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Die Schweiz exportiert für fast so viel Geld Tabakprodukte wie Käse © cc

Einzigartige Schweiz: Die Tabaklobby vernebelt das Parlament

Urs P. Gasche /  Die Schweiz will ihre Unabhängigkeit beweisen und Tabakwerbung erlauben, die in allen zivilisierten Ländern verboten ist.

Der Kotau des Schweizer Parlaments vor der Tabaklobby nimmt noch kein Ende. Die Mehrheit der Volksvertreterinnen und Volksvertreter ist noch immer unbeeindruckt davon, dass sich 180 Länder an die Tabakkonvention der Weltgesundheitsorganisation WHO halten. Die Konvention schränkt das Sponsoring der Tabakindustrie sowie Verkaufsförderungen stark ein. Werbeausgaben für Tabakprodukte müssen transparent ausgewiesen werden.
Der Bundesrat hatte die WHO-Konvention zwar bereits im Jahr 2004 unterschrieben, doch das Parlament hat sich unter dem Druck der Tabakindustrie bis heute geweigert, die Konvention zu ratifizieren und damit verbindlich zu machen. Neben der Schweiz halten sich auch Andorra, Liechtenstein und Monaco nicht an die Tabak-Konvention der WHO und schützen die Konzerne.

Jetzt ist das Parlament dabei, ein neues Tabakproduktegesetz einzuführen, welches in der jetzigen Form die einmalige Stellung der Tabakindustrie in der Schweiz für viele weitere Jahre zementieren wird. In den Parlamentsdebatten und in fast alle Medienberichten der letzten Jahre wurde das Wort «WHO-Tabakkonvention» tunlichst vermieden. Der FMH-Facharzt für Pneumologie und frühere Vizepräsident der Lungenliga Schweiz Rainer M. Kaelin wies auf Infosperber wiederholt darauf hin.*

Bersets Bundesamt für Gesundheit interveniert

Spät, aber doch noch machte jetzt das Bundesamt für Gesundheit BAG das Parlament darauf aufmerksam, dass die vorliegende Fassung des Tabakproduktegesetzes dazu führt, dass die Schweiz den völkerrechtlichen Vertrag, den der Bundesrat 2004 unterschrieben hatte, weiterhin nicht ratifizieren könnte. Der Gesetzesentwurf erfülle nicht einmal die minimalen Anforderungen der WHO-Konvention.

Der Einfluss der Tabaklobby kommt nicht von ungefähr: Die weltweit grössten Zigarettenhersteller (ausser des nationalen chinesischen) haben ihr Welt-Hauptquartier in der Schweiz: Philip Morris International PMI, Japan Tobacco International JTI sowie BAT.

Grössere Auflösung der Grafik hier.
Diese Multis produzieren in der Schweiz jährlich rund 40 Milliarden Zigaretten, die sie zu rund 80 Prozent in die Welt exportieren. Besonders stossend: Die Tabakkonzerne exportieren namentlich nach Afrika und Asien besonders starke Zigaretten, die in der Schweiz und in der EU verboten sind (zu hoher Gehalt an Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid). Von Ländern der EU aus dürfen solche Zigaretten nicht exportiert werden. Mit ihrer Exporterlaubnis für diese besonders abhängig machenden Zigaretten demonstriert die Schweiz ihre Unabhängigkeit und Einzigartigkeit.
Die Tabakkonzerne arbeiten zusammen im Verband «Swiss Cigarette». Auf der Homepage prangert die beruhigende Botschaft: «Handel und Tabakbranche engagieren sich für Jugendschutz».
Dieser Lobbyverband unterstützt zusammen mit der SVP und CVP die «Allianz der Wirtschaft für eine massvolle Prävention» (AWMP), die von Economiesuisse und dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) gegründet wurde.

SGV-Direktor Hansueli Bigler nimmt als FDP-Nationalrat die Interessen der Tabakkonzerne im Parlament wahr. Diese Zusammenarbeit ist gut eingespielt. Schon in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts nennen interne Dokumente der Tabakindustrie den Gewerbeverband «ihren Allierten».

