Kopftuch

Die Privatwirtschaft darf niemanden wegen eines Kopftuchs diskriminieren © Violett79/Flickr/CC

Verurteilt: Den Zahnarzt störte das Kopftuch

Red. /  Er wollte die junge Zahnarztassistentin, aber nur ohne Kopftuch. Jetzt muss er ihr wegen Diskriminierung 1'500 Euro zahlen.

(Red.) Das Urteil des Berliner Arbeitsgerichts habe «Signalwirkung», erklärt Bernhard Franke von der deutschen Antidiskriminierungsstelle. In der Privatwirtschaft dürfe niemand wegen eines Kopftuchs einen Nachteil erleiden. Folgendes Interview mit Franke hat die Legal Tribune heute veröffentlicht (hier leicht gekürzt).

Frage: Vor dem Arbeitsgericht Berlin erstritt eine junge Frau eine Entschädigung, weil ein Zahnarzt ihre Bewerbung ablehnte, nachdem sie sich geweigert hatte, ihr Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Wieso ist es so wichtig, zwischen privaten und öffentlichen Arbeitgebern zu differenzieren?
Franke: Die Rechtsprechung zu Arbeitsverhältnissen ist im öffentlichen Bereich etwas anders als in der Privatwirtschaft. Ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen oder Kindergärtnerinnen ist danach gerechtfertigt, weil dies der staatlichen Neutralitätspflicht entspricht.
Bei privaten Arbeitgebern war das immer schon anders. Das Bundesarbeitsgericht hat beispielsweise 2002 entschieden, dass die Kündigung einer Arbeitnehmerin wegen des Tragens eines Kopftuchs unwirksam ist. Schon 1996 gab das Arbeitsgericht Hamburg einem Sikh Recht, der einen Turban tragen wollte anstelle einer Papiermütze der Imbisskette, für die er arbeitete.
Also doch nicht das erste Urteil zu religiös bedingter Kleidung?
Nicht ganz, das stimmt. Das Thema beschäftigt die Rechtsprechung schon länger. Aber es ist doch das erste Urteil nach dem Inkrafttreten des deutschen Antidiskriminierungsgesetzes (AGG).

Wieso hat es so lange gedauert, bis einer Kopftuch tragenden Muslima gerichtlich eine Entschädigung zugesprochen wurde?
Es könnte an Unkenntnis über die Ansprüche aus dem Antidiskriminierungsgesetz liegen. Aber auch an Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung darüber, ob die Ablehnung wegen eines Kopftuchs eine verbotene Diskriminierung ist, da die Rechtsprechung die Kopftuchverbote für Lehrerinnen ja billigt.
Dazu kommen die kurzen Fristen, innerhalb derer Ansprüche geltend gemacht werden müssen, und nicht zuletzt Beweisprobleme. Eine Klägerin muss Indizien dafür vorbringen, dass ihr Kopftuch der Grund für die Ablehnung ihrer Bewerbung war.

Könnte das Urteil Arbeitgeber dafür sensibilisieren, eine Diskriminierung in Zukunft einfach besser zu verdecken?
Das denke ich nicht. Das Urteil zeigt deutlich, dass Diskriminierung ein erhebliches Prozessrisiko für Arbeitgeber mit sich bringen kann, da letztlich die Arbeitsgerichte entscheiden, was als Indiz für eine Diskriminierung zu werten ist. Insoweit könnte es auch eine abschreckende Wirkung entfalten.

Hätte es vorliegend überhaupt rechtliche Ansatzpunkte gegeben, den Fall anders zu beurteilen
Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber natürlich auf Sicherheit und Hygiene verweisen. Der Zahnarzt konnte sich allerdings nicht mit Erfolg auf diese Gründe berufen. Das sind absolute Ausnahmen, die nur in sehr wenigen Fällen überhaupt denkbar sind. Etwa dort, wo es auf Sterilität und Keimfreiheit ankommt. Oder wenn jemand mit Maschinen umgehen muss und das Tragen eines Kopftuches dabei zu Verletzungen führen kann.
Es wurde argumentiert, dass der Islam per se nicht zwingend das Tragen eines Kopftuches gebiete, der Zahnarzt die Frau also nicht aus religiösen Gründen abgelehnt habe. Was halten Sie davon?
Es kommt nicht darauf an, ob es innerhalb des Islams Auffassungen gibt, die das Tragen eines Kopftuchs nicht vorschreiben. Entscheidend ist, dass das Kopftuch für die Trägerin Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses ist und dass sich die Betroffene deshalb benachteiligt fühlt. Die Religionsfreiheit stellt es im Übrigen frei, wie man von den Pflichten, die eine Religion vorschreibt, Gebrauch macht.

Das Gericht hat der Klägerin fast 1’500 Euro zugesprochen. Halten Sie das für angemessen?
Die Summe bewegt sich innerhalb der Grenze der drei Monatsgehälter, die das Antidiskriminierungsgesetz vorsieht. Bislang haben die Gerichte in der Regel Entschädigungssummen von ein bis zwei Monatsgehältern zugesprochen. Eine andere Frage ist, ob diese Höhe wirklich eine abschreckende Wirkung hat; denn dies fordern die EU-Richtlinien.
Und diese abschreckende Wirkung sehen Sie im Fall des Zahnarztes nicht?
Durchaus. Das Urteil ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Diskriminierungsverbots wegen der Religion.
Von wie vielen Fällen sprechen wir denn? Beklagen bei Ihrer Stelle viele muslimische Frauen, dass sie wegen ihres Kopftuchs diskriminiert werden?
Wir haben seit 2006 ungefähr 430 Anfragen zum Merkmal Religion, davon sind immerhin 120 von Frauen, die sich auf das Tragen eines Kopftuchs beziehen, also etwa ein Viertel. Insgesamt machen Beschwerden, die die Religion betreffen etwa fünf Prozent aus. – In der Schweiz ist uns kein Urteil bekannt, das sich auf eine Kopftuchträgerin bezieht, die wegen Diskriminierung in der Privatwirtschaft geklagt hatte.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Bernhard Franke ist Jurist und Leiter des Referats Beratung und Grundsatzangelegenheiten bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Fragen stellten Claudia Kornmeier und Jens Kahrmann.

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