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António Guterres (Mitte) zwischen dem Türken Mustafa Akinci (l.) und Präsident Nicos Anastasiades © ekathimerini.com

Zypern, noch immer eine gespaltene Insel

Amalia van Gent /  Auch António Guterres hat es nicht geschafft: Die Friedensverhandlungen im Schweizer Ferienort Crans-Montana sind gescheitert.

Die jüngste Friedensinitiative der UNO für das geteilte Zypern ist gescheitert. Einmal mehr. Wenngleich alle beteiligten Parteien sich «ehrlich um eine Lösung des langanhaltenden Konflikts bemüht hätten, konnte keine Einigkeit erzielt werden», erklärte in den frühen Morgenstunden des 7. Juli UN-Generalsekretär Antonio Guterres der Presse. «Ich bedauere es sehr.» Der UN-Generalsekretär wirkte auf die anwesenden Journalisten in Crans-Montana ungewöhnlich müde. Die eiligst zusammengerufene Pressekonferenz dauerte auch nicht länger als dreieinhalb Minuten. Dabei war er zweimal zu den Verhandlungen in den Schweizer Alpen gereist, um durch seine persönliche Präsenz den Lauf der Gespräche positiv zu beeinflussen. Umsonst.

Das Platzen der Gespräche in Crans-Montana markiert vorläufig den dramatischen Höhepunkt eines beinah zweijährigen Prozesses, der immer wieder die berechtigte Hoffnung auf einen Durchburch aufkommen liess. Zum ersten Mal seit vielen Jahren sitzen auf beiden Seiten der seit 1974 geteilten Mittelmeerinsel nämlich zwei Männer am Ruder, die an einer Wiedervereinigung ihrer Heimal wirklich interessiert sind.

Das Interventionsrecht der «Mutterländer» teilt die Mittelmehr-Insel Zypern seit ihrer Unabhängigkeit (Encyclopedia Britannica).

Geburtsfehler seiner Unabhängigkeit

Die Friedensgespräche in Crans-Montana scheiterten, wie unzählige Initiativen schon zuvor, vor allem an einem grossen Geburtsfehler der Unabhängigkeit Zyperns. Zypern war jahrzehntelang Kronkolonie des britischen Imperiums, das diese Mittelmeerinsel so nah am Tor des Nahen Ostens vor allem als einen «unsinkbaren Flugzeugträger» schätzte. Im Jahr 1955 setzte, zunächst zögerlich in den engen Gassen der zyprischen Hauptstadt Nicosia, dann immer heftiger auf der ganzen Insel, der Kampf der Inselgriechen gegen ihre britischen Kolonialherren ein. Dieser artete unter dem Motto «Enosis» (Vereinigung) bald zu einem Kampf für eine Vereinigung Zyperns mit dem Mutterland Griechenland aus. Noch machten die Inselgriechen rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Inseltürken (um die 18 Prozent der Bevölkerung) blieben mit wenigen Ausnahmen dem Kampf fern. Eine Vereinigung mit Griechenland galt ihnen wie ein Albtraum, befürchteten sie doch eine Wiederholung der Ereignisse auf Kreta. Nachdem Kreta sich mit Griechenland vereinigt hatte, wurde die gesamte türkisch-stämmige Bevölkerung von der Insel vertrieben.

1959 verhandelten Grossbritannien, Griechenland und die Türkei – ausgerechnet im Zürcher Dolder-Hotel – die Modalitäten einer Unabhängigkeit für Zypern. Alle drei Länder berücksichtigten dabei vor allem ihre eigenen Interessen: Das Vereinigte Königreich legte sein ganzes Gewicht darauf, seine «souveränen, britischen Basen» auf der strategisch wichtigen Insel dauerhaft benützen zu können. Die Türkei und Griechenland beanspruchten als «Mutterländer» der Inseltürken beziehungsweise Inselgriechen, den Status der «Schutzmacht» und behielten sich vertraglich auch das Recht vor, auf der Mittelmeerinsel militärisch intervenieren zu können, sobald sie ihre eigenen Interessen oder die Interessen ihrer jeweiligen ethnischen Gruppierungen bedroht sahen.

