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Parkinson-Erkrankte organisieren sich auf der ganzen Welt in Selbsthilfegruppen © 3-Sat

«Parkinson ist eine menschengemachte Pandemie»

Christa Dettwiler /  Neue Forschungsergebnisse sehen Pestizide, Lösungs- und Entfettungsmittel als Hauptursache. Vererbung spielt eine geringe Rolle.

Vier Forscher sprechen Klartext. „Parkinson ist eine menschengemachte Pandemie“, lautet das nüchterne Fazit ihrer Untersuchungen, die sie in einem neuen Buch* publiziert haben. Ihr Fazit belegen sie mit Fallzahlen, die sich im Gleichschritt mit der Industrialisierung entwickeln. Doch der weltweite Einsatz von Pestiziden, Lösungs- und fettlösenden Mitteln hat zu einem sprunghaften Anstieg der Parkinson-Erkrankungen geführt.

Unter starkem Verdacht: Lösungsmittel TCE, Insektizid Chorpyrifos, Herbizid Paraquat

Die vier Neurowissenschaftler führen erschreckende Zahlen an: „Über die letzten 25 Jahre ist die Häufigkeit von Parkinson weltweit um 22 Prozent gestiegen, in Indien um 30 Prozent und in China um 116 Prozent.“ Männer sind besonders gefährdet, weil sie häufiger mit Chemikalien arbeiten, die mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden. Ihr Risiko, an Parkinson zu erkranken, ist um 40 Prozent höher als bei Frauen.

Doch niemand ist ganz vor einem Risiko gefeit. Das Lösungsmittel Trichloroethylen (TCE) gehört zu den Substanzen, die Parkinson auslösen können. Und TCE ist derart weit in der Umwelt verbreitet, dass praktisch jeder Amerikaner damit in Berührung kommt. TCE kontaminiert bis zu 30 Prozent des Trinkwassers in den USA. Dank seiner Leichtflüchtigkeit gelangt es auch durch die Luft in die Häuser. Dennoch verschob die US-Umweltschutzbehörde 2017 ein Verbot dieser Substanz auf unbestimmte Zeit, genau wie ein Verbot des Nerventoxins Chlorpyrifos, ein Parkinson-relevantes Insektizid, das in den USA grossflächig auf Getreidefeldern und Golfplätzen eingesetzt wird. In der Schweiz darf es erst seit dem 1. Juli 2020 nicht mehr eingesetzt werden, in der EU seit 1. März 2020.

Auch das berüchtigte Pestizid Paraquat taucht im Zusammenhang mit dieser Krankheit auf, die Menschen stark behindert. Es schädigt nicht nur Nieren und hat zu Tausenden von Todesfällen vor allem in Zentralamerika geführt, es kann das Risiko, an Parkinson zu erkranken, um 150 Prozent erhöhen, schreiben die Forscher in ihrer neuen Publikation. Paraquat wird nach wie vor von Syngenta hergestellt und vor allem in ärmere Länder vertrieben, obwohl es mittlerweile aufgrund seiner verheerenden Wirkung in 32 Ländern verboten wurde, darunter auch in der Schweiz, in Brasilien und in China. Anders in den USA. Dort habe sich der Einsatz in der Landwirtschaft im letzten Jahrzehnt verdoppelt, merken die Autoren an. In den Niederlanden wurden TCE und Paraquat schon vor Jahren verboten, dabei sind auch die Parkinson-Fälle gesunken.

Vererbung spielt bei Parkinson eine untergeordnete Rolle

Dass chemische Mittel hauptsächlich verantwortlich sind, belegt auch eine Studie in Kalifornien, die mehr als 17’000 Zwillingsbrüder untersuchte. Ihr Fazit: Umwelteinflüsse sind weit wichtiger als Vererbung, wenn es um Parkinson geht. Bereits vor 30 Jahren fanden Forscher an der Emory Universität in Atlanta heraus, dass Ratten klassische Parkinson-Symptome entwickelten, wenn sie Rotenone ausgesetzt wurden, einem populären, aber inzwischen weitgehend verbotenen Haushaltsinsektizid, das heute noch in der Fischerei eingesetzt wird, um invasive Arten zu eliminieren. Die kalifornischen Forscher bewiesen später, dass die Gefahr, an Parkinson zu erkranken, bei Bauern, die unter anderem mit Rotenone und Paraquat hantierten, doppelt so hoch war wie bei denen, die auf solche Mittel verzichteten.