FDP-Nationalrat Josef Dittli macht rechtsumkehrt

Bundesrat Bersets Ziel, dass die Schweiz die WHO-Tabakkonvention endlich ratifizieren kann, war im Jahr 2016 noch völlig illusorisch. FDP-Ständerat Josef Dittli hatte seine Haltung verteidigt: «Es gehört zu unserem Staat, dass wir den Liberalismus, die Markt- und die Werbefreiheit hochhalten». Für den «Blick» war er ein «Briefträger der Tabaklobby».
Unter dem Titel FDP-Dittlis 140’000-Franken-Mandat – der Seitenwechsel des «Briefträgers der Tabaklobby» berichtete die Online-Zeitung «Watson» Anfang März 2019, dass der Urner Ständerat unterdessen ein 140’000-Franken-Mandat beim Krankenkassenverband «Curafutura» angenommen hatte. «Dittli war bereit, seine Position innert kürzester Zeit um 180 Grad zu ändern, wenn es den Interessen seines aktuellen Auftraggebers dient», schrieb «Watson». In der Gesundheitskommission des Ständerats verlangte Dittli im letzten Februar vom BAG Vorschläge, wie das Tabakproduktegesetz doch noch WHO-konform ausgestaltet werden könne. Was nichts anderes heisst als: Es braucht Werbeverbote.
Kommentar von «Watson»: «Mit seiner Kehrtwende ist Dittli auf den Kurs seines neuen Arbeitgebers Curafutura eingeschwenkt: Der Verband hielt schon in der Vernehmlassung fest, der Tabakkonsum verursache in der Schweiz vermeidbare Krankheitskosten in der Höhe von jährlich 1,7 Milliarden Franken. Es stelle sich die Frage, ‹ob es sinnvoll ist, ein neues Gesetz zu schaffen, das nicht den international ausgehandelten Mindestvorgaben entspricht›.»

Curafutura-Präsident Dittli meinte dazu, er habe dies «aus taktischen Gründen» vorgeschlagen, da die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» anstehe, die ihm zu weit gehe. Er werde bei seinem Entscheid «die Argumente der Krankenversicherer mit jenen des Liberalismus abwägen».

Eigentlich sollte es weder um Krankenkassen noch um Liberalismus gehen, sondern um die Volksgesundheit, insbesondere den Schutz der Jugend. Und um die Solidarität mit 180 anderen Ländern, welche die Werbung und das Marketing für Tabakprodukte stärker eingeschränkt haben als die Schweiz.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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3 Meinungen

  • am 20.04.2019 um 13:35 Uhr
    Permalink

    Was denken Sie Herr Gasche, die Schweiz lässt sich doch von der WHO ihr Dreckgeschäft nicht verbieten, das sind fremde Richter! Rendite kommt vor Jugendschutz, mindestens bei den Politikern, die wir gewählt haben. Aber es stehen ja Wahlen an.

  • am 22.04.2019 um 18:01 Uhr
    Permalink

    Wieder einmal mehr: Internationale Konzerne mit Sitz in der Schweiz, die mit ihrer Geschäftspolitik das Ansehen der Schweiz nachhaltig schädigen und es schönfärberisch vertuschen.

  • am 23.04.2019 um 11:38 Uhr
    Permalink

    Auch in der Tabakindustrie wird ein Versagen des neoliberalen Systems klar erkennbar:
    Der Standortvorteil Schweiz garantiert so lange wie möglich den bestmöglichen Profit der Tabak-Multis und Profit ist in diesem System «ein höheres moralisches Gut» als die Tabakkonvention der WHO. Hier – wie auch beim UNO-Gewalt- und Sanktionsverbot – helfen Schweizer ParlamentarierInnen mit, sinnvolle UNO-Regeln zu torpedieren. Markt vor Moral.
    Profit kommt selbstverständlich auch vor Suchtförderung und Gesundheit in der 3. Welt (Export billiger, illegaler Zigaretten).
    E-Zigaretten enthalten zwar weniger Verbrennungsstoffe, dafür mehr Nikotin. Damit ist die Strategie klar: Mehr E-Raucher süchtig machen und abkassieren.
    Profit ist sogar wichtiger als die Sucht und Gesundheit der eigenen Kinder oder der Kinder des Nachbarn …
    Unterstützen Sie die Initiative der Schweizer Ärzte «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung».

    Wir können unser Geld auch moralischer und nachhaltiger verdienen und anlegen, z.B. im Rahmen der Energiewende und innerhalb einer regionalen Ökonomie. Auch dafür gibt es gute Beispiele.
    Einziger «Nachteil»: Dann würden viele davon profitieren und nicht nur eine kleine, Steuern-vermeidende Elite.

    Gerechtigkeit ist der Boden, auf dem Frieden wachsen kann.
    https://www.friedenskraft.ch/

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