Kommentar

Corona-Futter für den Amtsschimmel

Helmut Scheben Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autorskeine © zvg

Helmut Scheben /  Zu den skurrilen Auswüchsen des Lockdown gehören Absperrungen von Wald und Felsen.

Bei La Heutte im Bieler Jura gibt es ein Klettergebiet, das Le Paradis heisst. Gestern Morgen lag das Tobel friedlich in der Morgensonne, man hörte nur heiteres Vogelgezwitscher. Weit und breit kein Mensch. Doch dann kommt unser Aufstieg zu den Felsen unerwartet zum Halt: eine Absperrung mitten im Wald. Auf Schildern teilt uns die Municipalité in einwandfreier Amtssprache mit, das ganze Gebiet sei geschlossen «jusqu’à nouvel avis suite au COVID-19».


Klettern verboten: Im Bieler Jura werden wegen Corona Felsen gesperrt. (Bild: Helmut Scheben)

Nun war uns zwar bekannt, dass der Bundesrat Ansammlungen von mehr als fünf Personen bei Androhung einer Ordnungsstrafe untersagt hat. Dass aber auch das Betreten von Wald und Felsen verboten sein sollte, hatten wir bislang nicht vernommen. In Klettergebieten kann man zwar an sonnigen Tagen im Sommer schon hier und da mehrere Seilschaften antreffen, aber wohlgemerkt: Seilschaften. Diese bestehen beim Sportklettern in der Regel aus zwei Personen. Geführte Seilschaften mit fünf Personen habe ich in 50 Jahren alpinistischer Aktivität bisher nur auf Gletscherwanderungen gesehen. Im Wald von Le Paradis wurde aber bisher keine Gletscherbildung festgestellt.

Bewegung ist gut für die Gesundheit

Dort ist wohl selbst an einem Sonntag bei schönstem Kletterwetter nicht ein Bruchteil der Leute anzutreffen, die ich derzeit in der Nähe meiner Zürcher Wohnung jeden Morgen sehe: Gruppen von Menschen, Cervelat bratend, Ball spielend auf den Wiesen im Hürstholz. Nicht zu reden von den Biker- und Joggergruppen am Greifensee, am Türlersee oder wo auch immer im Grünen. Und das ist auch gut so.

Denn für die Gesundheit ist es sicher besser, wenn die Leute sich bewegen und hinaus gehen in die Natur. Das wird uns jedenfalls seit eh und je von Ärztinnen, Gesundheitsbehörden und Krankenkassen gepredigt. Bislang wurde man als Schädling an der Volksgesundheit kritisiert, wenn man nicht ein paar tausend Schritte am Tag getan hatte.

Dann kam die Corona-Krise und in manchen Amtsstuben sprossen heitere Blüten der Bürokratie. Die Vorsichtsmassnahmen im Bereich Sport waren von Anfang pauschal und wenig durchdacht. Dass Fussballstadien geschlossen wurden, ist verständlich. Gleichzeitig wurden aber Sportarten verboten, die wie Tennis oder Golf im Freien stattfinden können und wenig Körperkontakt aufweisen. Dringend abgeraten wurde von Alpinismus und besonders von Skitouren. Dabei berief man sich teilweise auf absurde Argumente. So hörte ich in einer SRF-Radiosendung, es könnte zum Beispiel jemand in eine Gletscherspalte fallen und dadurch würden Rettungsequipen gebunden und Spitalbetten beansprucht, die für Corona-Patienten freizuhalten seien. Ich kenne die Statistik nicht, vermute aber, dass die Zahl der Unfälle bei Skitouren im Promillebereich liegt.


Tadellose Amtssprache, zweifelhafte Massnahme. (Bild: Helmut Scheben)

VBS-Chefin Viola Amherd versprach diese Woche an einer Pressekonferenz, ab 1. Mai könnten Sportarten mit wenig Körperkontakt wieder ausgeübt werden. Es hat lange gedauert, bis die Behörden merkten, was da falsch gelaufen war. Eine Task Force des Bundesrates, die untersuchen soll wie es weitergeht mit dem Sport in der Corona-Krise, hat erst Ende letzter Woche ihre Arbeit aufgenommen. Auf die Frage einer Journalistin, welche Sportarten konkret wieder erlaubt würden, antwortete Amherd: Rugby und American Football sicher nicht.

Und gestern Morgen in Le Paradis? Mein Kletterpartner evaluierte die Absperrung genau so wie ich mit dem Ergebnis: «chli bireweich». Folglich gingen wir getrost weiter und kletterten einen wunderbaren Kalksteingrat namens Arête du Faucon. In friedlicher Stille im Sonnenschein. Und in der leisen Hoffnung, dass Sportklettern ab 1. Mai nicht mehr bestraft werden möge. Auf Rugby und American Football wollen wir dann auch gern verzichten.