Das Recht des jeweiligen «Mutterlandes» auf einseitige Intervention war der erste grosse Geburtsfehler der unabhängigen «Republik Zypern». Denn bei jeder Intervention vom aussen ging ein weiteres Stückchen von Zyperns Souveränität verloren. Im Sommer des verhängnisvollen Jahres 1974 suchte das damalige griechische Obristen-Regime mit einem Putsch Zyperns legitimen Staatspräsidenten Makarios zu stürzen. Makarios war in der Bewegung der Blockfreien führend und für Athen offensichtlich allzu unabhängig. Zudem wagte er in der heissesten Periode des Kalten Kriegs die Annäherung seiner Republik an die Sowjetunion. Den Putsch der griechischen Obristen gegen Makarios nahm die zweite «Schutzmacht» Türkei zum Anlass, um eine «Friedensoperation» zu starten. Türkische Truppen haben im August 1974 beinahe 40 Prozent der Mittelmeerinsel besetzt und damit einen Bevölkerungsaustausch erzwungen: Alle Inseltürken mussten in den Norden der Insel ziehen, alle Inselgriechen wurden aus dem Norden vertrieben. Die Mittelmeerinsel ist seither geteilt. Die Türkei unterhält im Inselnorden rund 35’000 Soldaten, das entspricht etwa einem türkischen Soldaten für drei Inseltürken.

Die Türkei würde nie auf ihr Interventionsrecht verzichten, hatte der türkische Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Ankara erklärt, bevor er für die einwöchigen Gespräche im schweizerischen Crans-Montana aufbrach. Sein Vorschlag kurz vor dem Abbruch der Gespräche überraschte deshalb seine Gesprächspartner: Die Türkei sei bereit, die türkischen Truppen auf ein Minimum von 650 Soldaten zu beschränken, hat er dem UN-Generalsekretär zugeflüstert. Wann der Abzug der türkischen Soldaten einsetzen sollte, liess der türkische Aussenminister allerdings offen. Und nicht nur das: Die Türkei sei gar bereit, 15 Jahre nach einer Lösung auf der Insel ihr Interventionsrecht neu zu bewerten.

Was nun?

Während Çavuşoğlu’s Vorschlag sich für türkische Ohren wie ein riesiger Kompromiss anhörte, stellte er für die Gesprächspartner der griechischen Seite nichts als unverbindliche Empfehlungen dar. Zypern ist seit dem 1. Mai 2004 Mitgliedstaat der Europäischen Union. Warum braucht ein EU-Staat im 21. Jahrhundert noch «Schutzmächte»? Grossbritannien und Griechenland haben bereits erklärt, darauf verzichten zu wollen. Die Türkei machte aber klar, für mindestens weitere 15 Jahre auf ihr Interventionsrecht nicht verzichten zu wollen. Sollte die Insel vereint werden, würde die Türkei also nicht nur das Leben im «türkischen Inselnorden», sondern in der gesamten Republik bestimmen können. Desillusioniert und verärgert lehnte die griechische Seite den türkischen Vorschlag ab. Die Friedensgespräche zu diesem langanhaltenden Konflikt waren einmal mehr geplatzt.

Seither schieben sich die Türkei und Griechenland gegenseitig die Schuld dafür zu. Im Gehabe einer Interventionsmacht liess Ankara Zyperns Führung vor einigen Tagen warnen, ohne klare Zustimmung der Türkei Bohrungen in den vermuteten Erdölfeldern im Süden der Mittelmeerinsel vorzunehmen. Türkische Kriegsschiffe kreuzen nun im Gebiet und heizen die gespannte Atmosphäre noch an. – Was nun?

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Zypern will trotz des Scheiterns die Hoffnung nicht aufgeben. Denn in Crans-Montana hat sich bei der zyprischen Führung ein Prozess vollzogen, der noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar schien. «Das Interventionsrecht der Türkei ist für uns kein Tabu mehr», sagte der Volksführer der Inseltürken, Mustafa Akinci. Damit signalisierte er den Inselgriechen zum ersten Mal nach 1974, dass die Inseltürken die Ängste und Bedenken der Inselgriechen verstehen können und wollen. Der Volksführer der Inselgriechen Nicos Anastasiadis seinerseits schloss ein Rotationssystem, bei dem einmal ein Inseltürke und dann wieder ein Inselgrieche Präsident einer vereinigten Republik wird, nicht mehr aus. Damit machte er allseits klar, dass die Inselgriechen die Inseltürken künftig als gleichwertige Partner respektieren wollten und nicht wie bis anhin als eine rechtlose Minderheit, die der Bevölkerungsmehrheit auf Gedeih und Verderb schutzlos ausgeliefert ist. Das Fehlen eines rechtlichen Rahmens, der der inseltürkischen Minderheit Schutz und Rechte garantieren könnte, war der zweite grosse Geburtsfehler der Unabhängigkeit Zyperns.

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