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Fifa-Präsident Blatter © cc Global Panorama

Realitätsverlust der «Weltwoche»

Heinz Moser /  Die «Weltwoche» hebt den geschassten Fifa-Präsidenten Sepp Blatter als «Schweizer des Jahres» aufs Podest.

Man traut seinen Augen nicht: In der Ausgabe vom 17. Dezember 2015 schaut den Leserinnen und Lesern auf dem Titelblatt der «Weltwoche» ein Porträt von Sepp Blatter als «Schweizer des Jahres» entgegen. Und im Blatt selbst wird weiter gelobhudelt. Der 79-jährige Walliser werde, so Verleger und Chefredaktor Roger Köppel höchstpersönlich, «verkannt und sein Idealismus unterschätzt». Die «Weltwoche» leidet mit dem «Schmerzensmann» des internationalen Fussballs. Im Editorial heisst es: «Der Schweizer Fifa-Präsident hat ein fürchterliches Jahr hinter sich mit Anfeindungen, brenzligen Momenten, einer Sperre und kürzlich einem lebensbedrohlichen gesundheitlichen Zusammenbruch». Fast wie ein Heiland des Fussballs gezeichnet, ficht er den «dornenvollen Kampf für eine bessere Welt».

Werkeln an der Dolchstoss-Legende

Im Interview mit der «Weltwoche», das in derselben Ausgabe abgedruckt ist, bleibt Köppel vor allem Stichwortgeber. So lässt er den geschassten Fifa Präsidenten an seiner Dolchstoss-Legende werkeln. Originalton Blatter: «Es ist ein bisschen meine Fifa, die ich aufgebaut habe in all den Jahren. Ich habe auch die Ethikkommission lanciert. Dass nun dieses Gremium mich suspendiert, den gewählten Präsidenten, ohne ihm etwas zu sagen und ohne ihm das Recht auf eine ordentliche Anhörung zu geben, das war ein Schlag, von dem ich mich bis heute nicht richtig erholt habe.»

Dabei sieht die «Weltwoche» Blatter weit über dem Zuschnitt des schweizerischen Normalbürgers. «Ausnahmeschweizer» ist er, eine Mischung aus Sonderbotschafter und Entwicklungshelfer. Blatter selbst sieht die Vorwürfe gegen ihn als Majestätsbeleidigung – gegen einen Präsidenten, der immer nur das Beste wollte. Die Ethikkommission könne doch den vom Kongress gewählten Präsidenten nicht einfach suspendieren: «Eigentlich müsste man mir ein Diplom überreichen für das, was ich hier erreicht habe». Schliesslich verdiente Blatter gar den Friedensnobelpreis, wenn es nach dem russischen Präsidenten Putin ginge.

Feindbild: Neider und Heuchler

Doch heute ist es nur noch Blatters grösster Wunsch, in Würde von der Bühne abzutreten. Nach Köppel hat er ein schreckliches Jahr hinter sich: «Der 79-Jährige wurde auf allen journalistischen Fahndungslisten zum Abschuss freigegeben. Die US-Justiz ging gegen den Verband in Stellung. Im Juni kündigte der eben wiedergewählte Blatter unter Druck seinen Rücktritt an.»

Ganz anders der «Blick»-Sport-Chefredaktor Felix Bingesser, der Blatter direkt anspricht: «Das Spiel ist aus. Der Einzige, der das nicht realisieren will, bist Du selbst». Nach der deutschen Zeitung «Die Welt», bei der Köppel einst Chefredaktor war, könne man sich bei Blatter über so viel Realitätsferne ärgern, wie so oft in den letzten Jahren. Doch das sei es nicht mehr wert. Denn Blatters Zeit sei abgelaufen.

