Kanada_Antispam_Front-1

Unser Schweizer Parlament wagt es nicht, das Marketing anders zu regulieren © cc

Schluss mit Krankenkassen-Anrufen und E-Mail-Spam!

Urs P. Gasche /  Kanada schränkt ärgerliche Spam-E-Mails und belästigende Anrufe stark ein. Warum tun die Mehrheitsparteien SVP, FDP und CVP nichts?

Eine Mehrheit unserer Parlamentarierinnen und Parlamentarier sollte für einmal weniger an ihre lukrativen ausserparlamentarischen Mandate denken, sondern sich um ihre Wählerinnen und Wähler kümmern, die fast täglich mit ungefragten E-Mails und Telefonanrufen belästigt werden. Mit Spamfiltern können sie sich nur ungenügend vor der Flut von E-Mails schützen. Den Marketing-Telefonen von Krankenkassen-Vermittlern und andern Verkäufern sind sie weitgehend ausgeliefert. Die Swisscom verkauft Call-Centern sogar normale Telefonnummern, damit die Angerufenen auf ihren Displays keinen Verdacht schöpfen.

  • Am Telefon verweigern die Krankenkassen-Vermittler, die Fragen zu beantworten, welche Kasse die Auftraggeberin ist und wie man den Agenten oder die Kasse telefonisch oder schriftlich erreichen kann. In Kanada sind solche Telefonanrufe gesetzwidrig.
  • Die ungefragten, massenweise versandten E-Mails haben meistens einen Absender «no-reply». Den Absender kann man selten mit einem einzigen Klick auffordern, in Zukunft keine weiteren E-Mails zuzustellen. In Kanada sind solche E-Mails gesetzwidrig.

Seit 2014 kennt Kanada ein Gesetz gegen elektronischen Spam und ein anderes Gesetz, welches das Telefonmarketing regelt. Mit ein paar Klicks könnten unsere Parlamentarier diese Gesetze herunterladen, studieren und sie den Schweizer Verhältnissen anpassen (nicht verwässern).
1. Das Anti-Spam-Gesetz in Kanada

Seit 2014 ist in Kanada das wohl weltweit strengste Anti-Spam-Gesetz CASL in Kraft («Canadian Anti-Spam Legislation»).
Dem Gesetz unterworfen sind alle kommerziellen elektronischen Mitteilungen per E-Mail, SMS, Instant Messaging oder Sofortmitteilungen. Als «kommerziell» gilt auch, wenn eine Mitteilung einen finanziellen Vorteil oder Gewinn nur versprechen oder suggerieren.
Alle solchen kommerziellen Mitteilungen dürfen nur verschickt werden, wenn (hier nur das Wichtigste, ohne Details)

  1. die Empfängerin oder der Empfänger ausdrücklich zugestimmt hat («Opt-in»-Verfahren). Die Zustimmung muss vorhanden sein oder eingeholt werden, bevor die Mitteilung abgeschickt wurde. Die Beweislast der Zustimmung liegt beim Absender der Mitteilung;
  2. der Absender oder die Betreffzeile der Mitteilung weder falsch noch irreführend sind;
  3. die Mitteilung eine Postadresse des Absenders enthält. Handelt der Absender im Auftrag eines Dritten, muss er den Namen dieses Dritten angeben. Der Absender muss sofort kontaktierbar sein.
  4. sie beim Empfänger nicht direkt ein Programm installiert oder den Empfänger zum Installieren eines Programms verleitet. Es dürfen im Computer der Empfänger stillschweigend weder Voreinstellungen noch Präferenzen verändert werden;
  5. die Mitteilung eine Möglichkeit enthält, damit der Empfänger die Zustimmung auf einfachste Art widerrufen kann;

Stillschweigende, implizite Zustimmung
Als «ausdrückliche Zustimmung» gelten auch «bestehende Geschäftsbeziehungen». Wer also in einem Internet-Shop eingekauft hat, muss ohne «Opt-out» damit rechnen, dass er oder sie von diesem Shop – aber nur von diesem – Marketing-Mitteilungen erhält. Als implizite Zustimmung gelten auch Spenden und Zahlungen an Hilfswerke, NGOs, private Clubs und politische Parteien, KandidatInnen und Organisationen.
Nach zwei Jahren ohne Kontaktaufnahme des Empfängers gelten die Geschäftsbeziehungen als erloschen.