Parkinson verbreitet sich rascher als das Altern der Bevölkerung

Obwohl Parkinson häufig ältere Menschen befällt, ist der Anstieg weit höher als die Alterung der Bevölkerung. Zwischen 1990 und 2015 haben sich die Parkinsonfälle weltweit mehr als verdoppelt, von 2.6 Millionen auf 6.3 Millionen. 2040 könnten es schon 12.9 Millionen Fälle sein.

Parkinson ist eine progressive Krankheit. Sie löst Zittern, Steifheit, langsame Bewegungen, Schwierigkeiten beim Gehen und Gleichgewichtsstörungen aus. Auch ein Verlust des Riechsinns, Verstopfung, Schlafstörungen und Depressionen gehören zu den bekannten Symptomen. Zwar gibt es Medikamente, die diese Symptome lindern, aber eine Heilung gibt es nicht. Viel körperliche Bewegung und eine gesunde Ernährung könnten den Verlauf der Krankheit hinauszögern, erklärte Professorin Caroline Tanner von der University of California in der New York Times.

Parkinson ist eine Krankheit, die Menschen stark behindert und enormes Leid verursacht. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind massiv. Laut Tanner verursachte Parkinson 2017 in den USA rund 25 Milliarden US-Dollar direkte medizinische und 26 Milliarden indirekte Kosten.

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Zu Selbsthilfegruppen in der Schweiz hier.
Zu Parkinson-Vereinigung in Deutschland hier.
Zur Parkinson Selbsthilfe Österreich hier.
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*„Ending Parkinson’s Disease: A Prescription for Action“, März 2020, Dr. Ray Dorsey, Neurologe an der Universität Rochester; Todd Sherer, Neurowissenschaftler an der Michael J. Fox Stiftung für Parkinson Forschung; Dr. Michael S. Okun, Neurologe an der Universität Florida; Dr. Bastiaan R. Bloem, Neurologe am Medical Center der Radbound Universität Nijmegen. 22 Euro


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8 Meinungen

  • am 6.08.2020 um 11:53 Uhr
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    Wir sind uns in der Theoretischen Medizin seit langem einig, die Kategorien Kausalität und Normalität im Kontext Krankheiten nicht zu benutzen. Einfache Störungen wie Infekte oder Unfälle haben eine Ursache, Krankheiten und Alterserscheinungen haben diese nicht.
    Die Wahrscheinlichkeit, Mb. Parkinson hätte eine äussere Ursachen ist ebenso Null, wie die von Mb. Alzheimer, Krebs, Diabetes oder Atherosklerose. Der Mensch ist ein Mängelwesen und das zerlegt sich im Laufe seiner Biografie immer mehr. Daran ist weder etwas Bemerkenswertes, noch etwas Bedauerliches und nichts Behandlungsbedürftiges.

    ‹Parkinson ist eine Krankheit, die Menschen stark behindert und enormes Leid verursacht. Auch die wirtschaftlichen Folgen sind massiv.›

    Wenn jemand mit Leid oder gar Geld argumentiert, sollte man mit Lesen aufhören. Dahinter stecken immer ökonomisch, keine medizinischen oder gesundheitlichen Ziele. Da will wieder jemand Krankheit bewirtschaften. Das ist jämmerlich und das Gegenteil von medizinethisch.

  • am 6.08.2020 um 12:02 Uhr
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    Ich bin überrascht, dass Medikamente als Parkinsonauslöser im Artikel nicht erwähnt werden. Es gibt aber Medikamente, bei denen Parkinson als mögliche Nebenwirkung im Beipackzettel sogar erwähnt wird. Es sind mir Fälle (USA) bekannt, wo die Auslösung klar auf Medikamentenkonsum zurückgeführt wurde.

  • am 6.08.2020 um 14:30 Uhr
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    Es bleibt erschreckend, wie lange schon diese Erkenntnisse existieren und wie wenig Menschen dieses Wissen letztendlich erreicht. Nur gut, dass sich wenigstens das Team vom Infosperber nicht zu schade ist, Dinge beim Namen zu nennen und auf das Tapet zu bringen. Danke auch hierfür!

  • am 7.08.2020 um 08:06 Uhr
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    Guten Tag Herr Schrader, haben Menschen die Ungesund leben, viel Zucker essen, übergewichtig sind und sich wenig bewegen tendenziell nicht deutlich öfters Diabetes Mellitus Typ 2?

  • am 7.08.2020 um 10:57 Uhr
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    Die ärztliche Regel Nummer 1 lautet: Zuerst nicht schaden!

    Deshalb: JA zu den Trinkwasser- und Pestizid-Volksinitiativen.