Von kritischem Journalismus ist die «Weltwoche» dagegen meilenweit entfernt, wenn sie Blatter durch alle Böden verteidigt. Ihre Journalisten-Schelte bringt das peinlichste aller Argumente ins Spiel: Dass viele Schweizer Medien Blatter vorverurteilten, sei Teil der «guteidgenössischen Neidkultur». Man kann dem Neo-Nationalrat Roger Köppel nur raten, sich bald einmal in seiner SVP-Fraktion mit Roland Rino Büchel zusammenzusetzen. Gegen den ehemaligen Fifa-Funktionär und -Kritiker hat die «Weltwoche» unter dem Titel «Schweizer Fifa-Heuchler» auch schon heftig polemisiert.

Das Urteil zeigt, von «Neidkultur» kann keine Rede sein

Doch mit Verlaub: Das Journalisten- und Kritiker-Bashing ist seit Anfang dieser Woche ohnehin vom Tisch. Die Ethikkommission hat am 21. Dezember 2015 geurteilt und mit ihrer Entscheidung gezeigt, dass es sich um kein Kavaliersdelikt handelt – auch wenn der Vorwurf der Bestechung und Korruption fallen gelassen wurde. Gemäss Richter Hans-Joachim Eckert haben Blatter und Michel Platini gegen «allgemeine Verhaltensregeln, Loyalität, Interessenkonflikte, Annahme und Gewährung von Geschenken und sonstigen Vorteilen» verstossen. Die Karrieren von Sepp Blatter und Michel Platini im Fussball dürften damit ein abruptes Ende gefunden haben. Denn die provisorische Sperrung ist auf acht Jahre für sämtliche nationalen und internationalen Fussball-Tätigkeiten ausgeweitet worden. Blatter muss zudem eine Geldstrafe von 50 000 Franken und Platini eine von 80 000 Franken bezahlen.

Mit dem grossen Auftritt bei der Wahl seines Nachfolgers im nächsten Februar, mit dem er seine «Würde wiederherstellen wollte», dürfte es nichts werden. Die acht Jahre sind für den 79-Jährigen ohnehin zu viel, um nochmals eine Rolle in der Fifa zu spielen. «Let’s go Fifa!», wird nur noch ohne Sepp Blatter stattfinden. Doch Blatter will weiterkämpfen – auch gegen «seine» Ethikkommission. Auch Roger Köppel lässt sich nicht beirren. Für ihn ist der Entscheid nach der neusten Ausgabe der «Weltwoche» ein «brutales, fragwürdiges Verdikt der Fifa-Ethiker».


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6 Meinungen

  • am 26.12.2015 um 10:32 Uhr
    Permalink

    Im Umkehrschluss bedeutet diese Headline nichts anderes, als dass die WW bisher realitätsgetreu berichtete. Eine wohlverdiente Anerkennung der WW also – gut gemacht, wenn wahrscheinlich wohl unbeabsichtigt.
    Allerdings bestätigt sich dadurch einmal mehr mein Eindruck, dass die Gegner von WW und SVP weit heftiger und vernichtender auf Menschen herumtrampeln, als jene, denen sie dies immer wieder vorwerfen (wie zB auch Mörgeli beruflich und politisch grossmedial orchestriert vernichtet wurde).

    Überdies: Von den Medien – also auch vom Infosperber – erwarte ich, dass sie weit mehr umfassend informieren, als dass sie Meinungen verbreiten. Aber den Medien scheint leider viel wichtiger zu sein, die Menschen zur «richtigen» Meinung hinzuführen, als neutral zu informieren.

    Diese Manipulationsversuche mag ich nicht ausstehen; immer wieder lesen und hören zu müssen, wer richtig liege und wer falsch; welche Meinung man haben müsse, um richtig zu liegen und von der Mehrheit akzeptiert werden zu können. Immer dieses zutiefst populistische Fokussieren auf Schuldige, auf den Einzelnen, auf Gruppen. Ach wie bemühend und unausstehlich naiv!