Dieses Gesetz verbietet es, auf Webseiten, in Blogs oder sozialen Netzwerken private Adresse zu «fischen», um diese für das Marketing zu verwenden.
Eine Mitteilung gilt als gesendet, auch wenn sie den gewünschten Empfänger nicht erreicht.
Die internationale Münchner Anwalts-Kanzlei «Jacob Associates» warnte ihre Kunden: «Wenn Ihr Unternehmen Geschäfte in Kanada tätigt und Sie mit Ihren Kunden und Lieferanten mittels elektronischer Mitteilungen kommunizieren, müssen Sie das neue kanadische Anti-Spam-Gesetz beachten. Dieses Gesetz sieht erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der elektronischen Kommunikation vor.»
Gegen Spam aus aller Welt greift das CASL nicht. Die illegalen Mitteilungen müssen einen Computer oder ein Computer-System verwenden, die in Kanada lokalisiert sind. Nur wenn auf kanadischen Computern ungefragt Programme installiert werden, haften Absender im Ausland, auch wenn sie keine Computer in Kanada verwenden.
Mit einzelnen Staaten hat Kanada in Verträgen vereinbart, dass auch Absender in diesen Partnerländern verfolgt werden können. Die Schweiz ist nicht dabei.

Empfindliche Bussen

Die gesetzlichen Vorgaben können auch bei Verwendung von Computern in Kanada nur durchgesetzt werden, weil hohe Bussen oder Strafen drohen. Das CASL sieht für private Absender eine Höchstbusse von einer Million kanadischer Dollar vor (770’000 CHF), für geschäftliche Absender eine solche von 10 Millionen (7,7 Millionen CHF). Im Jahr 2015 haben die Behörden erstmals ein Bussgeld von über einer Million kanadische Dollar verhängt.
Im Juni dieses Jahres hat Kanadas Regierung einige Gesetzes-Artikel, die am 1. Juli 2017 in Kraft treten sollten, suspendiert, nachdem namentlich Hilfswerke, NGOs und auch KMUs Änderungen verlangten. Das Parlament muss darüber befinden. Es geht unter anderem um das Bestätigungsmail, das User zurücksenden müssen, nachdem sie sich auf eine «Opt-in»-Liste gesetzt haben. Dieses soll nicht mehr nötig sein, weil viele User es unterlassen, diese Bestätigung abzusenden.

2. Verordnung gegen kalte Telefonanrufe

Leichtes Eintragen auf nationale Telefon-Sperrliste (grosses Format hier)

Die kanadische Telekommunikationsbehörde hat eine Verordnung zum Telefon-Marketing erlassen, die zuletzt am 31. März 2014 geändert wurde (Telephone Consumer Protection Act TCPA).
Die Verordnung macht es Einwohnern in Kanada leicht, unerwünschte Marketing-Telefone wie solche von Krankenkassen-Agenten los zu werden: Man kann seine privaten Handy- oder Festnetznummern in der «National Do Not Call»-Liste DNCL eintragen (vgl. Bild oben). Call-Centers und andere Telefonmarketing-Unternehmen sind verpflichtet, die DNCL-Liste zu respektieren und müssen diese gegen eine Gebühr erwerben.

Strikte Regeln für Marketing- und Verkaufsanrufe
Aber auch für die Anrufe selbst gelten strikte Regeln, von denen Schweizerinnen und Schweizer nur träumen können. Hier das Wichtigste aus den detaillierten Vorgaben:

  1. Spätestens zwei Sekunden nach Annahme des Telefonanrufs muss eine Person live antworten.
  2. Der oder die Anrufende muss spontan gleich am Anfang des Gesprächs den Namen der Telefonmarketing-Firma angeben sowie, falls unterschiedlich, auch den Namen des Auftraggebers (z.B. den Namen der Krankenkasse).
  3. Auf Frage des Telefonempfängers muss der Anrufende erstens eine Nummer bekanntgeben, über die ein Angestellter oder eine Angestellte der Telefonmarketing-Firma sowie – falls unterschiedlich – des Auftraggebers erreicht werden kann, und zweitens einen Namen und die elektronische Adresse einer Angestellten oder eines Angestellten der Telefonmarketing-Firma sowie – falls unterschiedlich – des Auftraggebers. Anrufe auf diese Telefonnummern müssen im Lokaltarif oder gratis möglich sein.

