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Im Jahr 2016 Hoffnungsträger vieler junger Demokraten: Bernie Sanders © Politico

Amerikas Linke meldet sich aus der Versenkung

Roman Berger /  Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 war der linke Senator Bernie Sanders unerwartet erfolgreich. Jetzt melden sich Nachfolger.

Das Treffen fand im März 1979 in einem «Holiday Inn» ausserhalb der Ölmetropole Houston in der Nähe des Flughafens statt. Im TagesAnzeiger erschien mein Bericht darüber auf Seite 53 mit dem Titel: «Amerikas schmalbrüstige Linke».

An «Roastbeef und Apfelkuchen gescheitert»

Im «Holiday Inn» hatten sich damals etwa 300 Vertreter einer in der Demokratischen Partei organisierten sozialistischen Gruppierung versammelt, die sich «Democratic Socialist Organizing Committee» (DSOC) nannte. Nach dem Dinner am Samstagabend mit Roastbeef, gebackenen Kartoffeln und Apfelkuchen sangen die Teilnehmer die Sozialistische Internationale. In meinem Bericht zitierte ich den deutschen Soziologen Werner Sombart, der in seiner 1909 veröffentlichten Studie («Warum gibt es in Amerika keinen Sozialismus?») unter anderem die These vertrat, alle sozialistischen Utopien in den USA seien an «Roastbeef und Apfelkuchen gescheitert». Sombart wollte damit sagen, Sozialismus habe in einer satten US-Bevölkerung keine Chance.

Die Versammlung 1979 in Houston fand unter dem Vorsitz von Michael Harrington statt. Harrington hatte 1962 «Das andere Amerika» veröffentlicht, eine Untersuchung, die erstmals in einem umfassenden Rahmen die Armut in den USA darstellte und Sombarts These von Amerikas «Wohlgenährtheit» widerlegte. Harringtons Buch , so die New York Times, gehöre zu den wenigen Untersuchungen mit politischen Folgen. Präsident Lyndon B. Johnson verkündete 1964 in seiner ersten Rede an die Nation ein Programm, wie er die Armut in den USA bekämpfen wolle.

Unerwartete Lebenszeichen

Rund dreissig Jahre nach Harringtons Tod im Jahre 1989 zeigt Amerikas Linke unerwartete Lebenszeichen. Bernie Sanders, der am Wahlkampf um Amerikas Präsidentschaft 2016 teilgenommen hatte, profilierte sich als linker Gegenspieler zur offiziellen Vertreterin der Demokratischen Partei, Hillary Clinton.

Zum Präsidenten gewählt aber wurde Donald Trump. Es waren die von der Globalisierung «Abgehängten», die Trump vorzogen. Auf Englisch heissen die Abgehängten «Deplorables», die Bedauernswerten. 13 Prozent der US-Amerikaner leben unterhalb der Armutsgrenze. Auch viele Vollbeschäftigte erreichen nur ein Einkommen unterhalb dieses Niveaus. Zu diesen «working poor» gehören vor allem Frauen, Farbige sowie Menschen, die mehrere Berufe bzw. Jobs gleichzeitig zu Tiefstlöhnen haben müssen. «Das andere Amerika» existiert also weiterhin.

Im November 2018 wurde Alexandria Ocasio – Cortez (29) in das Repräsentantenhaus gewählt. Sie gehört zu einer Gruppe von Frauen, die jung und politisch dezidiert links stehen. Ocasio -Cortez nennt sich eine «demokratische Sozialistin» und ist Mitglied von DSOC. Was aber ist das Ziel dieser jungen Abgeordneten?

Für einen «Grünen New Deal»

Alexandria Ocasio-Cortez, oder AOC , wie sie oft genannt wird, wurde im fortschrittlichen Staat New York gewählt. Sie fordert einen «Grünen New Deal» in den USA, der innert weniger Jahrzehnte den Ausstoss von Treibhausgasen unterbinden soll. Weiter verlangt die «demokratische Sozialistin» eine kostenlose Krankenversicherung für alle und ein universelles Basiseinkommen, finanziert von einer 70-Prozent-Steuer für die Reichsten der Reichen

Mit ihrem Vorhaben begeistert Ocasio Cortez den erstarkten linken Flügel ihrer Partei. Gleichzeitig bringt sie ihre Partei in Schwierigkeiten, weil Mitte-Wähler verloren gehen. Und damit wäre auch die Wahl eines fortschrittlichen Präsidenten in Frage gestellt.

