Moria_Lesbos

Das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos © UNHCR

Für die Abschiebung von Asylbewerbern ist Fliegen erlaubt …

Christian Müller /  Kinder in Flüchtlingslagern lässt man hungern, aber für die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern gibt es teure Extraflüge.

Noch am 24. Januar hatte Bundesrätin Karin Keller-Sutter angekündigt, die Schweiz sei bereit, eine Anzahl minderjährige Flüchtlinge aus den überfüllten Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos zu übernehmen. Einen Zeitpunkt wollte sie dazu nicht nennen. Und am 10. Februar liess das Migrationsamt offiziell verlauten, Griechenland zu unterstützen und sogenannte UMAs, unbegleitete Jugendliche, übernehmen zu wollen. Passiert ist natürlich noch nichts. In Corona-Zeiten ist ja alles schwieriger und komplizierter …

Und wie ist es in umgekehrter Richtung, mit der Abschiebung von Asylbewerbern in Zeiten, da fast jeglicher Flugverkehr zum Erliegen gekommen ist?

Die deutsche Tagesschau hat sich erlaubt, das Thema aufzugreifen und zu vermelden, dass Deutschland weiterhin komplizierte und teure Abschiebungen auch zum Beispiel nach Afrika vornimmt. Und sie hat sich auch erlaubt, zum Fall einer nach Togo in Afrika abzuschiebenden Frau zwei kritische Kommentare abzudrucken: «‹Ein Stück aus Absurdistan›, sagt ihr Anwalt Peter Fahlbusch. Weltweite Solidarität sei gefragt. ‹Das bedeutet, dass man niemanden in Gebiete schickt, wo das Gesundheitssystem jetzt sowieso schon am Boden liegt. Das gehört sich einfach nicht.›»

Und die Tagesschau an anderer Stelle: «Dass überhaupt mitten während der Corona-Krise Abschiebungen stattfinden, hält Bellinda Bartolucci von Pro Asyl für unverantwortlich: ‹Ganze Länder fahren gerade ihre Aktivitäten herunter. Es besteht kein regulärer Flugverkehr. Einreiseverbote werden von Staaten verteilt. Und Deutschland macht einfach alles möglich, um eine einzelne Frau nach Togo abzuschieben.›»

Und wie sieht das in der Schweiz aus?

Infosperber hat sich erlaubt, beim Migrationsamt (SEM) nachzufragen. Die wie verlangt schriftliche Antwort: «Bei Rückführungen in die Herkunftsstaaten prüfen die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen im Einzelfall, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Rückführung möglich ist. Dies ist abhängig von den Einreisebeschränkungen, den flugtechnischen Rahmenbedingungen sowie allfälligen gesundheitlichen Risiken für die an den Rückführungsaktionen beteiligten Personen.» Aha: Die gesundheitlichen Risiken der «beteiligten Personen» – also der Piloten und der Polizisten – werden beachtet. Und wann fanden die letzten Abschiebungen denn statt? Infosperber fragte explizit nach den «genauen Daten» für die verschiedenen Länder. Die Antwort des Migrationsamtes SEM:

«Mittlerer Osten: März 2020
Naher Osten: Dezember 2019
Maghreb: März 2020
Subsahara (West- und Ostafrika): März 2020»

Und die genauen Daten?

Die Antwort des Migrationsamtes SEM: «Präzisere Angaben darf das SEM hier nicht zur Verfügung stellen.»

Man merke: Das Herausholen und die Übernahme von unbegleiteten Kindern aus den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern zum Beispiel auf Lesbos ist im Moment nicht möglich, wir haben ja ausserordentliche Reise- und Flugbeschränkungen. Die Abschiebung von einzelnen abgewiesenen Asylbewerbern mit teuren Extraflügen und mit polizeilicher Begleitung aber geht sehr wohl – auch «im März» 2020, ohne genaues Datum. Kann es sein, dass man das genaue Datum nicht erfahren darf, weil auch noch Abschiebe-Extraflüge stattgefunden haben, als in der Schweiz zu unserem eigenen Schutz sonst alles schon blockiert war?

Früher kannte man noch das Sprichwort: «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.» Heute passender wäre: «Wo ein Wille wäre, wäre auch ein Weg.»

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Siehe dazu auch
«Skandal»: Schweiz soll Corona-Flüchtlinge aus Moria aufnehmen (auf nau.ch)

Auch die Antirassismus-Organisation «antira.org» hat zu diesem Thema beim EJPD nachgefragt. Einzelne Abschnitte der Antwort sind wörtlich deckungsgleich. Ihr aber wurde bestätigt, dass auch nach den Lockdown-Massnahmen des Bundesrates am 16. März solche Rückführungen durchgeführt wurden.

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Nachtrag vom 9.4.2020 um 16 Uhr:

  • Auch die ganz Reichen dürfen fliegen …

Aus dem Engadin werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Flugplatz Samedan im Engadin auf Anraten des BAZL (Bundesamt für Zivilluftfahrt) seinen Betrieb eingeschränkt hat, dass aber die Privatjets der Reichen und Superreichen (mit einem Gewicht über 3000 kg) dort nach wie vor starten und landen dürfen, wenn der Flugplatzchef ihnen das erlaubt. Und der Flugplatzchef ist der Unterstellte von Urs E. Schwarzenbach, bekanntgeworden als Besitzer des Zürcher 5-Stern-Luxushotels «The Grand Dolder» in Zürich, dem auch die Konzession des «Engadin Airport» gehört. – Solidarität unter den Reichen.


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3 Meinungen

  • am 9.04.2020 um 13:45 Uhr
    Permalink

    Es gibt immer einen Grund zu meckern – lasst unsere Behörden ihre Arbeit tun, Dauergemecker ist einfach und billig.

  • am 10.04.2020 um 00:03 Uhr
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    Danke, diese beissende Ungleichheit in der Behandlung von Menschen musste unbedingt einmal aufgezeigt werden!

  • am 10.04.2020 um 14:01 Uhr
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    Es ist ein Skandal, wie sich die wohlhabende und gut gerüstete Schweiz um jede Verantwortung drückt. Und nein, Herr Arnold, hier geht es nicht um «Gemecker»: die Leute, die wir sehr wohl vor dem Verrecken retten könnten, haben ein Recht auf Asyl, mindestens auf die individuelle Prüfung des Gesuchs. Und die Schweiz als Mitglied des Schengenraums verrät Alles, was wie ein «Westlicher Wert» oder ein «Humanitäres Prinzip» aussieht, inkl., wie gesagt, der Menschrechte.
    Es handelt sich hier längst nicht mehr um Behörden: das sind Täter! Solche, die sich nie für ihre Taten werden verantworten müssen und die das wissen! Ein Skandal, wie gesagt.

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