Eva_Aeppli_Portrait

Eva Aeppli vor einem ihrer Werke © Kehrer

Eva Aeppli, Akrobatin zwischen Himmel und Erde

Roger Anderegg /  Bevor sie sanft in Vergessenheit gerät, gibt es sie neu zu entdecken – diese starke, unverwechselbare Figur der Schweizer Kunst.

Zu ihrer zweiten Einzelausstellung – 1959 – lud ihre schlaue Pariser Galeristin mit hautfarbenen Einladungskarten und dem Motto: «Strip-Tease par Eva Aeppli». Doch die morbide Figur auf der einschlägigen Bilderfolge, die dann in der Galerie zu sehen war, gemahnte mit ihrem blanken Gerippe eher an ein KZ-Opfer als an eine erotische Tänzerin. Schon damals typisch Eva Aeppli, könnte man rückblickend sagen: doppeldeutig, hintersinnig, tückisch – und dabei klar und entschieden in der sozialen und politischen Parteinahme. Die Nazigräuel des Zweiten Weltkrieges sind aus Aepplis bildnerischem Werk nicht wegzudenken.

Nicht umsonst nannte sich die damals mit Jean Tinguely verheiratete Zeichnerin selber gerne eine «Akrobatin zwischen Himmel und Erde» – und führte das tatsächlich auch als Berufsangabe auf einer frühen Visitenkarte mit. Der Erde sah sich Eva Aeppli (1925–2015) verbunden nur schon durch den Existenzkampf als damals mehr oder weniger brotlose Künstlerin in Paris, und dem Himmel fühlte sie sich ihr Leben lang nah, weil sie den Tod als ständigen Begleiter empfand, sowohl in ihrer Vorstellungswelt als auch in ihrem gestalterischen Werk.

Schon an der Gewerbeschule in Basel begegnet die Tochter eines Lehrers an der Steiner-Schule dem Tausendsassa Jean Tinguely, damals Dekorateurlehrling im Warenhaus Globus. Und ein paar Jahre später ist da ein Dritter im Bunde, auch er eine markante Erscheinung, damals Tänzer, später eine richtungweisende Figur der zeitgenössischen Kunst: Daniel Spoerri. Diese drei Grossen der damaligen Schweizer Avantgarde, zu denen sich später auch der gewichtige Eisenplastiker Bernhard Luginbühl gesellt, bleiben ihr Leben lang eine verschworene Clique, sich gegenseitig beeinflussend und inspirierend, auch wenn die Ehe zwischen Eva und Jeannot gerade mal zehn Jahre hält. Scheidungsgrund ist übrigens die Fünfte im Bunde, die später nicht weniger berühmte Malerin und Bildhauerin Niki de Saint Phalle.

Tierkreiszeichen als Bronzekopf: «Widder, Germinal» (1980-1998, Bronze, grün patiniert; Garden of the Zodiac, Old Market, Omaha, Nebraska); Foto: Vera Mertz-Mercer, Omaha

Während Jeannot sein Leben lang an seinen fantastischen Maschinen werkelt, wechselt Eva Aeppli vom Schwarzweiss ihrer Kohlezeichnungen zu Ölbildern, lebensgrossen Textilskulpturen und Bronzeköpfen, doch ihr Thema bleibt stets die Einsamkeit, die Endlichkeit, der Tod. Ihr Leben und Schaffen findet seinen kreativen Niederschlag aber auch in ihren legendären «Livres de Vie», 15 grossformatigen «Lebensbüchern», die sowohl Tagebücher als auch Skizzenbücher sind und damit eigenständige Kunstwerke. Als Aeppli 1954, von Freund Daniel Spoerri geschickt arrangiert, erstmals ausstellen kann, verkauft sie nicht ein einziges Bild. Derweil gelingt dem Tüftler Tinguely 1959 mit seinen Zeichenmaschinen, den Méta-Matics, mit denen er die abstrakte Malerei persifliert, der Durchbruch.

In Aepplis Weltsicht wie in ihrem Werk war und blieb der Tod ein ständiger Begleiter, weshalb sie vielen als «die Malerin des Todes» galt. Sie kannte schwere Krisen und erwog mehr als einmal ihren vorzeitigen Abgang. Doch als sie sich dann, inzwischen bald 90 Jahre alt, mit der Autorin des vorliegenden Kunstbandes noch einmal über ihre Todessehnsucht unterhielt, sagte sie – halb spöttisch, halb bedauernd –, sie fände momentan vor lauter Betrieb einfach nicht die Zeit fürs Sterben …

Stets doppeldeutig und hintersinnig: «Selbstportrait III» (1959, Kohle auf Papier; Standort unbekannt); Foto: Antonio Ruffaldi Santori, Arcidosso

Von ihrer Arbeit machte Eva Aeppli nie grosses Aufheben. «Über Kunst spreche ich nicht», pflegte sie Besuchern resolut zu erklären. «Entweder sehen und spüren Sie etwas, oder Sie lassen es bleiben.» Jetzt gibt uns die Kunsthistorikerin Heidi Violand-Hobi mit ihrer prächtigen Monografie eine neue Chance, Leben und Werk unserer inzwischen schon sanft vergessenen grossen Lady der Schweizer Kunst zu würdigen. Für viele mag es jetzt gar schon eine Entdeckung sein.

Das Buch zu Eva Aepplis Lebenswerk

Heidi Violand-Hobi: «Eva Aeppli – Akrobatin zwischen Himmel und Erde». Kehrer Verlag, Heidelberg und Berlin 2020. 176 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. CHF 52.90.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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