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Sie rennen für ein besseres Leben: Migranten aus Mittelamerika Richtung USA © casa-amnesty

Mit dem Todeszug in die USA

Christian Müller /  Präsident Donald Trump will die Grenze zu Mexiko mit einer Mauer hermetisch schliessen. Betroffen sind nicht nur Mexikaner.

cm: Donald Trump hat bereits in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko angeordnet. Das ist nicht nur eine verheerende Botschaft für viele Mexikaner, auch aus Süd- und Mittelamerika kommen viele Migranten nach Mexiko, um dort über die Grenze in die USA zu gelangen – ins Land ihrer Hoffnungen und Träume. Sie allerdings haben es doppelt schwierig, denn sie müssen zuerst durch Mexiko, eine extrem riskante Reise. Doch was tut man, wenn man nichts hat, auch keine Zukunft? – Die Organisation Casa-Amnesty.de hat dazu eine Wanderausstellung gestaltet, aus der wir hier einige Bilder mit den dazugehörigen Erklärungen wiedergeben.

Jedes Jahr begeben sich Tausende von Menschen ohne Ausweise und Aufenthaltspapiere auf eine höchst riskante Reise durch Mexiko. Sie tragen die Hoffnung auf ein neues Leben in den USA in sich und fliehen vor der zermürbenden Armut und Unsicherheit in ihren Heimatländern.

Die meisten nicht dokumentierten Migranten und Migrantinnen in Mexiko kommen aus Zentralamerika. Viele von ihnen reisen von Guatemala aus über die mexikanischen Grenzbundesstaaten Chiapas oder Tabasco ein. Diejenigen, die die US-Grenze erreichen, haben eine gefahrenvolle Reise hinter sich. Nur die Stärksten kommen durch – ein ständiger unmenschlicher Ausleseprozess. Auf ihrem Weg werden Tausende Opfer von Schlägen, Unfällen, Entführung, Vergewaltigung und sogar Mord. Ihr Leben und ihr Tod bleiben weitgehend verborgen, viele ihrer Schicksale werden nie erzählt.

Für die Mehrzahl an Straftaten gegenüber nicht dokumentierten Migranten sind kriminelle Gangs verantwortlich. Es gibt aber auch Hinweise, die beweisen, dass mexikanische Beamte auf verschiedenen Ebenen in diese Verbrechen verstrickt sind. Auf der anderen Seite leben viele Mexikaner entlang der Migrationsrouten und leisten humanitäre Hilfe gegenüber Menschen, die in Gefahr geraten sind. Ein Netzwerk von Herbergen, die von der katholischen Kirche betrieben werden, bietet Erschöpften und Verwundeten die Möglichkeit, sich für ein paar Tage von den Strapazen zu erholen.

Die Solidarität mit den Underdogs hat schon mehrfach Angriffe und Schikanen gegen jene provoziert, die Hilfe leisten. Menschenrechtsverletzungen an mexikanischen Migranten in den USA haben auch schon für Aufmerksamkeit gesorgt. Auf der anderen Seite aber hält sich die Empörung über die kritische Lage, der die Migranten und Migrantinnen in Mexiko ausgesetzt sind, in Grenzen. Doch die Stimmen der »Illegalen» in Mexiko werden lauter.

Naturereignisse und Katastrophen

Das Foto entstand zwei Tage nach der Katastrophe. Das Bild grösser zeigen. © Anne-Christine Hild.

Am 7. November 2009 suchte der Tropensturm Ida die Gemeinde Gallegos 2 in San Salvador heim. Die Armensiedlung im Flussbett des Acelhuate hat bei der zunehmenden Oberflächenversiegelung rund um den urbanen Raum (Bau von Einkaufszentren, Wohnblöcken etc.) jedes Jahr mit schweren Überschwemmungen zu kämpfen. In diesem Fall konnten die Bewohner zwar rechtzeitig evakuiert und Verluste von Menschenleben verhindert werden. Aber über 30 Häuser wurden von den Fluten weggerissen und über 100 stark beschädigt. Viele Familien haben durch die Schlammmassen ihr sämtliches Hab und Gut verloren, und nicht alle haben die Perspektive auf ein Wohnungsbauprojekt des Staates. Sie reihen sich ein in die Liste derer, welche nach den jährlichen Katastrophen auf der Strecke bleiben. In Apaneca im Department Ahuachapan existiert heute noch eine Notunterkunft mit Überlebenden des Tropensturms Stan 2005. Die fehlende Perspektive für einen Neuanfang im eigenen Land lässt deshalb jährlich Hunderte von Menschen in Richtung Norden ziehen, um dort ihr Glück – sprich: Arbeit und Einkommen – zu suchen.

