Kommentar

Nach der Münchner Sicherheitskonferenz: Vertiefte Bruchlinien

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Die 55. Sicherheitskonferenz in München ist zu Ende. Das Resultat kann nur so beschrieben werden: ernüchternd und erschreckend.

«Wer sammelt die Scherben auf?» Unter dieser Titelfrage sollte bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz laut Direktor und Moderator Wolfgang Ischinger darüber diskutiert werden, «wie wir die Kernstücke der internationalen Ordnung bewahren können». Die Bilanz nach drei Tagen Diskussion ist ernüchternd und erschreckend:

Für die globalen und die gesamteuropäischen «Scherben» UNO und OSZE interessierte sich auf dieser Konferenz fast niemand mehr. In den Reden westlicher Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen sie überhaupt nicht vor. Russische und chinesische Redner sammelten diese «Scherben» zwar auf und hielten sie hoch, warfen sie mit ihren konkreten Aussagen etwa zur Rolle ihrer Länder in den Konflikten in der Ukraine oder im Asiatischen Meer aber wieder auf den Boden. Die US-amerikanischen und die europäischen Konferenzredner und -rednerinnen befassten sich nur noch mit der «Scherbe» NATO sowie ganz am Rande mit der «Scherbe» EU. In scharfem Kontrast zu den allseits mit grossem Pathos formulierten Bekenntnissen und Treueschwüren zur NATO oder zur «westlichen Wertegemeinschaft» standen dann allerdings die Äusserungen zu sämtlichen konkreten transatlantischen Konfliktthemen wie Handel, Autozölle, Northstream 2-Pipeline, Nuklearabkommen mit Iran oder Truppenpräsenz vs. Abzug in Syrien und Afghanistan.

Geradezu gespenstisch war der Auftritt von US-Vizepräsident Mike Pence, der die Weltführerschaft einer seit Antritt der Trump-Administration angeblich politisch und militärisch gestärkten USA reklamierte und offen die Unterordnung der Europäer bei den genannten Konfliktthemen einforderte. Mit seiner Behauptung, Iran bereite einen «neuen Holocaust» vor, verharmloste der US-Vizepräsident zudem einmal mehr den realen Holocaust und verhöhnte dessen sechs Millionen Opfer. Nach dem Münchner Auftritt dieses christlichen Fundamentalisten und eifernden Ideologen kann die Welt nur hoffen, dass Donald Trump seine erste Amtszeit durchhält und – sollte er 2020 wiedergewählt werden und Pence sein Vize bleiben – auch die zweite.

Dominiert wurde diese Konferenz einmal mehr von wiederum ein Jahr gealterten weissen Männern, die zu Beginn ihrer Reden gerne daran erinnern, dass sie schon in den 60er Jahren bei der «Wehrkundetagung» dabei waren, dem Vorläufer der heutigen Sicherheitskonferenz. Sie behaupten zu Beginn ihrer Reden zwar, sie hätten die neuen globalen Herausforderungen wie den Klimawandel und die Veränderung der geopolitischen Gemengelage seit Ende des Kalten Krieges verstanden, begeben sich dann aber wieder in die ideologischen und politischen Schützengräben dieses Krieges.

In dieser Runde war Bundeskanzlerin Angela Merkel noch die vergleichsweise differenzierteste und klügste Rednerin. Doch eines sollte nach ihrer Rede auch klar sein: Die Aufkündigung des INF-Mittelstreckenvertrages durch die USA «haben die Europäer alle mitgetragen» (Merkel). Damit sind die Europäer auch mitverantwortlich für alles, was an nuklearen Aufrüstungsmassnahmen in Europa erfolgen wird, sollten sich die USA und Russland bis Anfang August nicht doch noch auf eine seriöse Überprüfung ihrer bislang unbewiesenen gegenseitigen Vorwürfe verständigen. Für eine entsprechende Bereitschaft gab es in München leider noch keine Anzeichen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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4 Meinungen

  • am 18.02.2019 um 10:22 Uhr
    Permalink

    Wie lange dauert es noch, bis sich mitten aus dem aktuellen Chaos der Macht-Eliten eine einfache Einsicht durchsetzt
    – ein atomwaffenfreies Europa –
    mit Verträgen für eine bestmögliche Zusammenarbeit aller global player?
    Der TPNW von ICAN liegt zur Unterschrift bereit.

    Falls die alten weissen Männer diesen Schritt nicht gehen wollen, dann wird die junge Generation den Militärdienst verweigern und sie dazu zwingen.

    Umwelt und Klima sind wichtiger als alles Andere.
    Feindbilder werden bewusst gemacht und dienen nur den Mächtigen.

    Bald ist Ostermarsch (22.4.2019) und es braucht auch Dich in der Friedensbewegung!
    https://www.friedenskraft.ch/

  • am 18.02.2019 um 21:47 Uhr
    Permalink

    Weshalb arbeiten Europa und Russland eigentlich nicht zusammen? Ist das ein Denkverbot? Oder erhöht das die Möglichkeit eines atomaren Infernos über Europa und Russland, von dem weiter Entfernte profitieren könnten?
    Niemand in Europa und Russland kann sich einen weiteren Krieg wünschen!

  • am 20.02.2019 um 12:40 Uhr
    Permalink

    Warum, fragen Sie, können wir in Europa nicht mit Russland friedlich zusammenarbeiten ?
    Gehen Sie mal auf den Link
    https://www.youtube.com/watch?v=vln_ApfoFgw

    Das ist die Website des US-Thinktanks Stratfor. Die These dort: die größte Gefahr für die USA sei ein Zusammengehen von Deutschland und Russland. Und ein solches Zusammengehen gelte es zu verhindern. Deshalb ist auch niemand auf die Putin-Rede 2001 (?) vor dem Deutschen Bundestag eingegangen, in welcher Putin eben eine solche Kooperation gefordert hat.
    Heiko Flottau/Berlin

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