Kommentar

Schweiz verpasst Podium bei Tierversuchen

Beat Gerber © bg

Beat Gerber /  Unser Land schwingt nicht nur einzigartig im Sägemehl, sondern forscht auch mit Versuchstieren an der Weltspitze.

Wir leben unweigerlich in einer Welt der fortlaufenden Wettbewerbe. Am populärsten sind die Sportanlässe, aber auch am kurzlebigsten: Bereits vergessen die Fussball-EM in Frankreich, abgehakt die Olympischen Spiele in Rio, bald vorbei das Eidgenössische Schwingfest im freiburgischen Estavayer-le-Lac. Dort kämpfen nächstes Wochenende nicht nur die Schwinger um den Siegermuni und andere Gaben, auch Hornusser und Steinstösser lassen sich vom begeisterten Publikum beklatschen. Jedes Volk hat die Traditionssportarten, die es verdient.

Weit weniger Applaus als am Volksfest des Hosenlupfs gibt es bei einer andern Disziplin. Auch hier wetteifert die Schweiz in den vorderen Rängen mit, und dies auf internationalem Niveau. Genauso wie im hiesigen Sägemehl spielt das Land seine mondialen Stärken in den Forschungslabors aus. Doch bei den Tierversuchen wird nicht gross auf die PR-Pauke gehauen, der Wettbewerb findet hinter verschlossenen Käfig-Türen statt.

Kleinlaute Meldung aus dem Bundesamt

So meldete kürzlich das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) etwas verschämt, dass im letzten Jahr landesweit 682‘000 Tiere für Tierversuche eingesetzt wurden, das entspreche einer Zunahme von 12,5% gegenüber dem Vorjahr. Der Grund dafür seien Verhaltensstudien an grossen Herden (Geflügel) und Artenschutzprojekte (Amphibien). Den Küken und Kaulquappen sei es gegönnt! Über drei Viertel der Tiere kämen in nicht oder wenig belastenden Versuchen zum Einsatz, beschwichtigte das BLV. Zwei Drittel würden in der Grundlagenforschung verwendet, 60% seien Mäuse.

Die hochsommerliche Meldung des Bundesamts blieb unbeachtet, wurde sie doch vom olympischen Gebrause und dem Burkaverbot-Hype übertönt und in den Medien nicht weiter eingeordnet. Wer jedoch genau hinschaut, sichtet unser Land bei der Versuchstier-Dichte weltweit auf einem Spitzenplatz. Zwar hat die Schweiz das Podium verfehlt, doch Rang vier ist der forschungsintensiven Eidgenossenschaft sicher, noch vor Japan platziert (siehe Statistik unten).

Millionen Fische für Arzneien-Tests

Unangefochten die Nummer 1 ist Norwegen, wo statistisch auf jeden Einwohner ein Versuchstier kommt. 80% davon sind Fische, die im Dienste von klinischen Versuchen mit Medikamenten rumschwimmen. Auch Australien auf Platz 2 entpuppt sich als kontinentales Grosslabor für Tierexperimente, abseits (down under) vom Schuss des aktuellen ethischen Diskurses. Erstaunlich Kanada auf Rang 3 (ein liberales Forschungsparadies?), knapp vor der tierrechtlich strammen Schweiz klassiert. Gefährlich werden könnten uns künftig Japan und Grossbritannien (nach dem Brexit?), hingegen liegen unsere grösseren Nachbarländer Deutschland und Frankreich abgeschlagen weiter hinten.

China ist wegen der hohen Bevölkerungszahl chancenlos, trotz seines Landesweltrekords von 20 Millionen Versuchstieren. Jedenfalls bleibt der globale Wettkampf um die grösste Versuchstier-Dichte weiterhin spannend, eine akademische Auszeichnung dafür ist aber kaum zu erwarten. Ein solches Experiment brächte der Wissenschaft vermutlich kein lobendes Schulterklopfen und würde ihren Ruf wohl tierisch belasten.
********

