der Quellenschutz aufgehoben werden kann.

Demgegenüber ist der Nutzen der Berichterstattung der BaZ beträchtlich: Man reibt sich die Augen, wie verbreitet und normal mit Cannabis gedealt wird. Man erhält einen überraschenden Einblick in eine versteckte Welt: Türsteher, Schreiner, Informatiker beziehen beim Hanf-Dealer «Roland» Cannabis. Selbst ein Zahnarzt vertickt offenbar nebenbei Gras. Das löst bei den Lesern Erstaunen aus und regt zum Nachdenken an. Zentrale Wirkungen von gutem (Recherche-) Journalismus.

Setzt sich nun die harte Linie des Bundesgerichts durch, erfährt man von diesen und ähnlichen Welten nichts mehr aus der Zeitung, weil Journalisten zu diesen Themen nicht mehr recherchieren und mögliche Informanten keine Auskunft mehr geben. Das ist ein beträchtlicher Verlust für die Gesellschaft (und für die Strafverfolger…).
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Dieser Beitrag stammt von Dominique Strebels Blog.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Jurist und Journalist Dominique Strebel beobachtet, wie Polizistinnen, Staatsanwälte, Gutachterinnen, Rechtsanwälte und Richterinnen das Recht anwenden. Er ist Studienleiter an der Schweizer Journalistenschule MAZ.

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