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Das geplante AKW «Hinkley Point C» an der britischen Kanalküste soll ab 2023 Strom liefern © bbc

Dutzende Milliarden Steuergelder für neues AKW

Urs P. Gasche /  Österreich verklagt die EU-Kommission. Diese bewilligte Milliarden-Subventionen für ein Atomkraftwerk. Schweigen in der Schweiz.

Atomlobbyisten ärgern sich über die Subventionierung von Solarstrom, doch für AKWs öffnen sie für Steuergelder alle Schleusen. Den Betreibern des geplanten französischen AKW vom Typ EPR in England mit zwei Druckwasser-Blöcken und einer Gesamtleistung von 3300 Megawatt

  • garantiert Grossbritannien einen festen Abnahmepreis von umgerechnet etwa 15 Rappen pro Kilowattstunde.
  • Und dies während 35 Jahren und unter ständiger Anpassung an die Teuerung.

Die Preisgarantie soll den privaten Investoren zehn Prozent Gewinn garantieren. Im Auftrag von Greenpeace hat das Institut «Energy Brainpool» allein diese staatlich garantierten Vergütungszahlungen auf nominal rund 108 Milliarden Euro und real (unter Berücksichtigung der Teuerung) auf 54 Milliarden Euro geschätzt*. Die EU-Kommission sprach von einer Grössenordnung von 30 Milliarden Euro.
Im letzten Oktober hatte die EU-Kommission diese und weitere Subventionen mit knapper Mehrheit gebilligt. «Milliardengeschenk an die Atomlobby» titelte Spiegel online.
Gegen die Bewilligung dieser marktverzerrenden Subventionierung hat Österreich am 13. Juli 2015 fristgerecht eine Klage gegen die EU-Kommission beim EU-Gerichtshof EuGH eingereicht. «Dass ein Mitgliedstaat eine Entscheidung der Kommission bekämpft, durch die einem anderen Mitgliedstaat Subventionen gewährt werden, ist eine Rarität und sorgte bei der britischen Regierung für gröbere Verstimmung», schreibt «Die Presse» in Wien.
Die Mehrheit der Medien in der Schweiz hat darüber nicht informiert.

«Übertrifft alle Subventionen für die Förderung von Ökostrom»
«Wir begrüssen es, dass Österreich als klagender Staat vorangeht», sagt Greenpeace-Energy-Vorstand Sönke Tangermann auf der Online-Plattform Sonnenseite.com. «Wir können nicht hinnehmen, dass milliardenschwere Atombeihilfen in Grossbritannien auch den Strommarkt in Deutschland beeinflussen und sogar den Ausbau erneuerbarer Energien spürbar behindern können.» Dies sei vor allem der Fall, erklärt Tangermann, wenn die grenzüberschreitenden Stromleitungen in der EU wie geplant massiv ausgebaut werden und zudem andere europäische Länder das britische Subventionsmodell übernähmen, um eigene AKW-Projekte zu realisieren.
«Ausgerechnet die gefährliche und überholte Atomtechnik soll ein Subventionspaket erhalten, das jegliche Ökostrom-Förderung weit übertrifft», kritisiert Tangermann. Allein der Bau von «Hinkley Point C» soll mit staatlichen Kreditgarantien in Höhe von umgerechnet über 20 Milliarden Euro abgesichert werden. Zudem will Grossbritannien dem AKW-Betreiber Électricité de France (EdF) für 35 Jahre eine Garantievergütung für den produzierten Atomstrom zahlen. Diese Vergütung liege weit über dem Marktpreis, und soll jährlich an die Inflation angepasst werden.
Zusätzlich kämen noch weitere Kosten für den Steuerzahler dazu, weil die Betreiber nicht für alle Kosten der Endlagerung von Atommüll, des späteren Rückbaus der Anlage sowie möglicher Störfälle aufkommen würden.