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6 Meinungen

  • am 24.04.2020 um 13:16 Uhr
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    In Deutschland und anderen Ländern wurden die Grenzen gesperrt.
    Dafür werden aber >>100.000 Billigjobber aus Osteuropa eingeflogen, damit der Profit in der Landwirtschaft nicht gefährdet ist. Die werden dann in Baracken und Containern eingepfercht. Ein Rumäne ist schon an Corona gestorben, etliche infiziert.
    Ohne Billigjobber aus Rumänien, könnte die Spargelindustrie den französischen Spargelbauern wohl kaum Konkurrenz in Frankreich machen.
    Damit ist der extreme Exportüberschuß Deutschlands gesichert.
    Das Exportüberschuß selbstverständlich Defizite und Arbeitslosigkeit in anderen Ländern nach sich zieht, ist nicht Problem der deutsche Regierung. Die sind ja nicht die Marionetten der ausländischen Industrie.
    Wenn die Defizite zu groß werden, bekommen die Länder initiert durch die deutsche Regierung eine Austeritätspolitik verpasst.

    siehe auch
    » Erntehelfer-Flüge aus Rumänien: Für eine Handvoll Spargel

    Um Luxusgemüse verkaufen zu können, werden tausende Erntehelfer gefährdet. Das ist menschenverachtend.
    .
    .
    https://taz.de/Erntehelfer-Fluege-aus-Rumaenien/!5675434/

    und

    "Heiner Flassbeck: Der Staat ist keine schwäbische Hausfrau"
    https://www.youtube.com/watch?v=usiVEn1inSQ

  • am 24.04.2020 um 15:07 Uhr
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    Bei uns in Hindelbank ist die Waldhütte auch gesperrt. Auch so ein unding.

  • am 25.04.2020 um 10:29 Uhr
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    Genau: Habe das gleiche an diversen Plätzen im abgelegensten Berner Jura erleben müssen: Aussichtstürmchen, auf denen max. 3 Personen Platz finden sind gesperrt. N.b.: Auch die Linner Linde ist abgezäunt… Es ist unglaublich wie der Durchschnitts-Schweizer sich von Politikern, die sich längst von den Belangen ihrer Bürger entfernt haben, so leicht einschränken lässt! Bin gespannt, wie die nächsten von Bern angeordneten Schikanen aussehen werden…!

  • am 26.04.2020 um 01:14 Uhr
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    Verblüffend unreflektierter Artikel, und auch Meinungen dazu, für unseren Infosperber! Eine Pandemie ist eine potenzielle Katastrofe und wurde zu Recht von den Experten als das zur Kenntnis genommen. Um die Gefahr einer exponentiellen Ausbreitung des Virus zu bannen gab es nur eines: die Notbremse ziehen. Wie wollt ihr das einem Haufen von 8 Milionen undisziplinierten Besserwissern klarmachen? Indem man ihnen möglichst einfach und ohne wenn und aber befiehlt: Bleibt zu Hause! Und es scheint den Zweck zu erreichen. Die Kurve wird flacher und nicht steiler. Lasst uns hoffen für den Ausstieg! Die „wenn und aber und überhaupt“ der 8 Milionen werden immer lauter und die Experten treten immer leiser auf. Das könnte ins Auge gehen.
    Hätte die Notbremse nicht gewirkt und hätten wir 10 oder 50 mal mehr Tote, durchaus realistisch, ich fürchte, der Haufen Besserwisser würde laut das Gegenteil schreien.
    Und klar, so viele sind es jetzt, glücklicherweise, auch wieder nicht und es trifft ja nur die Alten, die so oder so…. Bitte, es sind die Eltern derjenigen, die das Heft unseres Landes in der Hand haben, die elendiglich ersticken. Das ist die traurige Wahrheit zum Virus. Diese Tatsache abzuwägen gegen drei oder vier Monate unbezahltem Urlaub für unsere Wirtschaft, da muss jeder für sich selbst ins Reine kommen.

  • am 26.04.2020 um 21:53 Uhr
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    @Fritz Gysin
    Vor einiger Zeit, etwa auf dem Höhepunkt der Pandemie, sah ich einen sehr renommierten pensionierten Medizinprofessor auf Waldspaziergang. Er war nicht zu Hause geblieben! Hatte der «es» etwa auch nicht begriffen? Ich denke, der bringt alleine mehr Fachkompetentz auf die Waage als all die Besserwisser mit ihren Verhaltensermahnungen zusammen.
    Es war sicher nachvollziehbar, dass man zunächst handelte und im Zweifelsfalle eher zu starke Einschränkungen machte. Das Verbot von Grossveranstaltungen wie Fussballmatches, Popkonzerte u.ä. war absolut richtig und wichtig. Bei anderen Massnahmen zeigt sich heute, dass es sie nicht brauchte, respektive nicht mehr braucht.
    Wenn einige Seilschaften (à 2 Personen) in einem Klettergarten klettern, dann ist das Ansteckungsrisiko minimal. Geringer jedenfalls als beim Einkauf in der Migros. Und dort scheint es auch keine Massenansteckungen zu geben. Man hätte wohl davon gehört, wenn das dortige Personal in grosser Zahl krank geworden wäre.

    Und bitte nicht vergessen: Selbst die härteste Selbstkasteiung mit striktestem Hausarrest wird das Virus nicht ausrotten können, auch wenn wir den Lockdown bis Weihnachten durchziehen. Irgendwann werden wir das Erwerbsleben wieder aufnehmen müssen. Bevor das Virus weg ist. Bevor wir alle geimpft sind. Bevor es ein Medikament gibt.

  • am 27.04.2020 um 22:35 Uhr
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    Lieber Fritz Gysin. Eine Notbremse lässt keine Zeit zum Überlegen. Einverstanden. Aber dann wäre Zeit gewesen, um nachzudenken. Man hat es bisher zu wenig getan. Unräzise, unvollständig, Widersprüchlich. «Kommunikation» ist eines der meistgebrauchten Begriffe im 128-seitigen Pandemieplan des BAG. Ich bin versucht, dem BAG zu empfehlen «vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten». Beispiel: «Grosseltern dürfen Enkel umarmen, aber nicht hüten weil die erwachsenen Eltern, die Enkel bringen. Klar, tun sie das. Oder kommen Enkel per Drohne?

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