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Konzerne lassen Kinder und Arbeiter im kongolesischen Bergbau ausbeuten © Fair Pa(i)d

Nur freiwillig und streng geheim reden sie darüber

Laurent Matile /  Menschenrechtswidriges Verhalten von Konzernen kann jedermann melden. Doch die Schweizer Beschwerdestelle ist wenig hilfreich.

Red. Konzerne sollten sich an Leitsätze der OECD halten. Verstösse kann man bei nationalen «Kontaktpunkten» melden. Doch im Gegensatz zum vorbildlichen Norwegen hat der Bundesrat in der Schweiz eine untaugliche Meldestelle eingerichtet. Wir veröffentlichen hier die Kritik von Laurent Matile, der bei «Alliance Sud» für Unternehmen und Menschenrechte zuständig ist.

Die Ausgestaltung der nationalen Kontaktpunkte NKP variiert von Land zu Land. Erste Aufgabe eines NKP ist es, für die Verbreitung der OECD-Leitsätze zu sorgen und bei deren Verletzung durch Unternehmen als Anlaufstelle für Beschwerden zu dienen.
In der Schweiz werden die Aufgaben und Pflichten des NKP durch eine Verordnung des Bundesrats geregelt, die festhält, dass der NKP «Eingaben über mögliche Verstösse von Unternehmen gegen die OECD-Leitsätze entgegennimmt und zwischen den Beteiligten vermittelt.» Die «Eingaben» können von Einzelpersonen oder einer Gruppe beim NKP eingereicht werden.
Zuständig ist der NKP auch für Beschwerden, die die Aktivitäten einer Schweizer Firma ausserhalb der OECD-Staaten betreffen, namentlich in Entwicklungsländern. Institutionell ist der Schweizer Kontaktpunkt beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angegliedert.
Unterstützt wird er seit 2013 von einer beratenden Kommission aus 14 Mitgliedern, in der sich VertreterInnen aus der Verwaltung, der Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und NGOs – darunter Alliance Sud – sowie der Wissenschaft treffen.
Die Verfahrensanleitung präzisiert, dass der NKP eine «Plattform für Dialog/Vermittlung zwischen den beteiligten Parteien anbietet, um sie so bei der Lösung des Konflikts zu unterstützen.» Springender Punkt ist, dass «die Teilnahme an diesem Dialog auf Freiwilligkeit beruht».

Mängel und Schwächen des NKP [1]

  • Der NKP kann keine Verletzung der OECD-Leitsätze durch ein multinationales Unternehmen festhalten;
  • die (einzige) Aufgabe des NKP ist es, «den Dialog zwischen den Parteien zu erleichtern und ein Diskussionsforum anzubieten»;
  • Die NKP kann keine möglichen Verstösse gegen die OECD-Leitsätze festhalten.

In seiner aktuellen Form beschränkt sich der NKP also darauf, eine freiwillige Dialogplattform zu sein für Parteien, die sich in einem Konflikt befinden. Die Teilnahme an diesem Dialog ist allerdings weder obligatorisch noch hat der NKP die rechtlichen Mittel, um Streitparteien zum Dialog aufzufordern oder dazu zu verpflichten.
Es handelt sich also um eine Form der freiwilligen Mediation, die ganz vom guten Willen der Unternehmen abhängig ist, sich diesem Prozess zu stellen. Es liegt in der Natur der Mediation, dass sie auf einem beiderseitigen Konsens der Streitparteien basiert, sich aussergerichtlich im Dialog zu einigen.

Die wichtigsten Schwächen in Sachen Effektivität und Wirksamkeit des Schweizer NKP sind:

  1. Der Schweizer NKP wird vom Seco administriert, es fehlt ihm darum an institutioneller Unabhängigkeit. Andernorts – etwa in Norwegen – ist der NKP verwaltungsunabhängig und mit vier unabhängigen ExpertInnen besetzt.
  2. Die hohen Anforderungen an die Vertraulichkeit verhindern, dass die Öffentlichkeit transparent über die Arbeit des NKP informiert wird. Vorbildlich dagegen ist die Transparenz in Norwegen. [2]
  3. Fehlende Mittel verhindern, dass Betroffene vor allem aus Entwicklungsländern – etwa durch Übernahme von Reisespesen und Übersetzungskosten – am Mediationsprozess teilnehmen können.
  4. Der NKP kann in den «abschliessenden Erklärungen» keine Verletzung der OECD-Leitsätze feststellen, und entsprechend können keine klaren Massnahmen angeordnet werden, die ein Unternehmen treffen soll, um den Leitsätzen in Zukunft gerecht zu werden.
  5. Das Fehlen eines Organs, das den NKP mit Weisungsbefugnis überwacht. Die beratende Kommission hat dafür ein zu vages Mandat.
  6. Das Fehlen jeglicher Sanktion für Unternehmen, die sich dem NKP verweigern oder dessen Arbeit behindern. Der NKP in Kanada kann seine Unterstützung für betroffene Firmen aussetzen oder bei der Vergabe von Exportkrediten mitreden.