Junge Amerikaner sympathisieren mit dem Sozialismus

Ältere Amerikaner erinnert «Sozialismus» an die Sowjetunion und den Kalten Krieg. Für die jüngere Generation jedoch war die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 das prägende Ereignis. Eine Umfrage der Harvard Universität aus dem Jahr 2016 unter 18 bis 29 Jährigen kam zu folgenden Ergebnissen: 51 Prozent der Befragten lehnten den Kapitalismus ab und 33 Prozent unterstützten den Sozialismus. Im Vorzeigeland des Kapitalismus gilt Sozialismus nicht mehr als unamerikanisch.

Die jungen Amerikaner, so präzisiert der Leiter der Harvard-Umfrage, dächten an die radikalen Reformen unter Franklin D. Roosevelt (New Deal), die Amerika aus der schweren Wirtschaftskrise der 30er Jahre retten mussten.

Linkes Magazin auf Hochglanz

Auf ein linkes oder linkeres Amerika hofft auch der Verleger des linksradikalen Magazins «Jacobin», Bhaskar Sunkara. Der 29-Jährige mit Eltern aus Trinidad schloss sich als Jugendlicher den «Democratic Socialists of America» an, die heute etwa 60 000 Mitglieder haben. An der Universität gründete er 2010 das Magazin «Jacobin», das im Netz und auf Papier erscheint.

«Jacobin» soll „neomarxistisches Denken unter die Leute bringen, aber frei von doktrinärem Jargon, mit Humor, Ironie, aber dennoch radikal“, erklärte mir Sunkara 2013 in einer Bar in Brooklyn. Die Print-Ausgabe erscheint auf teurem Hochglanzpapier. „Damit wollen wir uns auch äusserlich von den grauen, langweiligen Zeitschriften der alten «liberals» unterscheiden“, meinte Sunkara.

Demokratische Partei nach links rücken

„The left wing of the possible“, mit solchen Worten definierte Michael Harrington einmal das Ziel seiner linken Gruppierung. Damit meinte er, fortschrittliche Politiker müssten immer Amerikas Realitäten vor Augen haben. Ziel von DSOC sei nicht, einen linken Präsidenten zu stellen, sondern die Demokraten als Partei nach links zu drücken.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Roman Berger war 1976 – 1982 Korrespondent des Zürcher «TagesAnzeigers» in den USA.

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2 Meinungen

  • am 22.01.2019 um 09:09 Uhr
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    Die Präsidentenwahl von 2020 müssen die Demokraten schon im Blick haben – auch die jüngeren, linkeren sollten es nicht ausser Acht lassen, aber das Ziel, die Demokratische Partei als Ganzes etwas weiter in Richtung mehr Sozialismus zu schieben, finde ich angebracht.
    Noch wichtiger ist es, nach dem Kongress auf den Senat zu schauen. Auch dort wackeln 2020 einige republikanische Sitze, während die Zittersitze der Demokraten schon 2018 erhalten blieben oder verloren gingen. Eigentlich können sie nur gewinnen. Eine leichte Korrektur im Repräsentantenhaus ist wohl auch zu erwarten.

  • am 23.01.2019 um 22:33 Uhr
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    Ein linkes Magazin will „neomarxistisches Denken unter die Leute bringen, aber frei von doktrinärem Jargon». Und offenbar fällt ihnen der Widerspruch selbst nicht einmal auf. Das stimmt eher kritisch. Mit solchen Parolen werden die Demokraten nie einen Präsidenten stellen können.

    Wie wäre es, wenn man mal Begriffe wie «marxistisch» und «sozialistisch» in die Mottenkiste legen würde, und sich stattdessen ganz einfach um die Belange der Armen kümmern würde, statt sie als «Deplorables» zu verspotten? Der «New Deal» wäre ja ein grossartiges Vorbild. Und Franklin D. Roosevelt war meines Wissens kein Marxist.

    Schuld am ganzen Elend ist aber auch das amerikanische Wahlsystem, das nur zwei Parteien zulässt. So entsteht immer wieder das Dilemma: Man kann vielleicht die Demokratische Partei «nach links drücken». Dann verliert sie gegen die Republikaner. Oder man tut es nicht. Dann hat die Demokratische Partei bessere Wahlchancen. Aber sie unterscheidet sich kaum mehr von den Republikanern.

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