Kommentar

Sprachlust: Fachfrau Betreuung Fachrichtung Kinder

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Wer noch als Stift oder Lehrtochter einen Beruf erlernt hat, muss umlernen: mindestens auf einen neuen Namen und vielleicht mehr.

Der Lehrabschluss heisst noch Lehrabschluss, aber sonst scheint in der Berufsbildung kein Stein auf dem andern geblieben zu sein. Staunend können wir alljährlich den Glückwunschinseraten entnehmen, zu was allem es die Lernenden gebracht haben. Sie haben ja auch drei oder vier Jahre lang pausenlos gelernt, die Stifte und Lehrtöchter, wenn sie ihre zeitgemäss wertschätzende und geschlechtsneutrale Bezeichnung ernst genommen haben.
Und so sind sie jetzt Milchtechnologe oder Maschinenbaupraktiker, Bekleidungsgestalterin oder eben Fachfrau Betreuung Fachrichtung Kinder. Wer Zweifel hat, ob die Lehrzeit in der Kindertagesstätte wirklich zu diesem Titel geführt hat, kann in der amtlichen Liste der eidgenössisch anerkannten Lehrberufe nachschauen – und siehe da, die Zweifel waren berechtigt: es muss «Fachfrau Betreuung EFZ Fachrichtung Kinderbetreuung» heissen; EFZ bedeutet eidgenössisches Fähigkeitszeugnis.
Sozialagogin schon veraltet …
Weitere Fachrichtungen betreffen Behinderte, Betagte und Generalisten. Letztere werden nicht betreut, sondern können alle betreuen. Und überall gibt’s natürlich auch den Fachmann dazu; hingegen hat die vielzitierte «Fachperson» keine amtlich beglaubigte Existenz. Wer sich nun zu erinnern glaubt, früher habe dieser Beruf einen einfacheren Namen getragen, liegt wiederum richtig: Ausser für die Betagten waren das Sozialagogen und Sozialagoginnen. Da sind uns doch die Fachfrauen und Fachmänner lieber, auch wenn wir bei der Fortsetzung ins Stottern geraten, obwohl wir die Betreuenden doch so gern korrekt begrüssen möchten, wenn wir ihnen frühmorgens die lieben Kleinen anvertrauen.
Hiessen sie noch früher nicht noch einfacher? Etwas mit «Kinder…»? Im Verzeichnis nicht mehr zu finden! Doch auch die heutige «Fachfrau etc.» dürfte nicht für die Ewigkeit sein. Schliesslich geht der Trend bei den Kleinkindern weg von der blossen Betreuung hin zur Frühbildung. Vielleicht taucht doch wieder einmal die Kleinkindererzieherin auf. Wahrscheinlich muss sie (jetzt schon) ein gutes Stück weit auch Migrationsfachfrau sein, aber das ist wieder ein anderer Beruf, und nur «mit eidg. Fachausweis» zu haben.
… und männliche Bäuerin auch
Neben vielen neuen oder neu benannten Berufen bietet die Liste auch Trost für Traditionsbewusste: den Bäcker/Konditor etwa gibt’s noch, den Maler und den Maurer ebenfalls, selbstverständlich stets auch in der weiblichen Form. Sogar der Küferberuf hat überlebt; man wird jetzt Küfer EFZ oder Küferin EFZ. Den Bauern aber gibt’s nicht mehr, amtlich ist das Bauernsterben total. Nur die «Bäuerin, diplomierte» gibt’s noch. Eine Zeit lang war sie sogar doppelt aufgeführt; einmal war damit ein Mann gemeint, denn «dipl. Bäuerinnen» waren «Partner/innen des Landwirts/der Landwirtin». Jetzt aber geniesst der «Bäuerliche Haushaltleiter mit eidgenössischem Fachausweis» amtliche Anerkennung.
Ganz verschwunden ist der Schneider samt Schneiderin. Die Schneidermeisterin und den Schneidermeister indessen gibt’s durchaus. Wer nun aber meint, da sei ein Meister vom Himmel gefallen, hat sich zu früh gefreut: Es ist die Bekleidungsgestalterin, die sich zur Meisterin hocharbeiten kann. Nur muss sie dann weiterhin viel lernen, obwohl sie keine Lernende mehr ist. Wie das geht, wird man ihr wohl beibringen; wahrscheinlich muss sie dazu tapfer sein. Den Grundstein zu so einer Karriere wird die Fachfrau Betreuung EFZ Fachrichtung Kinderbetreuung legen, wenn sie denn an ihrer Wirkungsstätte noch Märchentante sein darf: Dann erzählt sie den Kindern die Geschichte vom tapferen Bekleidungsgestalterlein/Bekleidungsgestalterinchen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 29.10.2019 um 22:33 Uhr
    Permalink

    Wenn beim Link «Listen inkl. frühere Bezeichnungen» eine Error-Meldung von Swissdoc kommt, dort Sprache Deutsch einstellen und denselben Link nochmals anklicken.

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