Wo sich NKP und Zugang zur zivilen Justiz ergänzen

Eine Plattform für Dialog und Austausch kann das Recht auf Wiedergutmachung im Falle erlittener Menschenrechtsverletzungen nicht garantieren, so wie es der dritte Pfeiler der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorsieht. Dort heisst es, die «Staaten sollten als Teil eines umfassenden, staatlich getragenen Systems der Abhilfe bei mit Unternehmen zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen neben gerichtlichen Mechanismen wirksame und geeignete aussergerichtliche Beschwerdemechanismen bereitstellen» (UNGP, 27).
Diese Komplementarität streicht auch die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats [CM/Rec(2016)3] heraus, die in ihrem Kapitel über die zivile Verantwortung bei Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen verlangt, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Mittel ergreifen müssen, um sicherzustellen, dass Verletzungen von Menschenrechten durch Unternehmen zivilrechtlich verfolgt werden können (§32).
Es schlägt vor, Zivilklagen gegen Tochterfirmen von Unternehmen zuzulassen, die ihren Sitz innerhalb der Gerichtsbarkeit des Mitgliedstaates haben, auch wenn diese Töchter ihr Geschäft in Drittstaaten betreiben (§ 35).

In der Schweiz nur eine freiwillige Mediation

Der Mechanismus bei «möglichen Verstössen», wie ihn der Schweizer NKP vorsieht, beschränkt sich auf einen freiwilligen Mediationsprozess. Für den Fall, dass die OECD-Leitsätze verletzt werden, sieht er keine Sanktionsmöglichkeit vor, die eine wirksame Einklagbarkeit von Vergehen vor Gericht ersetzen würde. Nur dies böte die Möglichkeit, Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen festzustellen und diese zu einer echten Wiedergutmachung zu verpflichten.
Die Annahme der Konzernverantwortungs-Initiative würde hier Remedur schaffen.
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Siehe Infosperber vom 29. Juli und 30. September 2017:
Markus Mugglin: «Der Nationale Kontaktpunkt im Seco schlichtet Streit zwischen NGOs und Unternehmen. Es gibt einiges zu verbessern, findet die OECD»
Rudolf Strahm: «Konzerne fordern im Ausland Investitionsschutz und Gewinngarantien. Doch zu fairem Verhalten wollen sie sich nicht verpflichten.»
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FUSSNOTEN

[1] 2015 hat OECD-Watch eine detaillierte vergleichende Analyse zum Funktionieren, zu den Mängeln und Schwächen der verschiedenen NKP vorgelegt. Die Untersuchung von 250 zwischen 2001 und 2015 eingebrachten Klagen hat gezeigt, dass nur in einem (einem !) Prozent der Fälle die Bedingungen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen direkt verbessert wurden und keine einzige Klage zu einer Wiedergutmachung für die erlittenen Schäden geführt hat. Siehe Remedy Remains Rare: An analysis of 15 years of NCP cases and their contribution to improve access to remedy for victims of corporate misconduct (OECD Watch, 2015).

[2] Während des Mediationsprozesses bleiben die Aktivitäten des NKP vertraulich. Die involvierten Parteien dürfen keine Information öffentlich machen (NKP Verfahrensanleitung, Punkt 3.5.). In Norwegen dagegen sind alle Informationen zu laufenden Prozessen zugänglich, so wie es der Norwegian Freedom of Information Act vorsieht.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Laurent Matile ist bei «Alliance Sud» für Unternehmen und Menschenrechte zuständig und ist Mitglied der «Kommission zur Beratung des Nationalen Kontaktpunktes für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen». «Alliance Sud» unterstützt die Konzernverantwortungs-Initiative.

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3 Meinungen

  • am 28.10.2017 um 12:00 Uhr
    Permalink

    Warum wird nicht über die rechtswidrigen Zustände in der Schweiz berichtet. Im Tessin, wo Korruption Alltag ist?

  • am 28.10.2017 um 12:24 Uhr
    Permalink

    Da scheint sich ein unfreiwilliger Fehler im Titel eingeschlichen zu haben. Richtig sollte es wohl heissen: «Nur unfreiwillig…"

  • am 28.10.2017 um 12:30 Uhr
    Permalink

    Nein, freiwillig reden sie – allerdings selten genug – darüber. Aber sie sind nicht dazu verpflichtet. Manchmal sagen sie eventuell auch etwas unfreiwillig, das heisst aus Versehen.

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