Sprachlupe: Dürrenmatts Deutsch ist klassisch helvetisch

Daniel Goldstein /  Friedrich Dürrenmatts Sprache ist schweizerisch, aber selten mundartlich. Übereifrigen Lektoren scheint er widerstanden zu haben.

«Es gibt Kritiker, die mir vorwerfen, man spüre in meinem Deutsch das Berndeutsche. Ich hoffe, dass man es spürt. Ich schreibe ein Deutsch, das auf dem Boden des Berndeutschen gewachsen ist. Ich bin glücklich, wenn die Schauspieler mein Deutsch lieben. Ich dagegen liebe Berndeutsch, eine Sprache, die in vielem dem Deutschen überlegen ist. Es ist meine Muttersprache und ich liebe sie auch, weil man eine Mutter liebt.» Das schrieb Friedrich Dürrenmatt im 1968 veröffentlichten Essay «Zu einem Sprachproblem». Deutsch, verstanden als Hochdeutsch, ist demnach für einen Deutschschweizer Schriftsteller «gleichsam seine ‹Vatersprache›».

Auf Morgenessen folgt Abendbrot

Den bekanntesten Niederschlag hat die schweizerische Prägung seiner Sprache in einer Szene aus der Komödie «Romulus der Grosse» gefunden, wo der Titelheld den Diener, der auf «Frühstück» besteht, so zurechtweist: «Das Morgenessen. Was in meinem Hause klassisches Latein ist, bestimme ich.» Diesen Satz baute Dürrenmatt erst ein, weil auf einer Probe ein deutscher Schauspieler statt «Morgenessen» eben «Frühstück» sagen wollte. Es geht hier nicht um Dialekt: «Zmorge» stand nicht zur Diskussion. «Morgenessen» ist Hochdeutsch, nur eben im Duden als «schweizerisch» markiert, ohne den Zusatz «mundartlich». Es ist ein Helvetismus, und es gibt keinen Grund, ihn zu meiden, denn er ist auch für Norddeutsche problemlos verständlich.

Ebenso verstehen wir «Abendbrot», auch wenn es in der Schweiz ungebräuchlich ist. In den «Physikern» legt es Dürrenmatt dem deutschen Oberpfleger in den Mund; die sprachliche Authentizität der Figur ist ihm wichtiger als die eigene. Besonders häufig verwendet er Helvetismen, wenn er über schweizerische Verhältnisse schreibt. Den «Besuch der alten Dame» hat er zwar nicht ausdrücklich in der Schweiz stattfinden lassen, aber «Güllen» als Ort des Geschehens ist deutlich genug. Auch in anderen Werken finden sich Helvetismen vor allem dort, wo sie Lokalkolorit vermitteln. Das zeigt eine Übersicht des Centre Dürrenmatt in Neuenburg. Dort ist von 14. 4. bis 20. 7. eine Ausstellung über Helvetismen zu sehen. Danach ist sie für andere Orte verfügbar.

Spärliche Spur des Lektors

«FD legte Wert darauf, ein Schweizer Autor zu sein. Deshalb wollte er auch keinen deutschen, sondern einen Schweizer Lektor», berichtete 2015 im «Tagesanzeiger» Thomas Bodmer, ebendieser Lektor der Gesamtausgabe von 1991. Und doch will er den Autor – zuweilen mit List – dazu gebracht haben, etwa «Falle» in «Klinke» zu ändern oder «Finken» in «Pantoffeln». Indes, sogar die mundartlichen «Finken» blieben stehen, zumindest jene der Mutter des Schriftstellers, in «Mondfinsternis». Von den zwei «Fallen» in «Grieche sucht Griechin» hat die erste das Lektorat ebenfalls überstanden; wer noch nicht weiss, dass man sie an einer Türe drückt, erfährt es bei der Lektüre.

Helvetismen hatte der Autor in dieser Prosakomödie von 1955 sparsam eingesetzt. In französisch angehauchter Umgebung steht mehrmals «Trottoir», aber «Gehsteig» kommt ebenfalls vor. Ein Schweizer Einwanderer ist «Gödu Bielers Gusti». Auch manch anderes Personal trägt Schweizer Namen; helvetisch mutet zudem ein «Weltgesundheitsämtler» an. Erst als sich das Geschehen dramatisch zuspitzt, werden die Helvetismen etwas häufiger: «flattieren», «Quartier» (einer Stadt), sogar Mundartliches wie «Spriessen» (von «spriessigem» Holz abgesplittert) oder «Kännel» am Dach.

