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Philippe Martel, Kabinettschef von FN-Chefin Marine Le Pen © phmartel/twitter

Medienschaffende «bis zum Tod attackieren»

Jürg Müller-Muralt /  Der Verbalangriff des französischen Front National auf die Medien – und welche Strategie dahinter steckt.

Allzu sensibel dürfen Journalistinnen und Journalisten nicht sein. Dass ihre Arbeit kritisch verfolgt wird, liegt im Interesse der demokratischen Meinungsbildung. Auch dass Personen des öffentlichen Lebens nicht immer gnädig reagieren, wenn ihnen die Medien etwas zu genau auf die Finger schauen, ist demokratischer Normalfall. Alarmierend wird es erst dann, wenn Medien oder einzelne Medienschaffende mit subtilen oder auch weniger subtilen Methoden an der freien Ausübung ihres Auftrages gehindert werden.

Zu den eher weniger subtilen Methoden griff Ende Mai ein hoher Parteifunktionär des rechtsextremen französischen Front National (FN). Offenbar im Siegestaumel nach den Europawahlen vom 18. Mai 2014, lancierte Philippe Martel in einem Gespräch mit einer Journalistin des Magazins «Le Point» eine verbale Hetzjagd auf die Medien (Link siehe unten). Martel ist nicht irgendwer: Er ist Kabinettschef von FN-Chefin Marine Le Pen, Absolvent der französischen Eliteschule ENA und Ex-Kabinettschef des ehemaligen gaullistischen Premierministers Alain Juppé. Er stiess zum Erstaunen vieler Ende letzten Jahres zum FN. Als Konvertit scheint er sich mit besonderer Inbrunst ins Zeug zu legen.

«Auf jeden Fall hassen euch die Franzosen»

Martel erklärte unter anderem, man müsse «sämtliche Mistkerle der institutionalisierten Journalisten» «zermalmen». «Auf jeden Fall hassen euch die Franzosen. Unser Medienplan besteht darin, euch bis zum Tod zu attackieren. Die Presse ist uns schlecht gesinnt, warum sollten wir denn noch mit ihr zusammenarbeiten?» Martel sprach auch davon, Medienschaffende zu fichieren: «Man muss wissen, was und wo ihr studiert habt, wo ihr wohnt (…).» Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hat Martel allerdings die Aussage zur Fichierung dementiert.

Mit seiner Hasstirade folgt Martel der generellen Haltung des FN gegenüber Medien. Marine Le Pen hat Journalistinnen und Journalisten immer wieder massiv attackiert. Für sie und den Front National sind die Medienschaffenden eine «Kaste», eine Stütze der «Oligarchie» und des «Systems».

Bewusste Konfrontationsstrategie

Diese massiven Angriffe auf die Medien seien ein «altbekanntes Vorgehen der extremen Rechten», sagt Christian Delporte. Gegenüber dem Sender «France info» hat der Professor für Zeit- und Mediengeschichte an der Universität Versailles erklärt, welche Ziele die Attacken verfolgen: Der Front National nutze das latente Misstrauen gegenüber den Medien, um die Interviewer zu disqualifizieren und die Journalisten einzuschüchtern. «Aber hinter dem allem steht eine Strategie: Der Front National ist in der Konfrontation mit den Journalisten gross geworden.»

Dabei kann sich Marine Le Pen über mediale Präsenz nicht beklagen – zumindest seit sie 2011 von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen den Parteivorsitz geerbt hat. Zuvor, vor allem in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, galt der Front National noch als politisches Schmuddelkind, als Sammelbecken für Rassisten, Nazis und Holocaust-Leugner, und wurde von den Medien entsprechend behandelt. Marine Le Pen hat dem FN zwar mittlerweile ein etwas moderateres Erscheinungsbild verpasst, aber keine grundlegende inhaltliche Neuausrichtung einmal abgesehen von den zunehmend anti-kapitalistischen Tönen. Nur: Der Anti-Kapitalismus von rechts, der sich gegen internationalistische, «vaterlandslose» Erscheinungen des Wirtschaftslebens richtet, gehörte stets auch zur faschistischen und nationalsozialistischen Rhetorik.

Die medialen Türen öffnen sich

Der Imagewechsel öffnete dem Front National immer häufiger auch die Türen der grossen französischen Medien. Vor allem Radio und Fernsehen zeichneten von Marine Le Pen das Bild einer fähigen und modernen Politikerin. Einzelne Medien tanzen gar nach ihrer Pfeife: Vor den Europa-Wahlen weigerte sie sich zum Beispiel, mit dem Vorsitzenden des Europa-Parlaments, dem Sozialdemokraten Martin Schulz, im Sender France 2 zu diskutieren; daraufhin lud die Redaktion den Deutschen aus. Das deutsche «Handelsblatt» bezeichnete den Vorfall als «neuen Tiefpunkt im Umgang mancher französischer Medien mit dem Front National, der zunehmend liebedienerisch wird.»

Obschon die Partei sich also weiterhin wirkungsvoll als Opfer stilisiert und Journalisten als Vertreter des verhassten «Systems» attackiert, hat der Front National der politischen Kultur Frankreichs längst seinen Stempel aufgedrückt. Das hat viel mit der Enttäuschung über die etablierten Parteien zu tun. Es hat aber auch damit zu tun, dass man in Frankreich allgemein die hässlichen Flecken der eigenen rechtsextremen Vergangenheit nie richtig wahrgenommen hat: Die Résistance wird verklärt, die Nazi-Kollaboration eines grossen Teils der französischen Eliten gerne ausgeblendet, ebenso wie die dunklen Kapitel der Kolonialzeit und des Algerien-Kriegs.

Das Doppelgesicht des Front National

Nicht zuletzt deshalb hat der Front National leichtes Spiel, die Gefühle von Grösse und Stärke der eigenen Nation gegen die als einengend empfundene und als «Diktatur» charakterisierte Europäische Union zu mobilisieren. Zusätzlich profitiert der FN von seinem Doppelgesicht: Einerseits der im Vergleich zu früheren Jahren moderatere Auftritt, anderseits die gezielte Provokation, um das Image der Anti-System-Partei zu pflegen. Zu Letzterem gehört eben auch das gefährliche Spiel mit verbalen Gewaltattacken gegen die Medien.

In einem ausgezeichneten Beitrag im Feuilleton der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» unter dem Titel «Der Camembert-Faschismus» (Link siehe unten) lautet der resignierte Schlusssatz: «Was kann man tun? Dafür argumentieren und arbeiten, dass sie keine parlamentarische Mehrheit bilden und nicht in die Nähe wahrer Macht gelangen. Gerne würde ich schreiben: weil man nie weiss, wozu sie fähig sind. Aber wir wissen es ganz genau.»

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Eine Meinung zu

  • am 9.06.2014 um 22:42 Uhr
    Permalink

    Wenn das so weiter geht, ist es wohl eine Frage der Zeit, bis der FN die Verbrennung von nicht genehmen Büchern fordert, dann wären wir definitiv bei Nazi-Methoden angelangt. Der FN ist eine Schande für Frankreich, aber auch ein Resultat falscher linker Politik. Die Grande Nation verkommt immer mehr zu einer Farce, da sie die Integration in die EU nicht verkraftet. Beschämend ist aber auch, dass es auch in der Schweiz Bewunderer des FN gibt, Regierungsrat Freysinger im Wallis ist einer von ihnen.

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