Chipoxlac – ein vormals «verborgenes Dorf» in Guatemala


Das Bild grösser zeigen. © Hauke Lorenz Interview: Julio Florencio Meléndez Monterroso

Zuhause wird Q’anjob’al gesprochen. Nur in der Grundschule sprechen die 167 Schüler und Schülerinnen Spanisch. Bis vor wenigen Jahren gab es zwei Lehrer, heute sind es fünf. Der Staat steuert pro Jahr und Kind 200 Quetzales (18,50 Euro) bei. Für eine weiterführende Schule nach der sechsten Klasse müssen die Kinder weite Wege in andere Dörfer in Kauf nehmen. In den 1980er Jahren flüchteten viele Menschen während des Volkskrieges in sogenannte «verborgene» Dörfer in den Bergen, nach Mexiko oder in die USA. Die heute etwa 700 Dorfbewohner ernähren sich fast ausschliesslich von Mais, Bohnen und Früchten. Das Gebiet ist stark überbevölkert. Es bleibt nur wenig Anbaufläche für die Produktion und den Verkauf von Kaffee und Kardamom. Der Traum von einem besseren Leben ist das Hauptmotiv für die starke Abwanderung in die USA. 2007 waren nur noch acht Väter im Dorf. In jüngster Zeit kehren sie vermehrt zurück. Mit ihrem Geld treiben sie die Entwicklung voran. Seit 2009 führt ein befahrbarer Weg zum Dorf. Vorher musste man vier Stunden Fussmarsch zur nächsten Strasse zurücklegen.

Die erste Etappe

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International, Foto Ricardo Ramirez Arriola

Viele Wege führen nach Norden. Für Migranten und Migrantinnen, die von Guatemala aus über Chiapas einreisen, ist die Überquerung des Grenzflusses Suchiate eine erste entscheidende Etappe auf der langen Fahrt durch Mexiko. Tagelöhner, Waren und nicht dokumentierte Migranten reisen auf Flössen über den Río Suchiate nach Mexiko. Grenzkontrollen finden nur an den offiziellen Übergängen sowie im Inneren Mexikos statt.

Rennen für ein besseres Leben

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International; Foto: Ricardo Ramírez Arriola

Migranten und Migrantinnen bahnen sich beharrlich ihren Weg, um zu Mexikos Nordgrenze zu gelangen – zu Fuss, per Bus und – in den meisten Fällen – auf dem Dach der Güterzüge. Hier besteigen sie in Tierra Blanca im Bundesstaat Veracruz gerade «die Bestie», auch bekannt als «Todeszug». Wenn der Pfiff der Lokomotive ertönt, packen die Migranten ihre Rucksäcke und Wasserflaschen und rennen los. Die Züge haben keinen festen Fahrplan und die am Gleis wartenden Migranten springen oft auf anfahrende Züge auf. Viele von ihnen haben sich dabei verletzt, manche verunglücken tödlich. Raubüberfälle, Prügeleien, Plünderungen und Erpressungen zählen zu den Gefahren der Reise auf den Güterzügen.

El tren de la muerte – der Todeszug

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International; Foto: Ricardo Ramírez Arriola

Ein mit Migranten und Migrantinnen besetzter Güterzug passiert San Miguel im Bundesstaat Veracruz. Für ihr kostenfreies Verkehrsmittel Richtung Norden haben sie angst- und ehrfurchtsvolle Namen gefunden: «La bestia» (die Bestie), «El tren de la muerte» (der Todeszug) oder «El diablo de acero» (der Teufel aus Stahl).

Der Zug fährt ab ..

Das Bild grösser zeigen. © Hauke Lorenz

Der Trip auf den Güterzügen ist stets ein Wagnis und von Gefahren begleitet. Die Migranten sitzen auf den Dächern der Waggons, klammern sich an Vorsprünge und hängen an Leitern. Viele leiden unter Erschöpfung und Durst, wenn sie zehn Stunden oder mehr in glühender Hitze oder schneidender Kälte ausgeharrt haben. Unfälle gehören zum Alltag. Der kleinste Ausrutscher kann zum Verlust eines Beines, eines Armes oder zum Tod führen, wenn sie unter die Räder geraten.