Nur aus (telefonisch) «anzuläuten» wurde «anzurufen»; die anderen genannten Ausdrücke blieben in der Gesamtausgabe – gnädige Blindheit des Lektors oder löblicher Starrsinn des Autors. Ob Dürrenmatts ursprüngliche Wortwahl dem ungestümen Schreibeifer oder der stilistischen Absicht zu verdanken war, lässt sich kaum noch ermitteln. Im späteren Werk diente ihm Schweizerisches, wenn auch bei Weitem nicht so üppig und urchig wie bei Gotthelf, als deutlich erkennbares Stilmittel. Er bestimmte, was in seinem Werk passendes Deutsch ist.
© Daniel Goldstein


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel». Deren Herausgeber SVDS ist an der Ausstellung im CDN beteiligt. Die «Sprachlupe» erscheint auch im «Bund», und die Sammlung kann hier durchsucht werden.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

3 Meinungen

  • am 6.04.2019 um 17:57 Uhr
    Permalink

    Klar, dass es mich als Berner komisch anmutet, über Kritik an Dürrenmatts berndeutsch-lastiger Wortwahl zu lesen. Sicher bin ich, dass nicht die Wortwahl der Grund war, dass Dürrenmatts Botschaften nicht von allen geschätzt und verstanden wurden. Kaum einer hat der Gesellschaft schalkhaft aber tiefsinnig den Spiegel vorgehalten als Dürrenmatt. Etwa in seiner Rede «Die Schweiz- ein Gefängnis» (1990)vor Vaclav Havel, mit der er Bundesrat Furgler zur Weissglut trieb. Vielleicht hat ihm ja sein Berner-Touch den Nobelpreis gekostet? Gestört hätte ihn das wohl aber kaum.

  • am 6.04.2019 um 21:16 Uhr
    Permalink

    Als aus dem Hochschwarzwald stammender Deutscher kenne ich sogenannte «Helvetismen» wie «Türfalle», «Finken», Dach-"kännel», «Spriessen», «anläuten» und sogar das «Trottoir» als zum heimatlichen Dialekt gehörend. Ich bin zwar im Elsässer Dialekt nicht bewandert, vermute aber, dass diese «Helvetismen» dort ebenso gebräuchlich sind.
    Alemannisch wird eben nicht ausschliesslich in der «deutschen» Schweiz gesprochen.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 6.04.2019 um 22:19 Uhr
    Permalink

    Mit der Bezeichnung «Helvetismus» wird keine Exklusivität für die Schweiz beansprucht. Es ist nur so, dass die genannten Wörter, die für Herrn Dinter auch zu seinem Schwarzwälder Dialekt gehören, bei uns zudem als standardsprachlich gelten. In Baden-Württemberg aber bestätigen sie die Eigenwerbung, man könne dort alles ausser Hochdeutsch.

    Was zur Standardsprache gehört, ist nicht genau definiert, wird aber z. B. von der Duden-Redaktion anhand publizierter Texte ermittelt. Wird ein Wort (fast) nur in der Schweiz geschrieben, so erhält es den Eintrag «schweizerisch». Steht auch «mundartlich» bzw. «mundartnah» dabei, so findet sich das Wort praktisch nur bei der Wiedergabe oder Imitation mündlicher Äusserungen.

    Ein besonders interessanter Fall ist «anläuten»: Da ist nicht das Wort an sich ein Helvetismus, sondern die Verwendung mit Dativ, im Duden: «jemanden, süddeutsch a u c h, schweizerisch n u r jemandem anläuten» (also mit m). Hier ist Süddeutschland gewissermassen ein «zugewandter Ort», wo manchmal der helvetische, manchmal der bundesdeutsche Sprachgebrauch gepflegt wird.

    Bevor der Lektor «einen Arzt anzurufen» durchsetzte, stand bei Dürrenmatt «einen Arzt anzuläuten». Auf den helvetischen Dativ hatte der Schriftsteller also von Anfang an verzichtet, und das Wort hätte auch der auf BRD-Deutsch erpichte Lektor gemäss Duden akzeptieren müssen: «anläuten» stand schon damals drin, nur punkto Dativ regional markiert.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...