Zur Statistik: Weltweit werden jährlich schätzungsweise mehr als 100 Millionen Tiere für Versuche (Forschung, Ausbildung etc.) eingesetzt. In den einzelnen Ländern sind die Tierversuche statistisch unterschiedlich erfasst, manchmal auch unvollständig (hohe Dunkelziffer). Die Eigenrecherche stützt sich auf mehrere (meist offizielle) Quellen (für 2014 bzw. 2015) und ergibt folgende Reihenfolge betreffend Versuchstier-Dichte (Anzahl Versuchstiere pro Kopf der Bevölkerung):
1. Norwegen (5,5 Mio. Versuchstiere jährlich (80% Fische) / 5,3 Mio. Einwohner / Dichte 1:1, d.h. 1 Versuchstier pro 1 Einwohner)
2. Australien (7 Mio. / 24,3 Mio. / 1:3,5)
3. Kanada (3,75 Mio. / 36,3 Mio. / 1:10)
4. Schweiz (682‘000 / 8,3 Mio. / 1:12)
5. Japan (ca. 10 Mio. / 126,5 Mio. / 1:13)
Weitere relevante grössere Länder: Grossbritannien (4,1 Mio. / 64 Mio. / 1:15), USA (ca.16 Mio. / 324 Mio. / 1:20), Deutschland (2,8 Mio. / 81 Mio. / 1:29), Frankreich (2,2 Mio. / 66 Mio. / 1:30), China (ca. 20 Mio., Land mit höchster Gesamtzahl Versuchstiere / 1,38 Mia. Einwohner / 1:69), Russland (keine Angaben, ohne gesetzliche Regelung).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist Beat Gerber publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i», auf der diese Glosse erschien.

Zum Infosperber-Dossier:

Beat_Gerber_200

Beat Gerber: Tüpfelchen auf dem i

Die Welt ist Satire. Deshalb ein paar Pastillen für Geist und Gaumen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.
Beat_Gerber_200

Beat Gerber

Der langjährige TA-Wissenschaftsjournalist und ehemalige ETH-Öffentlichkeitsreferent publiziert auf www.dot-on-the-i.ch Texte und Karikaturen. Kürzlich erschien sein erster Wissenschaftspolitkrimi «Raclette chinoise» (Gmeiner-Verlag).

3 Meinungen

  • am 23.08.2016 um 14:21 Uhr
    Permalink

    solange es schlachthäuser gibt, wird es auch schlachtfelder geben (leo tolstoi).
    tierversuche sind foltermethoden an unseren treusten freunden.
    der mangel an empathie und die normalität der gier zeichnet sich auch daran ab, dass unser land die nummer 2 ist, bezüglich waffenexporten pro kopf.
    weiter investieren unsere pensionskassen in folter und kriege – – –

    dass dieses ‹business as usual› nebenwirkungen auf uns hat, ist garantiert.
    wir erwachen viel zu spät (!?) – – –
    – ausser die infosperber-menschen werden aktiv gegen all diese formen von gewalt.

    http://www.fairch.com/agieren-sie-mit/f%C3%BCr-faire-renten/

  • am 23.08.2016 um 19:51 Uhr
    Permalink

    Ein Grossteil der Versuche sind auch Fütterungsversuche für die Schlachtindustrie. Nach den Versuchen werden die Tiere getötet, das gilt als Schweregrad Null. Die Lösung ist daher einfach: Hören wir auf, diesen Leuten unser Geld zu spenden! Jeder Franken für die Fleisch-, Milch- und Eierindustrie ist ein Franken für solche unnötigen Fütterungsversuche.

    Da wird niemandem das Leben gerettet, im Gegenteil, es werden unnötigerweise Tierleben vernichtet und Menschenleben durch Übergewicht und Klimawandel in Gefahr gebracht. Hören wir doch einfach damit auf!

  • am 29.08.2016 um 19:30 Uhr
    Permalink

    Es wird einem beinahe übel, wenn man sich über das Ausmass der Tierversuche informiert hat. In den Augen der nordischen Spitzenforscher sind Fische kaum ernstzunehmende Lebewesen, wie bei uns etwa die Mäuse. Wenn man bedenkt, was sonst noch auf dem Folter- und Mordplan alles läuft, kann man nicht mehr davon ausgehen, dass die Menschheit ein Ueberlebensrecht hat. Dieses Geschkechtr ist wohl das Mordgierigste und Dümmste, was die Evolution hervorgebracht hat. Und da soll – nach Ansicht gewisser Leute – noch ein Gottvater im Spiel gewesen sein …

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...