Ausgenommen sind Anrufe von Hilfswerken, NGOs, politischen Parteien, Institute der Meinungsforschung sowie von Zeitungen mit grösserer Auflage zur Abonnementswerbung.

Bussen und Namen der Gebüssten veröffentlicht
Die kanadische Telekommunikations-Kommission kann jede einzelne Verletzung der Verordnung mit einer Busse von bis zu 1500 kanadischen Dollar für Private (1’160 CHF) und bis zu 15’000 Dollar für Firmen (11’600 CHF) sanktionieren.
Was abschreckend wirkt, doch in der Schweiz bei administrativen Bussen von Unternehmen fast immer ausbleibt: Die kanadische Behörde veröffentlicht alle Bussenentscheide im Detail und mit Namen im Internet.

In der Schweiz nur zahnloses UWG

Trotz jahrelangem Ärger in weiten Teilen der Bevölkerung haben es die Parlamentarier in Bern nicht geschafft, Spam-E-Mails und kalte Telefonanrufe ähnlich zu regeln wie in Kanada. Sie geben der «Gewerbefreiheit» Vorrang.

Lediglich das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb UWG stipuliert seit 2007 in Artikel 3:
«Unlauter handelt insbesondere, wer:
Massenwerbung ohne direkten Zusammenhang mit einem angeforderten Inhalt fernmeldetechnisch sendet oder solche Sendungen veranlasst und es dabei unterlässt, vorher die Einwilligung der Kunden einzuholen, den korrekten Absender anzugeben oder auf eine problemlose und kostenlose Ablehnungsmöglichkeit hinzuweisen; wer beim Verkauf von Waren, Werken oder Leistungen Kontaktinformationen von Kunden erhält und dabei auf die Ablehnungsmöglichkeit hinweist, handelt nicht unlauter, wenn er diesen Kunden ohne deren Einwilligung Massenwerbung für eigene ähnliche Waren, Werke oder Leistungen sendet.»

Bereits bei der Einführung dieses UWG-Artikels kommentierte zum Beispiel Swissinfo: «Mit der neuen Gesetzgebung wird die Spam-Flut wohl kaum gestoppt werden können.»
SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder formuliert ein Problem heute so: «Macht die SKS eine Beschwerde, können die Staatsanwaltschaften in sehr vielen Fällen nicht ermitteln, wer der Absender ist. Diese können von irgendwo auf der Erdkugel die Belästigung (Spam, Werbeanrufe) absenden.»
Zudem erfasse das UWG nur telefonische Marketing-Anfragen, wenn es sich um «Massenwerbung» handelt, die mit einem Dialer automatisiert arbeiten. Anrufe von Agenten der Krankenkassen gehören beispielsweise in der Regel nicht dazu. Sara Stalder macht sich wenig Illusionen über eine parlamentarische Gesetzgebung à la Kanada, sondern hofft auf die technologische Entwicklung wirksamer Filter, welche kalte Werbeanrufe blockieren.
—————————————
Eine kürzere Version dieses Artikels erschien im Beobachter.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Tasche_Hintergrund

Konsumentenschutz

Einseitige Vertragsklauseln. Täuschungen. Umweltschädlich. Hungerlöhne. Erschwerte Klagemöglichkeiten.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

5 Meinungen

  • am 31.12.2017 um 13:01 Uhr
    Permalink

    Eine Einheitskrankenkasse würde die Geldverschwendung für die Kosten der ständigen Kassenwechsel und das Problem der lästigen Telefonanrufe von Provisionsjägern lösen. Martin A. Liechti, Maur