  • am 11.08.2020 um 14:12 Uhr
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    Ich finde diesen Artikel (und implizit auch das erwähnte Buch) einfach nur peinlich: Wer hier von «verschwiegenen Fakten» und anderem phantasiert, soll doch einfach den Wikipedia-Eintrag zur Parkinson-Krankheit lesen. Dort wird durchaus auf Gifte, aber auch auf Medikamente, usw. als mögliche Ursache eingegangen! Also: Es steht alles da; man kann es lesen. Bitte endlich mit diesem US-amerikanisch-induzierten Schwarzweiss-Denken, dieser dümmlichen Mono-Kausalität aufhören! Das Leben, die Krankheiten, die Natur, die Technik … alles ist etwas komplizierter, als es ein paar Leute gerne hätten.

  • am 12.08.2020 um 22:32 Uhr
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    @Ralf Schrader Herr Schrader, ich kann mit ihren Worten nicht übereinstimmen, obwohl diese womöglich verbal die Kapitulation vieler Mediziner widerspiegelt. Kapitualtion, weil es eine Gefahr ist für einen Mediziner, zu sagen was Sache ist betreffend Kausalität, Toxine, Umwelt, Zivilisationskrankheiten, Nebenwirkungen wie z.B. einer Spätdiskinesie bei einer Langzeittherapie mit Haloperidol, Risperdal, Nozinan oder Truxal. Die finanziellen Interessen als Argument zu führen wenn jemand ein Buch schreibt welches bestimmte Stoffe als «Krankmacher» identifiziert, ändert das Thema nicht, es verändert auch nicht die erdrückende Beweislast welche aus den Studien hervor geht. Auch dieser Autor muss sein Brot auf dem Tisch haben, und ich glaube nicht, das eine Konkurrenzfirma ihn engagiert hat, als Influenzer gewisse Toxine zugunsten eines anderen Produktes zu verunglimpfen. Die Toleranz gegenüber gewissen Gegebenheiten welche Systemimmanent sind endet dort wo es Leiden verursacht. Alles hat eine oder mehrere Ursachen, das wissen Sie genauso wie ich. Ich habe einen eindrücklichen Beitrag gelesen von Ihnen in der Tribüne EMH/FMH. Ich denke, sie sollten nicht kapitulieren, sondern einfach sagen, wie sehr Sie diese Themen abstossen, da Sie den Eindruck haben, es nütze sowieso nichts, darüber zu schreiben, es würde nichts verändern am System. Da ist meine Erfahrung eine andere, es erfordert aber ein langfristiges denken.

  • am 13.08.2020 um 17:40 Uhr
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    Moin, moin – @ Ralf Schrader & ‹ähnlich sich «einig» Seiende›: tja, das ist ja wohl gerade das ‹Problem›, dass ‹man› sich in so Vielem ‹einig› ist, – oder anders ausgedrückt – so ’starr, unbeweglich & festgelegt› ! Der ‹Theoretische Medizin› – s. https://de.wikipedia.org/wiki/Medizintheorie – liegt, wie auch die ’sogenannte Schulmedizin› & jegliche ’sogenannte Wissenschaft›, aber zum ‹Glück› eine ‹Wissenschaftstheorie› zu Grunde – etwas, das leider immer gerne ‹verdrängt & vergessen› wird ! Und eine ‹Wissenschaftstheorie› beinhaltet bzw. bedeutet, dass es sich um ‹Annahmen› und nicht um ‹Wahrheit› o.Ä. handelt … Von daher sind die in dem Beitrag genannten ‹Annahmen› – inklusive ihrer dazugehörigen ‹Daten› etc. – durchaus auch möglich – selbstverständlich aber durchaus auch noch viele andere mehr …
    Auf jeden Fall ist es ’sinnvoll & notwendig› im ‹Denken, Fühlen & Handeln› viel, viel ‹freier, offener & beweglicher› zu werden – gerade hinsichtlich der ‹Medizin› und allen anderen ‹Wissenschaften›, die einen unmittelbaren ‹Einfluss, Wirkung & …› auf uns Menschen haben !
    Was ist denn eigentlich ‹Gesundheit›, was ist ‹Krankheit›, und wie stehen diese in Beziehung ? Gesundheit ist vielleicht eine Art Mittellage, ein Gefühl des Wohlbefindens bzw. der Stimmigkeit in mir selbst als Mensch. Ja, und Krankheit ist dann eine Art Abweichung davon …
    Darüber darf & kann jedeR gerne selber weiter ’nachdenken› …

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