Planwirtschaft statt Wettbewerb
«Als Unternehmer und Anhänger der freien Marktwirtschaft wundert es mich, dass die Atomenergie in der laufenden Energiedebatte so energisch verteidigt wird», erklärte ETH-Professor Anton Gunzinger, von dem kürzlich das Buch «Kraftwerk Schweiz – Plädoyer für eine Energiewende mit Zukunft» erschienen ist. Kernkraftwerke seien «Planwirtschaft pur»: Vor dreissig Jahren habe der Atomstrom noch zwei Rappen pro Kilowattstunde (kWh) gekostet. Der Kernreaktor Hinkley Point C solle Strom für ungefähr 15 Rp./kWh produzieren. Die Kernenergie werde jährlich vier Prozent teurer. Investitionen in neue AKWs seien «unternehmerisch gesehen bedenklich – ganz abgesehen von den Sicherheitsaspekten und dem ungelösten Endlagerproblem».
Die gegenteilige Entwicklung sei bei den erneuerbaren Energien zu beobachten: Vor zehn Jahren habe eine Kilowattstunde Solarenergie in Deutschland 60 Cents gekostet, heute nur noch 6 Cents (ohne Subventionen gerechnet). Sicherheitsbedenken gebe es bei der Solarenergie keine.
Bundesrätin Doris Leuthard verteidigte ihre Politik der Energiewende im «Tages-Anzeiger» vom 5. März 2015 mit einem Hinweis auf das AKW Hinkley Point: «Die Kosten für den Bau neuer nuklearer Anlagen sind enorm gestiegen. Deren Betreiber sind inzwischen auf staatliche Bürgschaften für Kredite und auf garantierte Abnahmepreise angewiesen. Das zeigt das Beispiel Hinkley Point in Grossbritannien. Dazu kommen die Kosten für Stilllegung und Entsorgung alter Kernkraftwerke und die schwierige Suche nach einem Standort für die Lagerung radioaktiver Abfälle

Grossbritannien wolle sich an Österreich rächen

Unter dem Titel «Stunde der Wahrheit für Atomindustrie» hat in der Schweiz fast nur die «Aargauer Zeitung» am 24. Juni 2015 über die Klage Österreichs gegen die EU-Kommission berichtet. «Österreich versteht sich als der David, der sich mit dem Atom-Goliath anlegt» schrieb Wien-Korrespondent Manfred Maurer. Der Goliath heisse in diesem Fall ebenfalls David (David Cameron) und dürfte den Österreichern schon «ziemlich deutlich zu verstehen gegeben haben, dass er sich nicht in die Suppe spucken zu lassen gedenkt». In einer Depesche der österreichischen Botschaft in London, die der Presse zugespielt worden sei, heisse es: «Grossbritannien wird in Zukunft jede Gelegenheit wahrnehmen, Österreich in Bereichen anzuklagen oder zu schaden, die starke innenpolitische Auswirkungen haben.»

Auch Frankreich sei über Österreichs Klage sauer, denn «Hinkley Point C» sei als erster Bau eines Atomkraftwerks seit dem Unfall in Fukushima vor mehr als vier Jahren für die französische Atomwirtschaft von grossem Interesse. Der staatliche Areva-Konzern, weltweit grösster Hersteller von Atomkraftwerken, brauche das AKW am Ärmelkanal als Referenzprojekt für den neuen Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). An Hinkley Point würden viele Hoffnungen der französischen Atomindustrie hängen.

Und jetzt kämen diese Österreicher und glaubten, ihr Anti-Atom-Credo ganz Europa überstülpen zu können. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) messe der Klage eine «symbolische Bedeutung» bei. Österreich signalisiere damit den Ländern, die aus der Atomkraft aussteigen, Unterstützung zu.
Pfusch der EdF beim Bau des ersten Druckwasserreaktors EPR
Niemand wird eine Wette abschliessen, dass die Kosten für die beiden Druckwasserreaktoren vom Typ EPR von «Hinkley Point C», die mit 31 Milliarden Euro veranschlagt werden, eingehalten werden können.
Das erste AKW vom Typ EPR ist in Flamanville an der französischen Kanalküste seit 2007 im Bau. Er sollte nach fünf Jahren Bauzeit im Jahr 2012 in Betrieb gehen. Doch jetzt redet die französische Atomholding Areva vom Jahr 2018. Wenn überhaupt.

Denn kürzlich löste die zuständige Sicherheitsbehörde Alarm aus wegen Konstruktionsfehlern am Reaktorkessel dieses mit 1650 Megawatt bisher leistungsstärksten Kernkraftwerks der Welt.

Beim Reaktordruckbehälter hat man in Bereichen des Deckels und des Bodens Fehler in der Zusammensetzung des Stahls entdeckt. Diese Mängel sind gravierend: Der Druckbehälter könnte den Extrembedingungen eines laufenden Atomkraftwerks (Temperatur, Druck, Radioaktivität…) nicht mehr standhalten. Siehe den ausführlichen Bericht vom 16. Juni 2015 auf Infosperber: «Franzosen pfuschen beim Bau des neuen Super-AKW».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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