Kontrollposten

Das Bild grösser zeigen. © Luz Kerkeling

Durchquert man Chiapas, den ersten Bundesstaat Mexikos, auf regulären Wegen, passiert man fünf Migrations-Kontrollposten (Casetas Migratorias). Daneben finden wie hier auch Militärkontrollen statt. Diese sollen Drogenschmuggel aufdecken. Immer wieder werden jedoch Menschen durch das mexikanische Militär verhaftet – und verschwinden.

Casa del Migrante

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International, Foto Ricardo Ramirez Arriola

Migranten beim Duschen und Wäschewaschen in einer Herberge in Tierra Blanca, Bundesstaat Veracruz. Migranten und Migrantinnen können nur zwei bis drei Tage in einer von Mexikos Herbergen bleiben, die von der Katholischen Kirche unterhalten werden. Sobald sie den eingebüssten Schlaf nachgeholt und ein paar warme Mahlzeiten gegessen haben, brechen sie auf zu ihrem nächsten Abschnitt der Reise in Richtung US-Grenze.

Angriffe und sexueller Missbrauch

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International; Foto: Ricardo Ramírez Arriola

Im Juni 2009 interviewte Amnesty International eine junge Frau im Bundesstaat Chiapas. Margarita beschrieb, wie ein Soldat sie zwang, sich auszuziehen, und wie er sie anschliessend vergewaltigte: «Du kannst Dir nicht vorstellen, dass alle deine Träume auf dieser Reise in einem einzigen Moment vorbei sein können… Er zog an meiner Hand und zwang mich mit ihm in die Büsche zu gehen, bis wir weit weg von den Schienen ganz allein waren. Dann befahl er mir, meine Kleidung abzulegen, damit er sehen könne, ob ich Drogen bei mir hätte. Er sagte, wenn ich tun würde, was er sage, dürfe ich gehen.»

Es sind zu wenige

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International; Foto: Ricardo Ramírez Arriola

Beauftragte der sogenannten Beta-Gruppe suchen im Bundesstaat Chiapas nach Migranten, die Hilfe brauchen. Die Beta-Gruppe ist eine Initiative der Regierung, die Migranten und Migrantinnen humanitäre Hilfe anbietet und sie vor Gefahren warnt. Sie nahm 1991 in Tijuana im nördlichen Bundesstaat Baja California ihre Arbeit auf, um Migranten vor Kriminellen zu schützen; in der Folge wurde sie auch an der Südgrenze eingesetzt. Das Unterstützungs- und Hilfsangebot ist von Bedeutung, aber die Beta-Gruppe verfügt nicht über ausreichende Mittel, um allen bedürftigen Migranten und Migrantinnen den notwendigen Schutz zu bieten.

Solidarität

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International Foto: Ricardo Ramírez Arriola

In einigen Ortschaften an der Strecke verteilen Menschen kostenlos Lebensmittel an Migranten, die auf den Güterzügen fahren. Einige von ihnen halten auch ihre Haustüren für erschöpfte und hungrige Migranten offen. Hier warten zwei Frauen an den Gleisen, um Migranten am Bahnhof Chontalpa im Bundesstaat Tabasco Hilfe anzubieten.

Hilfe in der Not

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International; Foto: Ricardo Ramírez Arriola

«Wir treten dem Eindruck entgegen, dass Migranten gefährlich sind. Im Fernsehen wird uns immer erzählt, dass auf den Zügen Drogen und Waffen gehandelt werden, aber das ist eine einzige Lüge. Der Güterzug ist von Hunderten von menschlichen Seelen bevölkert, die gelitten haben. Sie verlassen ihre Heimat wegen der extremen Armut dort, wo sie herkommen. Die Reise in den Norden ist für sie ein Alptraum, aber das nehmen sie auf sich, um ihren Familien helfen zu können, die sie zuhause gelassen haben.» Rubén Figueroa lebt an der Bahnstrecke in San Miguel im Bundesstaat Tabasco. Er und seine Mutter gewähren hilfsbedürftigen Migranten und Migrantinnen Unterkunft und Verpflegung.