    Die Denk- und Wertesysteme hingegen werden fast nie hinterfragt und mit den eigenen kritisch verglichen. Dabei sollten gerade die Medien ihren Fokus primär hierauf legen; auf Einstellungen, Konzepte, Wertungen, Weltbilder, Konditionierungen, etc. – allerdings ohne dieses selbstherrliche Gehabe, im Besitze des einzig richtigen Standpunktes zu sein.

  • am 26.12.2015 um 23:53 Uhr
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    Gottseidank haben wie so kritische Stimmen, wie INFOsperber !
    Die Meinung kann sich so wohl jeder selber machen, sofern er eigenständig denken kann !

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 27.12.2015 um 11:08 Uhr
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    Da ich Sepp Blatter persönlich kennengelernt habe, mich mit ihm mal im Wallis über den damals verstorbenen Robert Ballaman unterhalten habe, Captain der Nationalmannschaft 1954, mit dem Blatter noch trainiert hat, ferner über Fragen der Sportethik, wo er mir ein kurzes schriftliches Statement abgab, empfehle ich, sich wenigstens in Sachen Schweizern über niemanden eine Meinung zu bilden, den man nur via Medien kennt. Das haben wir schlicht nicht nötig, drückt im Prinzip nur eine innerpsychische oder massenpsychogisch-gruppendynamische Stimmung aus. Mit Realitätsbezug hat es wenig bis nichts zu tun. Es spielt auch keine Rolle, in welcher Zeitung wer was über wen gesagt wird und wie man sich dann von dieser Zeitung aufgrund des Positionsbezuges in der Medienlandschaft wieder abgrenzt, so etwa Frank A. Meyer von der Neuen Zürcher Zeitung. Die Themen und Inhalte sind bei den einschlägigen Abgrenzungen und Hackordnungskämpfen mehr zufällig. Natürlich kann man auch nicht sagen, man kenne diesen oder jenen, bloss weil man ihn mal getroffen hat. Es genügt, auf Authentizität zu bestehen. So hielt ich es seinerzeit mit Bundesrätin Elisabeth Kopp. Noch interessant ist, dass ein anregender Gesprächspartner, mit dem ich gelegentlich über Infosperber kommuniziere, dringend anmahnt, die Meinung über den einstigen Brigadier Jean-Louis Jeanmaire sei zur Überprüfung längst fällig. Selbst wenn ich Jeanmaire nicht mit Blatter verwechsle, scheint mir das Bemühen aus obigen Gründen zu bedenken.

  • am 27.12.2015 um 22:46 Uhr
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    Lieber Heinz Moser,
    ich möchte jeweils gerne selber nachschauen, ob eine Kritik eines Artikels zutrifft. Zum Kauf einer Weltwoche kann ich mich aber wirklich nicht entscheiden. Gib es den Artikel online?
    MfG
    Werner T. Meyer

  • am 28.12.2015 um 18:45 Uhr
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    … na ja, das ist eben der etwas verschrobene Stil von Köppels «Weltwoche"; zwanghaft nonkonformistisch, zwanghaft pseudo-originell, geziert narzistisch «gegen den Mainstream» gebürstet und dabei völlig unglaubwürdig; … ein Presseorgan welches, samt seinem Chefredaktor und Neo-Nationalrat, spätestens nach der peinlichen Lobeshymne auf Ungarns Orban schlicht und ergreifend nicht mehr ganz ernst genommen werden kann …

  • am 30.12.2015 um 16:30 Uhr
    Permalink

    Die «Weltwoche» macht Sepp Blatter, zukünftiger Friedensnobelpreisträger, wenn es nach Diktator Putin geht, zum «Schweizer des Jahres». Das ist wohl der Witz des Jahres und ein Schlag ins Gesicht jedes anständigen und nicht korrupten Schweizers. Die «Weltwoche» und ihr Chefredaktor Köppel haben sich damit endgültig vom seriösen Journalismus verabschiedet. Wer dieses Blatt noch ernst nimmt, ist selber nicht mehr ernst zu nehmen.

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