  • am 31.12.2017 um 17:11 Uhr
    Permalink

    Da bin ich auch ihrer Meinung. Dazu kommt, dass die Spamwellen dafür gesorgt haben, dass viele Email nicht mehr nutzen, und auf unzählige verschiedene Kommunikationswege ausweichen wie Skype und Wats App. Will man seinem Hausarzt mal schnell eine Email senden, landet diese oft im Spam Ordner, weil die eigene Emailadresse schon zu oft als falscher Absender von Drittpersonen für Spam verwendet wurde. Betreut ein Hausarzt 300 Patienten/innen, ist es nicht mehr möglich, den Spamfilter aktuell zu halten. Der Aufwand wäre zu gross und die Krankenkassen zahlen nichts dafür. Eine meiner Emailadressen (Soziales Projekt) wurde missbräuchlich zum versenden von Pornographie verwendet, ausgehend vom Ausland. Eine Anzeige brachte mir eine Rechnung von Fr.- 4000.- ins Haus, als Vorkasse für Fahndungs und Gerichtskosten. Sitzt der Täter im Ausland, wollen die Behörden ein Sicherheitsdepot. Ohne Erfolgsgarantie. Melanie Schweiz, unser nationaler Schutz vor dem Ausland, könnte solche Spamserver mit DNS oder anderen Mitteln blockieren um uns zu schützen. In Japan kann man für 100 Usd 10’000 Emails mit einem Absender einer anderen Person versenden, es ist dort noch legal. So langsam bekomme ich Zweifel an der Kompetenz unserer staatlichen Informatiker, wenn diese sagen, die Täter wären nicht ermittelbar. Jeder kann ermittelt werden, es ist nur die Frage des Aufwandes. Auch kann jeder Server vom Ausland kommend blockiert werden. Seit 2 Wochen kommen Callcenter Telefone nun von Frankreich aus.

  • am 31.12.2017 um 22:14 Uhr
    Permalink

    Klingelt mein Telefon u. auf dem Display erscheint eine mir unbekannte Nr., so nehme ich den Anruf gar nicht mehr an. Nach kurzer Zeit springt mein Beantworter an u. das Klingeln hört auf. Handelt es sich um einen seriösen Anruf, so kann sich der Anrufer zu erkennen geben u. ich kann entweder direkt annehmen oder später zurückrufen. Meist geben die Callcenter, auch die hartnäckigsten, irgendwann mal die Belästigung auf u. Ruhe kehrt ein. Leider geht sowas bei Spam-Mails nicht, und es geht auch nicht an die Wurzel des Übels. Aber es bitzeli hilft’s scho……

  • am 1.01.2018 um 22:39 Uhr
    Permalink

    Ich finde den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen schon gut, was zu höherer Servicequalität spricht. Was die Werbeanrufe für Krankenkassen-Wechsel angeht, einfach ignorieren und melden. Der Druck sollte sicher auch an die Telekommunikation-Anbieter gerichtet sein, welche Schweizer Nummern an ausländische Callcenter ohne genügend Vorsicht rausgibt.
    Wenn ihr selbst etwas dagegen unternehmen möchtet, dann nutzt einfach eine andere Alternative und macht euren Krankenkassenvergleich über Online-Plattformen. Ich nutze selbst seit über zwei Jahren den Krankenkassenvergleich auf http://www.krankenkassenversicherung.ch für den Krankenkassen Wechsel. Für Familien ist auch http://www.rudii.ch sehr empfehlenswert mit positiven Bewertungen. Da geht es zudem nicht nur um Krankenkassen, sondern gleich viele andere Tipps zum Einsparen.

  • am 1.01.2018 um 22:42 Uhr
    Permalink

    Ich finde den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen schon gut, was zu höherer Servicequalität spricht. Was die Werbeanrufe für Krankenkassen-Wechsel angeht, einfach ignorieren und melden. Der Druck sollte sicher auch an die Telekommunikation-Anbieter gerichtet sein, welche Schweizer Nummern an ausländische Callcenter ohne genügend Vorsicht rausgibt.
    Wenn ihr selbst etwas dagegen unternehmen möchtet, dann nutzt einfach eine andere Alternative und macht euren Krankenkassenvergleich über Online-Plattformen. Ich nutze selbst seit über zwei Jahren den Krankenkassenvergleich auf <a href="www.krankenkassenversicherung.ch">Krankenkassenversicherung.ch</a> für den Krankenkassen Wechsel. Für Familien ist auch href="www.rudii.ch">Rudii.ch</a> sehr empfehlenswert mit positiven Bewertungen. Da geht es zudem nicht nur um Krankenkassen, sondern gleich viele andere Tipps zum Einsparen.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...