Sprachlupe: In die Mundart eingewandert

Daniel Goldstein /  Als Ausschwärmen noch kein Problem war, haben Gymnasiastinnen mit Reportagen erkundet, wie es Eingewanderte mit der Mundart halten.

Wer in die Deutschschweiz einwandert, wandert auch in mindestens einen Dialekt ein und kann ein Liedchen davon singen, was für Irrungen und Wirrungen das mit sich bringt. Singen geht sogar besonders gut, wie eine aus Norddeutschland stammende Physiotherapeutin einer Schülerin des Berner Gymnasiums Kirchenfeld erzählt: «Das Singen auf Schweizerdeutsch fiel mir schon immer leichter als das Sprechen. Wenn sich Sprache und Musik verbinden, fallen Dinge wie die perfekte Aussprache nicht mehr ins Gewicht. Manchmal würde ich mir schon wünschen, Mundart reden zu können. Aber die allermeisten Leute stört es nicht, wenn ich mit ihnen Hochdeutsch spreche.»
Das Gespräch über Sprache gehört zum Schulprojekt «Selbst organisiertes Lernen», bei dem u. a. Reportagen erarbeitet werden. Einige davon sind in der Februarnummer der Zeitschrift «Sprachspiegel» abgedruckt (gratis: probeheft@sprachverein.ch), wei­tere hat mir die liebenswürdige Klasse via Lehrer zur Verfügung gestellt. Es geht dabei nicht nur um Eingewanderte; hier greife ich diesen Aspekt heraus.

Verstehen ist die Hauptsache

Dialekt wenigstens zu verstehen, ist für die Physiotherapeutin bei der Arbeit wichtig: «Für Personen, die sich im Hochdeutschen nicht wohlfühlen, ist das oft sehr erleichternd.» Beim Lernen halfen ihr Kollegen, indem sie genau deshalb fast von Anfang an Mundart mit ihr redeten. Bei solchen «zweisprachigen» Unterhaltungen ist es geblieben. Manchen Deutschschweizern ist das ohnehin lieber, als selber Hochdeutsch zu reden: «Ich spreche es nicht sonderlich gerne, da ich es nicht so gut kann. Wegen meines ausgeprägten Schweizer Akzents fühle ich mich eher gehemmt und etwas unwohl», bekennt eine Arbeitskollegin.

Willig und chillig

Zwei aus Osteuropa stammende Frauen «ärgern sich darüber, dass Deutschschweizer im Gespräch mit ihnen oft auf Hochdeutsch wechseln», heisst es in einer anderen Reportage. Gut gemeint ist hier nicht gut: «Man soll Schweizerdeutsch mit mir reden, damit ich auch etwas lerne!», sagt eine 50-Jährige, die mit 19 in die Schweiz gekommen ist. Sie «arbeitet als Krankenschwester und spricht an ihrem Arbeitsplatz fast nur Berndeutsch»; damit fühlt sie sich am wohlsten, da es «im Vergleich zum Hochdeutschen weniger streng geregelt ist. Genau wegen diesem Grund ist es einfacher für ältere Menschen, Schweizerdeutsch zu lernen anstatt Hochdeutsch.»

Eine Mitschülerin der Reporterin ist als 13-Jährige ins Land gekommen – also in einem Alter, das in der Regel gerade noch erlaubt, die Sprache der neuen Umgebung akzentfrei zu lernen. Sie lernte aber zunächst in Kursen Hochdeutsch. Dank den Pausengesprächen versteht sie inzwischen auch Berndeutsch, lacht aber «laut heraus» bei der Frage, ob sie sich vorstellen könne, eines Tage selber Mundart zu reden. Immerhin hofft sie, bald den Mut aufzubringen, es zu tun, schliesslich sei Berndeutsch «chilliger».

«Teil der Gesellschaft»

Auch eine Familie aus Lateinamerika setzte nach der Ankunft, um bald auf eigenen Füssen zu stehen, auf Hochdeutsch, und so musste eine Zwölfjährige «‹jeden Tag diese neue Sprache diszipliniert auswendig lernen›. Heute spricht die 50-Jährige problemlos Hochdeutsch. Das Schweizerdeutsche versteht (sie) zwar ohne Probleme, was ihr im Kontakt zu ihren Nichten und Neffen sehr zugute kommt. Die gesprochene Sprache ihrer neuen Heimat ist ihr jedoch bis heute fremd geblieben.»

Anders redet in dieser Reportage eine Doppelbürgerin, als Kind aus Italien gekommen: «Der regionale Dialekt ist ein so wichtiger Teil der Kultur. Um sich Teil der Gesellschaft zu fühlen, hilft es, diesen zu sprechen.» Ein Mann mit gleichem Hintergrund «gibt aber zu bedenken, dass die Bereitschaft, eine neue Heimat zu akzeptieren, auch da sein muss». Wer – auch sprachlich – heimisch werden will, dem sollten Deutschschweizer mundartlich entgegenkommen, finde ich; wer sich aber lieber auf Hochdeutsch unterhält, darf von Einheimischen auch diesen Effort erwarten.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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