Pedro ist zuversichtlich

Das Bild grösser zeigen. Interview in der Migranten-Herberge »Jesús el Buen Pastor”, Tapachula (Mexiko), April 2009, © Wolfgang Grenz

«Ich heisse Pedro, ich bin 35 und komme aus dem Nordwesten von Honduras. Wir hatten ein kleines Stück Land und eine Hütte für meine Frau und die zwei Töchter. 1998 kam der Hurrikan Mitch und hat alles zerstört. Ich habe in den USA dann gutes Geld verdient, sodass ich nach drei Jahren ein neues Land erwerben konnte. Ich habe keinen Beruf, aber ich kenne mich damit aus, wie man den Boden schrubbt und wie man erntet. Davon lebten wir. Aber dann hat der Hurrikan Stan 2005 wieder alles zunichte gemacht und die Regierung hat uns wieder im Stich gelassen. 2008 begab ich mich noch einmal auf die Reise nach Norden. Auf der Zugfahrt durch Mexiko schlief ich ein und kam bei Veracruz unter die Räder. Um in das nächste Dorf zu gelangen, musste ich den rechten Unterschenkel mit dem Taschenmesser abschneiden. Jetzt soll ich hier in der Herberge eine Prothese bekommen. Leider bin ich beim Duschen ausgerutscht und der Stumpf hat sich entzündet. Ich habe meine Frau angerufen. Ich bin zuversichtlich, dass ich bald zu meiner Familie fahren und auch wieder arbeiten kann.»

Vermisst

Das Bild grösser zeigen. © Amnesty International, Foto Ricardo Ramírez Arriola

Abfälle über einer Stelle, an der Migranten und Migrantinnen auf dem Friedhof von Tapachula (Chiapas) beerdigt worden sind. Ihre Körper werden in den Gängen zwischen den Gräbern bestattet, namenlos. Ihre Familien in Zentralamerika erfahren meist nie, was ihnen widerfahren ist. – Migranten reisen meist ohne Papiere durch Mexiko. Im Falle einer Abschiebung geben sie an, aus Guatemala zu stammen. Damit wollen sie vorbeugen, um bei ihrem nächsten Versuch, Mexiko zu durchqueren, nicht wieder aus ihrem noch entfernter gelegenen Heimatland anreisen zu müssen.

Das Ziel liegt irgendwo jenseits

Das Bild grösser zeigen. © Karen Siu. Quelle: Revista Migrantes 2009

Wenn Migranten und Migrantinnen aus Zentral- und Südamerika die Nordgrenze Mexikos erreichen, haben sie noch immer denselben Weg vor sich wie ihre mexikanischen Leidensgenossen. Es gilt, Mauern, Zäune und Grenzanlagen zu überwinden, durch den Rio Grande zu schwimmen oder durch eine Wüste zu laufen, bevor die US-amerikanische Zivilisation in Sicht kommt.

Und jetzt also auch noch Donald Trumps Mauern gegen die Armen und Ärmsten dieser Welt. Weiss Trump, selber ein Multimilliardär, was er da tut? (cm)

* * *
Die ganze Ausstellung ist auch hier zu sehen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Afghanischer_Flchtling_Reuters

Migrantinnen, Migranten, Asylsuchende

Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

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US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

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Eine Meinung zu

  • am 30.01.2017 um 10:54 Uhr
    Permalink

    Hier ist viel von den «Träumen» der Migranten die Rede. Sollten sie nicht vielleicht besser aufwachen? Und sich überlegen: Was haben die Vorfahren der heutigen Amerikaner besser gemacht als wir, so dass es den Nachkommen heute (im Schnitt relativ) gut geht? Und was könne wir von ihnen lernen und zu Hause nachahmen?

    Der Autor hilft uns da wenig weiter. Der einzigen Grund südlicher Armut, den er klar benennt, ist die Überbevölkerung. Die Nordamerikaner haben ihre Kinderzahl an dem Machbaren orientiert, die weiter Südlichen nicht. (Es dürfte noch andere Gründe geben, die der Autor ignoriert.)
    Das heißt aber: Wenn die ganze Überbevölkerung nach Norden exportiert wird, wird es im Norden so weit abwärts gehen, bis Nord und Süd sich gleich sind und eine Migration sich nicht mehr lohnt.

    Migration beruht auf dem Denkfehler, dass eine Handlungsweise, die im Einzelfall zum Erfolg führt, denselben Erfolg auch dann erzielen würde, wenn alle anderen das Gleiche tun.

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